Aktuelles vom Para Schwimmen
Para Schwimmen: Zwischen Weltrekorden und Paralympics-Normen
Die Internationalen Deutschen Meisterschaften im Para Schwimmen im Paralympics-Jahr – da wundert es nicht, dass die Spiele in Paris knapp drei Monate vor der Eröffnungsfeier allgegenwärtig waren. Schließlich waren die Wettkämpfe in Berlin das letzte internationale Kräftemessen vor den Paralympics und für die deutsche Nationalmannschaft gleichzeitig die letzte Chance, um noch Normen zu schwimmen. Ein Trio ließ mit Weltrekorden aufhorchen. Der Deutsche Behindertensportverband präsentiert die Ergebnisse und besonderen Leistungen gemeinsam mit der Heinz-Kettler-Stiftung.
Gina Böttcher, Taliso Engel und Josia Topf gelangen jeweils zwei Weltrekorde – damit steuerten deutsche Athlet*innen im schnellen Berliner Wasser sechs von insgesamt 20 weltweiten Bestzeiten bei. Gina Böttcher unterbot ihren eigenen Weltrekord über 200 Meter Lagen (4:04,24) bereits im Vorlauf in 3:57,62 Minuten deutlich, um sich im Finale dann sogar auf 3:55,07 zu steigern. Genauso machte es Josia Topf. Bereits am Vormittag pulverisierte der 22-Jährige in 4:09,18 Minuten den bisherigen Weltrekord über 200 Meter Lagen (4:19,48) um rund zehn Sekunden und packte im Endlauf mit 4:05,19 Minuten noch einen drauf.
Taliso Engel gelangen sogar Weltrekorde auf zwei unterschiedlichen Strecken – sowohl über 50 als auch über 200 Meter Brust schwamm der Nürnberger so schnell wie niemand zuvor in seiner Startklasse SB13. Während Engel über 200 Meter einen 24 Jahre alten Rekord brach (2:23,59), war die Bestzeit über 50 Meter besonders kurios. Taliso Engel schlug nach 28,54 Sekunden als Schnellster an. Trotzdem reichte das in der IDM-Endabrechnung „nur“ zu Bronze. Denn die beiden Kolumbianer Nelson Crispin Corzo (SB6/34,95) und Carlos Daniel Serrano Zarate (SB7/31,96) verbesserten die bisherigen Bestmarken in ihren Startklassen im selben Lauf sogar noch etwas deutlicher und bekamen daher auch mehr Punkte. „So etwas gibt es nur bei der IDM, aber genau das macht diese Veranstaltung ja auch so besonders“, sagte Engel, der nun Weltrekordhalter auf alle Brust-Strecken ist.
Neben Weltrekorden und Bestzeiten ging es bei den 38. Internationalen Deutschen Meisterschaften im Para Schwimmen auch um die letzte Chance, die Paralympics-Normen zu schaffen. Dabei gab es die komplette Bandbreite an Emotionen – während die Einen die erforderliche Norm knapp verpassten und die Enttäuschung groß war, durfte die erst 13-jährige Johanna Döhler vom Berliner Schwimmteam jubeln. Die Lokalmatadorin schwamm im Vorlauf über 400 Meter Freistil in 4:53,92 Minuten zum deutschen Rekord und unterbot mit dieser Leistung zugleich die Norm für die Paralympics in Paris (4:54,17): „Es ist sehr surreal, dass ich das geschafft habe. Ich wollte die Norm schon im Vorlauf angehen und bin jetzt einfach total stolz“, sagte die junge Athletin mit Sehbehinderung, sichtlich aufgeregt nach dem Rennen. IDM-Veranstaltungsleiter Matthias Ulm freute sich über diese beachtliche Leistung. „Wer mit 13 Jahren in diesen Bereich vorstößt, kann als Riesentalent bezeichnet werden. Wir werden sie sehr behutsam aufbauen.“
Ein Erfolg gelang auch einer weiteren Lokalmatadorin. Elena Semechin (geb. Krawzow) kraulte in 27,70 Sekunden zum deutschen Rekord über 50 Meter Freistil. „Das habe ich heute absolut nicht erwartet. Aber jetzt diese Zeit zu schwimmen, ist für mich so viel wert“, sagte die 30-Jährige. Und das ist alles andere als selbstverständlich nach 13 Zyklen Chemotherapie und Bestrahlung wegen eines Tumors im Kopf, der im Herbst 2021 wenige Wochen nach ihrem Sieg bei den Paralympics in Tokio bei ihr diagnostiziert worden war. Bis dahin war Semechins Stärke stets ihre starke Ausdauer in der zweiten Rennhälfte gewesen. Da die Blutbildung durch die Chemotherapie aber massiv gestört wurde, musste sich die Schwimmerin völlig neu erfinden und im Trainingsalltag voll auf Kraft und Explosivität umschwenken, um für Topergebnisse gleich auf den ersten Metern viel dynamischer zu werden. Dieser Prozess ist ihr mit Ehemann und Trainer Phillip Semechin bestens gelungen, wie solche Sprintzeiten zeigen.
Bundestrainerin Ute Schinkitz zog ein zufriedenes Resümee: „Viele unserer Aktiven hatten die Paris-Norm bereits bei der EM in Portugal erfüllt, für sie ging es bei der IDM vor allem um technische oder taktische Verbesserungen aus dem vollen Training heraus. Trotzdem wurden dabei nun viele Bestzeiten und sogar Rekorde abgeliefert, das gibt uns noch einmal zusätzlichen Rückenwind für die zwölf Wochen bis zum Saisonhöhepunkt.“ Die Paralympics in Paris werden am 28. August eröffnet.
„Das war eine rundum gelungene Generalprobe für die Paralympics, die IDM in Berlin ist ihrem hervorragenden Ruf als internationales Top-Event erneut gerecht geworden“, sagte Kirsten Leow vom gastgebenden Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Berlin (BSB). Geschäftsführer-Kollege Philipp Bertram ergänzte: „Großen Dank an alle, die zum Gelingen dieser großartigen Veranstaltung beigetragen haben.“
Alle IDM-Ergebnisse auf einen Blick
Die Ergebnisse der deutschen Meisterschaften in den Para Sportarten werden in diesem Jahr von der Heinz-Kettler-Stiftung (HKS) präsentiert, um die Aufmerksamkeit für die deutschen Meisterschaften zu erhöhen und die außergewöhnlichen Leistungen der Athlet*innen sichtbarer zu machen. Die HKS wurde von Heinz Kettler und seiner Tochter Dr. Karin Kettler bereits im Dezember 1999 gegründet, um Sportler*innen mit Behinderung in ihrer Sportausübung zu unterstützen und den Inklusionsgedanken in die Praxis umzusetzen.
Text: IDM Para Schwimmen (Zusammenfassung DBS)