Aktuelles von Tokio 2020
Pure Enttäuschung und völlige Leere
Minutenlang kauerten Deutschlands Goalballer nach der Schlusssirene auf dem Spielfeld, Tränen flossen, die Enttäuschung war riesig: Aus in der Vorrunde, der große Traum von der Paralympics-Medaille platzte viel zu früh und völlig unerwartet. Überraschend war das letzte Gruppenspiel gegen China aufgrund einer besonderen Konstellation eine Art Finale um den Einzug in die Runde der besten acht Teams. Und die Auswahl von Cheftrainer Johannes Günther verlor mit 3:8 (0:0) und erlebte einen ganz bitteren Abend bei den Paralympics in Tokio.
Für die deutschen Goalballer ging es in den vergangenen Jahren stetig bergauf. Die Entwicklung war prächtig und das Team begeisterte als Wolfsrudel auf und neben dem Feld. Durch die Paralympics-Teilnahme in Rio 2016 und vor allem auch durch den EM-Titel 2019 in Rostock machten die Spieler große Werbung für ihren Sport. Die Folge: Goalball war plötzlich nicht mehr nur einem kleinen Kreis bekannt. Dies gipfelte darin, dass bei den Spielen in Tokio erstmals ein Goalball-Spiel live im deutschen Fernsehen gezeigt wurde – und ein Millionenpublikum schaute zu und fieberte mit.
Sportlich hatte die Mannschaft ambitionierte Ziele, hatte sich sehr akribisch vorbereitet, wollte eine Medaille gewinnen und am liebsten in der Mitte des Podiums stehen. Wenn man EM-Silber 2017, WM-Silber 2018 und den EM-Titel 2019 gewinnt, erscheint es nicht völlig abwegig, von der Goldmedaille zu träumen und diese auch als Ziel zu formulieren. Doch in Tokio kam es völlig anders. Statt am 3. September über eine Medaille zu jubeln, müssen Deutschlands Goalballer ihr vorzeitiges Ausscheiden am 30. August hinnehmen. Möglich machte das eine völlig verrückte Konstellation in der Gruppe B. Die Ausgangslage vor dem Spiel: Deutschland reicht ein Remis für den Gruppensieg – und eine Niederlage mit mehr als einem Tor Differenz bedeutet das Aus.
Am Ende stand eine 3:8-Niederlage auf der Leinwand. Damit hatten alle fünf Mannschaften sechs Punkte auf der Habenseite – und Deutschland das schlechteste Torverhältnis. Nach einem umkämpften 0:0 zur Pause drehten die Chinesen in der zweiten Halbzeit auf und erzielten binnen einer Minute drei Tore. Während es der Auswahl von Cheftrainer Johannes Günther auch in der Folge offensiv an Durchschlagskraft fehlte, erhöhte China immer dann, wenn bei den Deutschen vielleicht doch noch ein bisschen Hoffnung aufkeimte. Letztlich waren die drei Tore von Reno Tiede und Michael Dennis (2) zu wenig. Aus der Traum. „Wir haben in den vergangenen Jahren tolle Erfolge zusammen gefeiert, jetzt fühlen wir pure Enttäuschung und müssen die Jungs versuchen aufzubauen. Es ist eigentlich absurd, dass in unserer Gruppe in der Abschlusstabelle alle fünf Teams sechs Punkte haben und wir als Fünfter mit zwei Siegen aufgrund des Torverhältnisses ausgeschieden sind. Letztlich war es ein verdienter Sieg für China, das müssen wir anerkennen“, sagte ein geknickter Johannes Günther, für den es das letzte Spiel nach zwölf Jahren als Cheftrainer der Goalball Herren war und der einen traurigen Abschluss erlebte.
Auch der langjährige Nationalspieler Reno Tiede fühlte nach dem Vorrunden-Aus „völlige Leere“. Für beide Mannschaften sei es um alles oder nichts gegangen. „Nach einer krassen ersten Halbzeit ohne Tore hat China nach der Pause aufgedreht und grandios gespielt, während wir in den entscheidenden Momenten die Fehler gemacht haben. Ich habe schon viel erlebt in diesem Sport, doch so auszuscheiden, ist schon heftig“, berichtete Tiede und fügte an: „Ein riesiges Dankeschön an unsere Fans in der Heimat, wir haben diese Unterstützung auch ohne Zuschauer in der Halle gespürt und wären zu gerne auch für sie ins Finale eingezogen. Jetzt müssen wir das erstmal verarbeiten.“ Immerhin gab es von den Volunteers in der Halle aufmunternden Applaus. Eine nette Geste – und doch ein schwacher Trost. Der Stachel der Enttäuschung wird noch eine Weile tief sitzen.