Aktuelles von Tokio 2020
Ein Schwimmer zum Verlieben: Engel mit deutschem Rekord
Nur 0,61 Sekunden betrug die Reaktionszeit von Taliso Engel beim Start seines Vorlaufs über die 400 Meter Freistil in der Startklasse S13 - schneller kam keiner aus dem Startblock. Für die erste Bahn brauchte der amtierende Welt- und Europameister über die 100 Meter Brust gerade einmal 28,13 Sekunden und schlug als Zweiter an. Die folgenden 50 Meter in 31,90 Sekunden ließen sich ebenfalls sehen. „Mittendrin habe ich mir gedacht, ob ich die ersten 50 Meter nicht doch zu schnell angegangen bin“, sagte Engel, der die 400 Meter Kraul schon ewig nicht mehr geschwommen ist: „Das letzte Mal war im Januar.“ 4:21,09 Minuten brauchte der Mittelfranke im Aquatics Centre von Tokio und stellte damit einen deutschen Rekord auf. Mit der fünftschnellsten Zeit zog er bei seinen ersten Paralympics direkt ins Finale ein.
Dort setzte der 19 Jahre alte Schwimmer nochmals einen drauf: Seine im Vorlauf aufgestellte persönliche Bestzeit unterbot er nochmals und schlug nach 4:20,73 Minuten als Sechster im Ziel an. „Ich habe das umgesetzt, was wir heute Morgen nochmal besprochen hatten und bin auf jeden Fall zufrieden“, sagte Engel. Weil er nun die ersten 50 Meter langsamer angegangen ist? Im Gegenteil: „Nach dem Reinspringen hatte ich dann nochmal Bock, richtig schnell anzugehen.“ Er blieb nur knapp hinter der Zeit der ersten 50 Meter aus dem Vorlauf zurück. „Er ist gut geschwommen und hat das taktisch klüger gemacht im Finale: Er ist viel gleichmäßiger geschwommen als noch heute Morgen. Das passt. Und der Endspurt, der ist toll“, sagte Bundestrainerin Ute Schinkitz.
Engel konnte jedoch nicht nur mit seinen Zeiten beeindrucken: Schinkitz geriet richtig ins Schwärmen, als sie vom Schwimm-Stil des 19-Jährigen sprach: „Wie er immer schwimmt - da kann man sich einfach verlieben. Es sieht richtig toll aus.“ Engel, dem die Stimmung in Tokio sehr gut gefällt, wähnt sich selbst in guter Form. Diese gilt es nun zu konservieren: „Aus meiner Sicht stimmt die Performance - wir müssen sie nur zum Tag X halten“, sagte Schinkitz und meinte damit den kommenden Mittwoch, wenn es bei den 100 Metern Brust auf die Paradestrecke des Deutschen geht.
Mira Jeanne Maack schwamm bei ihren ersten Paralympics auch direkt ein Finale und wurde dort Fünfte. Nach 1:22,77 Minuten schlug die 17 Jahre alte Athletin vom Berliner Schwimmteam im Ziel an und bestätigte damit persönliche Bestleistung. „Ich fühle mich sehr gut und bin erleichtert, es jetzt geschafft zu haben: Ich war schon sehr aufgeregt“, sagte die 17-Jährige, die Jüngste der deutschen Mannschaft, nach ihrem ersten Auftritt bei den Spielen. Was noch hinzukam: Nur zwei Bahnen neben der Berlinerin schwamm Jessica Long - ihr großes Vorbild. Ich bin ja schon öfter mit Jessica Long in einem Lauf gewesen, aber habe mich bislang noch nie getraut, sie im anzusprechen“, sagte Maack. „Das hätte mich heute noch nervöser gemacht.“ Die Überwindung, die Gewinnerin von 13 Goldmedaillen bei Paralympics, selbst ansprechen zu müssen, nahm die ARD der Schwimmerin der Startklasse S8 kurzerhand ab: Die „Sportschau“ organisierte ein gemeinsames Interview der beiden. Maack sicherte sich schnell ein Selfie mit der US-Amerikanerin, die sich im gemeinsamen Endlauf Bronze sichern konnte. Qualifiziert sich die Berlinerin am Samstag für das Finale, kommt es wieder zu einem Wiedersehen mit Long: bei den 200 Meter Lagen (18:48 Uhr in Japan, 11:48 Uhr in Deutschland).
Die dritte Debütantin bei den Paralympics am dritten Wettkampftag war Gina Böttcher. Die Schwimmerin vom SC Potsdam wurde Elfte über die 50 Meter Schmetterling und verpasste eine persönliche Bestzeit in der Startklasse S5. „Ich war ein bisschen aufgeregt zum Start. Im Wasser war ich dann auch relativ kaputt, deswegen kam jetzt nicht so eine gute Zeit heraus“, sagte die 20-Jährige. Weil die Strecke aber zum Reinkommen in die Paralympics angedacht war, wiege das nicht so schwer. „Morgen kommen dann die 150 Meter Lagen, was dann schon wichtiger für mich ist.“ Böttcher, der die Atmosphäre unter all den Sportlern in Tokio so gefällt, habe noch „ein, zwei Sachen“, die sie verbessern könne meinte Schinkitz. „Aber das weiß sie auch selbst. Und das wird sie morgen auch zeigen.“
Quelle: Patrick Dirrigl