Aktuelles von Tokio 2020
Die ersehnte Medaille hauchdünn verpasst
Am Ende fehlten 82 Tausendstel: Auf der Radrennbahn in Izu sind Kai Kruse und Pilot Robert Förstemann das beste Rennen ihres Lebens gefahren und verbesserten ihre persönliche Bestzeit und den deutschen Rekord deutlich. Allerdings lautete die bittere Erkenntnis am Ende: Drei andere Tandems waren schneller, so dass das deutsche Duo ohne Medaille die Heimreise antritt.
Im 1000-Meter-Zeitfahren gibt es keine Vorläufe, sondern nur einen Versuch, die bestmögliche Zeit herauszufahren. Im Feld der zehn Tandems starteten Kruse und Förstemann als drittletzte, nachdem das französische Duo Beaugillet/Pervis eine Zeit von 1:00,472 Minute hingelegt hatte. Der Start des deutschen Tandems war Weltklasse, mit 18,683 Sekunden für die erste Runde von 250 Metern lagen sie weit vor den Franzosen und hielten dieses Tempo sehr lange. Zu Beginn der letzten Runde betrug der Vorsprung noch fast vier Zehntelsekunden, auch bei der letzten Zwischenzeit eine halbe Runde vor Schluss war das deutsche Duo noch vorne.
Im Ziel stand dann eine Zeit von 1:00,554 Minute, persönliche Bestleistung und neuer deutscher Rekord – leider jedoch 82 Tausendstel langsamer als Beaugillet/Pervis. Die zwei britischen Tandems, die noch folgten, gaben sich keine Blöße und fuhren zunächst paralympischen Rekord und schließlich Weltrekord. Damit sicherten sie sich Gold und Silber, während für Kruse und Förstemann nur der undankbare vierte Platz blieb.
„Die Siegerehrung zu sehen, ist schon sehr schwergefallen. Ich bin jetzt allein zum Interview gekommen, denn Kai ist sehr, sehr unglücklich“, sagte ein enttäuschter Robert Förstemann nach dem Rennen. „Wir haben alles in die Waagschale geworfen, sind mit Abstand die schnellste Zeit angefahren, die wir jemals auf die Bretter gebracht haben und haben unsere Bestleistung um 1,1 Sekunden verbessert, das ist Wahnsinn. Wir haben uns, seitdem wir zusammenarbeiten, um dreieinhalb Sekunden verbessert. Dass wir um acht Hundertstel die Medaille verfehlen, ist für uns unfassbar traurig, schlimmer geht es eigentlich gar nicht.“
François Pervis, der Pilot des französischen Tandems, ist wie Förstemann selbst aus dem olympischen Bahnsprint zum Para Radsport gewechselt und dort weiterhin Weltrekordhalter über 1000 Meter. Förstemann fuhr die letzte Runde komplett auf der schwarzen Linie, welche die Ideallinie kennzeichnet – doch ein besseres Resultat war gegen diese enorm starke Konkurrenz nicht möglich.
„Unsere Stärke ist vorne raus, wir haben das sehr, sehr gut trainiert. Unser Problem ist gar nicht so sehr die physische Leistungsfähigkeit. Unser Rad wiegt vier Kilo mehr als das der Briten, die hier gewonnen haben, das macht schon viel aus. Wir sind heute das erste Mal wieder 1000 Meter in der kompletten Distanz gefahren, dafür kann sich die Zeit sehen lassen. Das Ziel, die Minute zu knacken, haben wir nicht ganz geschafft, aber wir sind ganz, ganz vorne dabei, alle anderen Sachen müssen aufgearbeitet werden“, erklärte Förstemann.
Trotz der Enttäuschung blickt der Olympia-Medaillengewinner von London 2012 schon nach vorne: „Das ganze Projekt war auf Paris 2024 ausgelegt, trotzdem ist das natürlich erstmal ein Rückschlag. Den muss man mental verkraften, es wird harte Arbeit, Kai wieder aufzubauen, und ich weiß nicht, welche Rückschlüsse er für sich treffen wird. Ich hoffe, dass wir nach Paris hinkommen und auf dem bisher Erreichten noch aufbauen können.“
Nach einem Jahrzehnt an der Weltspitze im olympischen Bahnradsport und etwas über zweieinhalb Jahren als Pilot von Kruse denkt Förstemann auch mit 35 Jahren noch nicht ans Karriereende: „Para Radsport erlebt zurzeit eine Leistungsexplosion und hat mittlerweile einen sehr, sehr hohen Stellenwert. Es ist eine ganz tolle Sportart, die auch bei den Zuschauern und bei den Menschen außerhalb des Velodroms viel Interesse weckt, dementsprechend wird die Entwicklung weitergehen“, freut er sich auf die nächsten Jahre. „Solange ich merke, dass ich mich von der Leistung weiterentwickle, höre ich nicht auf. Ich habe aus rein körperlicher Sicht ein fantastisches Jahr hinter mir. Paris wäre ein tolles Ende, auch noch einmal aus einer anderen Perspektive, hoffentlich ohne Corona-Pandemie. Wenn dann noch Familie und Freunde vor Ort sein könnten, wäre das natürlich ein grandioser Abschluss. Solange wir die Medaille nicht haben, haben wir noch eine Rechnung offen!“
Quelle: Lukas Knöfler