„Super erleichtert“: Forster gewinnt erste deutsche Medaille
Anna-Lena Forster gewinnt Silber in der Abfahrt
Glänzende Fahnenträgerin: Monoskifahrerin Anna-Lena Forster raste trotz kurzen Schlafs in der Abfahrt bei den Paralympics in Peking auf Platz zwei und freute sich trotz der Chance auf Gold auch über Silber. Andrea Rothfuss belegte einen starken und unerwarteten vierten Platz und verpasste die Medaille nur knapp. Noemi Ristau mit Guide Paula Brenzel sowie Leander Kress schieden auf der anspruchsvollen Piste in Yanqing aus.
"Ich freue mich riesig. Ich bin super erleichtert, dass ich eine Medaille mitnehmen kann“, sagte Anna-Lena Forster nach dem Gewinn der ersten deutschen Paralympics-Medaille in Peking, die für die 26-Jährige vom BRSV Radolfzell auch das erste paralympische Edelmetall in einer Abfahrt bedeutete. In 1:30,59 Minuten blieb sie nur 0,82 Sekunden hinter ihrer japanischen Dauerrivalin Momoka Muraoka, in deren Abwesenheit sich Forster im Januar bei der WM in Lillehammer zur Abfahrts-Weltmeisterin kürte. Bronze ging an Sitong Liu aus China.
"Die Chance auf Gold war da, ganz klar. Ich habe heute leider nicht ganz die Performance abrufen können, wie ich eigentlich fahren kann und die ich auch im zweiten Abfahrtstraining gezeigt habe“, sagte Forster, die in den ersten beiden Trainings mit großem Vorsprung die Beste war, und gratulierte der Japanerin: „Momoka ist stark und sie war heute einfach die Schnellere. Jetzt freue ich mich über Silber."
Die deutsche Fahnenträgerin hatte nur fünf Stunden Schlaf
Nach der Eröffnungsfeier war Forster erst gegen 23 Uhr im Dorf und kurz vor 0 Uhr im Bett, fünf Stunden später klingelte der Wecker, doch für die Psychologie-Studentin war das „gar kein Problem. Dass man vor so einem Rennen nicht ganz ruhig schläft, ist auch logisch. Aber mir tat es mit der Eröffnungsfeier total gut, einfach nochmal ein bisschen Motivation zu schöpfen, ein bisschen Abwechslung. Das hat gut gepasst."
Mit der Medaille fiel von der Vierfach-Weltmeisterin aus Lillehammer auch eine große Last ab. In Norwegen Anfang des Jahres war Muraoka coronabedingt nicht vor Ort, die zwei Chinesinnen fehlten und die Niederländerin Barbara van Bergen kam wie in der Abfahrt in Yanqing nur selten ins Ziel. Forster machte es besser und belohnte sich mit vier Goldmedaillen, wenngleich sie nicht immer zufrieden war mit ihrem Ski fahren. Dass nun zu den Paralympics ihre Konkurrenz wieder da ist, schockt sie nicht: „Es zeigt einfach, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass ich Gold hole. Die Konkurrenz ist stark und das war sie bei der WM eben nicht. Von daher bin ich super erleichtert, dass ich hier mitmischen kann. Vielleicht kommt ja noch mehr."
Im Super-G am Sonntag, der Super-Kombination, im Riesenslalom und im Slalom hat Forster, die eher als Technik-Spezialistin gilt und 2018 Paralympics-Siegerin in der Super-Kombi und im Slalom wurde, noch vier weitere Medaillenchancen: „Die Abfahrt ist ein guter Anfang. Ich habe jetzt Rückenwind mit einer Medaille und jede, die noch dazukommt, ist natürlich super."
Bundestrainer Justus Wolf sah auch, dass Gold möglich gewesen wäre, aber „in zwei, drei Passagen sind wir nicht ganz so ideal gefahren. Aber so ist das halt im Medaillenrennen. Wenn man versucht ans Limit zu gehen, geht es halt nicht immer auf.“ Dennoch war Wolf zufrieden: „Das nimmt ein bisschen Druck raus. Mit Blick auf den Super-G ist das so, dass wir sehr zuversichtlich sein können.“ Beim zweiten Start am Sonntag hofft der Bundestrainer, dass Forster ihre Fähigkeit, neue Strecken schneller als ihre Konkurrenz zu erfassen, nutzen kann: „Im Super-G gibt es keine Befahrung vorher und in den ersten beiden Abfahrts-Trainings ist sie ja auch viel besser gefahren als die anderen.“
Rothfuss starke Vierte: „Glück nicht überstrapazieren“
Guter Dinge für das morgige Rennen ist Wolf auch für seine zweite Top-Athletin. Andrea Rothfuss fuhr in 1:23,71 Minuten auf Platz vier in der Abfahrt der stehenden Klasse hinter der Kanadierin Mollie Jepsen, der Chinesin Mengqiu Zhang und Ebba Aarsjoe aus Schweden. Mit 1,96 Sekunden auf Gold und nur 0,51 Sekunden Rückstand auf Bronze fehlten Rothfuss, deren Ziel eine Top-5-Platzierung war, nicht viel zu ihrer 14. Paralympics-Medaille. Die 32-Jährige vom SV Mitteltal-Obertal profitierte zwar davon, dass Top-Favoritin Marie Bochet aus Frankreich am zweiten Tor ihren Ski verlor und Varvara Voronchikhina durch den Ausschluss des russischen Teams nicht mehr dabei ist, zeigte sich aber dennoch stark verbessert zu den Abfahrtstrainings.
„Platz vier ist Top-5, also ich bin super happy mit dem Ergebnis. Fünf Zehntel zu dem dritten Platz ist nicht viel, das tut schon auch ein kleines bisschen weh. Aber auf der anderen Seite wusste ich eh, dass es verdammt schwierig wird, eine Medaille zu gewinnen“, sagte Rothfuss, die mit fünf Paralympics-Teilnahmen die erfahrenste deutsche Athletin ist. „Ich konnte mich noch mal steigern zum Training und es ist alles nach Plan verlaufen bis auf die letzte Kurve. Die Einfahrt ins Flache, die ist mir nicht so gut gelungen, wie ich es mir vorgenommen habe“, sagte Rothfuss, haderte aber nicht lange, sondern hatte stets ein Lachen im Gesicht: „Ich reihe mich da in eine prominente Riege derer ein, die jetzt auch bei Olympia Vierte wurden. Mit Bronze hätte ich mein Glück auch zu sehr überstrapaziert. Aber der heutige Tag zeigt mir, dass die anderen auch erstmal runterkommen und gute Läufe absolvieren müssen. Ich richte meinen Fokus nach vorne und gebe morgen im Super-G noch mal Gas.“ Bundestrainer Wolf fand es schade, dass Rothfuss die „Gunst der Stunde“ mit dem Ausfall von Bochet nicht nutzen konnte, hofft aber, „dass sie morgen unter den Drei ist, die Edelmetall sammeln können“.
Ristau und Kress scheiden früh aus
Noemi Ristau kam in der Klasse der sehbehinderten Skifahrerinnen mit Guide Paula Brenzel nicht ins Ziel. "Es war deutlich eisiger als in den Trainings und waren dadurch viel schneller. Dann bin ich an einem Tor aus der Linie gerutscht, Noemi ist dann noch mehr gerutscht und hat leider das nächste Tor verpasst“, resümierte Guide Paula Brenzel: „Bis dahin waren wir so gut unterwegs wie nicht ansatzweise in den Trainings. Wir waren enorm schnell, es hat sich gut angefühlt.“ Auch Ristau zog ein positives Fazit, zumal sie erst Ende September einen Kreuzbandriss hatte und erstmals wieder in Speed-Rennen am Start stand: „Ich habe alles gegeben und bis dahin war es eine verdammt gute Fahrt. Besser mehr Gas geben und riskieren als langsam hinterher zu fahren. Das ist eine super Vorbereitung für morgen und es gibt mir Sicherheit für den Super-G, mich heute so überwunden zu haben."
Paralympics-Debütant Leander Kress startete „mit 100 Prozent Motivation und Angriff“ ins Rennen und erwischte das erste Tor gut. Doch schon beim zweiten erwischte ihn ein Schlag, die Bindung ging auf und Kress konnte glücklicherweise eine Verletzung vermeiden: „Als ich den Berg runtergerutscht bin, habe ich ziemlich beschleunigt und musste schauen, dass ich am Tor vorbeikomme und nicht da reinrutsche. Dann bin ich voll ins Netz. Aber mir geht es gut."
Eigentlich wollte der 21-Jährige „voll angreifen“, nachdem er wenige Stunden vor seinem Start noch vor Nervosität zitterte. Im Starthaus ließ die dann nach, sodass Kress nach dem Aus auch voller Vorfreude auf den Super-G blickte: „Ich will auf alle Fälle mal ins Ziel kommen. Das alles mal zu erleben, das hier ist richtig cool – nochmal cooler als bei der WM in Lillehammer. Den ersten Start habe ich hinter mir, vielleicht nimmt mir das etwas Nervosität.“
Im Rennen am Sonntag wird aus deutscher Sicht neben den vier Genannten auch Anna-Maria Rieder wieder mit dabei sein, die in der Abfahrt auf einen Start verzichtet hatte.