„Keine optimale Generalprobe, umso bessere Premiere?!“
Monoskifahrerin Anna-Lena Forster ist als viermalige Weltmeisterin zu ihren dritten Paralympics angereist und hofft auf Gold, Andrea Rothfuss und Anna-Maria Rieder liebäugeln mit dem Podest und für die lange verletzte Noemi Ristau mit Guide Paula Brenzel sowie die beiden Nachwuchstalente Leander Kress und Christoph Glötzner ist schon die Teilnahme ein Erfolg – sie sollen in erster Linie Erfahrungen sammeln. Para Ski alpin-Bundestrainer Justus Wolf blickt mit guten ersten Eindrücken Richtung Paralympics-Auftakt.
„Es ist eine anspruchsvolle, gute Piste, die keine Klassifizierungen bevorzugt“, sagt Bundestrainer Justus Wolf am Ende der drei offiziellen Trainings auf der Abfahrtsstrecke von Yanqing, nachdem ursprünglich befürchtet wurde, dass aufgrund starker Windböen möglicherweise nur ein Abfahrtstraining stattfinden könne: „Teils war es gut, dass wir drei Trainings hatten, teils wäre es besser gewesen, wenn nur eins stattgefunden hätte.“
Mit letzterem Punkt meint Wolf vor allem Anna-Lena Forster, die zwei Mal Trainingsschnellste war und in der letzten Einheit mit Platz zwei hinter der Japanerin Momoka Muraoka – nur knapp vor der Niederländerin Barbara van Bergen – nicht so zufrieden war. „Ihre Konkurrentinnen kamen immer besser zurecht“, sagt Wolf: „Aber sie fühlt sich wohl auf der Abfahrt. Vielleicht war es auch gar nicht schlecht, dass sie nicht gewonnen hat – nach dem Motto: Keine optimale Generalprobe, umso bessere Premiere?!“
Fahnenträgerin Forster, in PyeongChang 2018 Goldmedaillengewinnerin in der Super-Kombination und im Slalom, kürte sich im Januar bei der WM in Lillehammer vier Mal zur Weltmeisterin, lediglich im Riesenslalom stürzte sie mit großem Vorsprung, nachdem sie mit der Krücke an einem Tor hängen geblieben war. Doch in Norwegen wurde die 26-Jährige nicht müde zu betonen, dass neben der dort fehlenden Hauptkonkurrentin Muraoka die Niederländerin van Bergen nur selten ins Ziel kam und zwei Chinesinnen ebenfalls stark sind. Mit ihnen wird sich Forster nun um die Medaillen duellieren – mit klarem Plan: „Ich will einfach Gas geben, Spaß haben und am Ende mit mir und meiner Leistung zufrieden sein. Natürlich bin ich hier, um Medaillen zu gewinnen und meine Erfolge von PyeongChang zu wiederholen. Eine Goldmedaille muss für mich persönlich auch drin sein.“
Ihre Zimmerkollegin Andrea Rothfuss, mit jetzt fünf Paralympics-Teilnahmen und 13 Medaillen erfahrenste Athletin im deutschen Team, ging in Lillehammer aufgrund immer stärkerer Konkurrenz erstmals in ihrer Karriere ohne Medaille von einem Großevent nach Hause. Nun peilt die 32-jährige Paralympics-Siegerin im Slalom von 2014 eine Top-5-Platzierung an, der Riesenslalom ist ihre Lieblingsdisziplin. In den drei Trainingseinheiten deutete sie an, dass ihr Ziel realistisch ist, wenngleich die Konkurrenz vor allem zu Beginn noch enteilt schien. „Sie hat sich enorm gesteigert in den drei Trainings und wir hoffen darauf, dass sie im Rennen wie in der Vergangenheit noch mal zulegen kann. Paralympics schreiben bekanntlich ihre eigenen Geschichten“, sagt Wolf.
Anna-Maria Rieder, die wie Rothfuss in der stehenden Klasse startet, wird nach drei Abfahrttrainings im ersten Rennen nicht starten. „Die Abfahrt kommt zu früh für sie“, sagt Wolf über die 22-Jährige: „Aber das war eine gute Trainingserfahrung mit Blick auf den Super-G, denn der ist für sie für die Super-Kombination wichtig.“ Dort rechnet sich Rieder als starke Slalomfahrerin nach ihrer WM-Bronzemedaille von Lillehammer erneut Chancen aus, aufs Podest zu fahren – zumal Super-Kombinations-Weltmeisterin Varvara Voronchikhina nach dem russischen Ausschluss nicht starten darf.
„Sie ist ja eine junge Athletin und muss sich da keinen Stress machen, sie soll ja auch noch Erfahrungen sammeln“, sagt Wolf über Rieder und bezieht seine beiden Jungs im Team, die auf einem Ski fahren, mit ein. Denn für den gerade 22-Jährigen Leander Kress und den 18 Jahre jungen Christoph Glötzner ist alleine schon die Teilnahme ein Erfolg. „Leander hat das Training genossen, sich von Fahrt zu Fahrt gesteigert und Spaß gehabt. Aber für die beiden gilt: Dabei sein ist alles.“ Glötzner, der nach den Paralympics sein Abitur schreibt, wird erst nach den Speed-Disziplinen einsteigen und im Riesenslalom und Slalom antreten. „Für ihn war das ein bisschen komfortabler, weil er ein bisschen länger schlafen konnte, die anderen mussten immer um 5 Uhr raus zur Abfahrt, das hat schon geschlaucht“, sagt der Bundestrainer.
Wie bei Kress und Glötzner ist Wolf auch bei Noemi Ristau froh, dass sie dabei sein kann. Denn die sehbehinderte Skifahrerin hatte erst Ende September einen Kreuzbandriss, arbeitete mit Guide Paula Brenzel hart am Comeback und konnte zur WM wieder dabei sein. „Da dürfen wir nicht erwarten, dass sie um Medaillen mitfährt, aber die Abfahrt ist da gut, um sich heranzutasten“, sagt Wolf über die WM-Bronzemedaillengewinnerin von 2017.
Nur die Situation in der Ukraine trübt die Laune im deutschen Team, wie Wolf erklärt: „Das hat natürlich nicht zur Entspannung und Regeneration beigetragen, sondern beschäftigt uns schon alle.“ Ansonsten gebe es an den Bedingungen vor Ort und dem Paralympischen Dorf direkt an der Gondel keine Kritikpunkte, sie seien „wie erwartet“ super: „Wenn man keine Grenzen vom Naturschutz und Budget hat, dann geht sowas, wenngleich man sich in puncto Nachhaltigkeit fragen muss: Braucht es das? Die Piste ist gut, Dorf und Essen sind in Ordnung und die Wege sind kompakt.“ Auch das Material auf dem vorher unbekannten Terrain in Yanqing passt: „Jetzt zu den Renntagen soll es merklich kälter werden, da müssen wir vielleicht noch mal was anpassen, aber da haben wir bisher keine Probleme gehabt.“
Quelle: Nico Feißt