Para Schwimmerin Schwarz: "Ich hätte keinen Millimeter weiter schwimmen können"
Am siebten Wettkampftag der deutschen Mannschaft im Para Schwimmen gab es einen Finaleinzug zu bejubeln: Naomi Maike Schwarz schwamm über 100 Meter Freistil (S12) auf Rang sieben. Platzierungen sind jedoch nicht das Wichtigste für die Potsdamerin: Ihr ist in Paris nach vielen schweren Jahren ein erster bedeutender Schritt zurück in den Leistungssport gelungen. "Ich bin unfassbar müde und ausgelaugt. Es waren toughe acht Tage, die wir jetzt hier in Paris sind", sagte die ausgelaugte Naomi Maike Schwarz nach ihrem letzten Rennen in der La Défense Arena von Nanterre.
Während sie zu den Medien sprach, vermischten sich Tränen aus ihren Augen mit dem Wasser aus ihren nassen Haaren und liefen ihr übers Gesicht. "Es ist irre, es ist einfach tough. Es war so viel, so eine Anspannung die letzten Monate. Das letzte Jahr, die letzten Jahre", erzählte die ergriffene Potsdamerin. Hinter Schwarz liegt eine extrem schwere Zeit: Wegen einer Depression hatte sie nicht bei den Spielen in Tokio 2021 teilnehmen können. Ein harter Schlag für die im japanischen Yokohama geborene Schwarz, die sich auf beeindruckende Art und Weise zurück in den Leistungssport und letztendlich nach Paris gekämpft hat.
"Es war auf jeden Fall sehr herausfordernd. Ich hätte nicht gedacht, dass ich überhaupt hier stehe. Vor allem die zwei, drei, vier Stunden vor dem Rennen habe ich ganz schön zu kämpfen und versuche alles nochmal durchzugehen, was ich in der Therapie gelernt habe", sagte Schwarz. Wie ein Uhrwerk gehe sie immer wieder ihre Ängste, Sorgen und Gedanken mit ihrem Trainer Maik Zeh durch. "Ich habe mir viel Kraft für diese Anstrengung, alles mental oben zu halten, genommen", sagte Schwarz, die ihr großes Ziel aber verwirklichte: einfach wieder ins Wasser zu springen. Fünf Mal tat sie dies in Paris, fünf wichtige Schritte auf ihrem Weg zurück zu alter Stärke.
"Ich habe das Leben aus mir heraus geschwommen"
Im Finale am Mittwoch verbesserte sie ihre Vorlaufzeit nochmals: Kam sie am Vormittag nach 1:02,99 Minuten im Ziel an, so konnte sie im Endlauf nach 1:02,73 Minuten auf den 100 Meter Freistil (S8) anschlagen. "Ich bin froh, dass ich mich nochmal steigern konnte. Ich habe heute Morgen gefühlt das Leben aus mir heraus geschwommen. Und war dann eher negativ überrascht von der Zeit", sagte Schwarz, die "auf jeden Fall stolz" auf sich und das Erreichte in Paris ist. "Ich bin nur ehrgeizig wie Sau", schob sie hinterher. "Ich hätte keinen Millimeter weiter schwimmen können, es war Ende im Gelände. Mehr ging nicht." Und mehr ging aus menschlichem Ermessen auch wirklich nicht. Denn das, was Schwarz in diesen Tagen von Paris geleistet hat, war unfassbar viel.
"Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte!"
Mira Jeanne Maack, die in Paris über 100 Meter Rücken (S8) ihre erste Paralympics-Medaille (Bronze) gewinnen konnte, wurde zudem über 400 Meter Freistil (S8) Neunte. Bei ihrem letzten Auftritt in der La Défense Arena schwamm sie Saisonbestleistung, kam nach 5:19,92 Minuten im Ziel an. "Ich bin zufrieden mit meinem Rennen, es war eine Saisonbestleistung. Ich habe jetzt nicht mehr erwartet, weil wir uns absolut nicht darauf vorbereitet haben", sagte die Berlinerin, für die die 400 Meter Freistil die letzte Strecke bei den Spielen in Paris bedeuteten.
Die zweite Teilnahme an den Paralympics – und über 100 Meter Rücken (S8) gab es die erste Medaille: "Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte", zeigte sich die Berlinerin stolz. Ihr freudiges Strahlen im Gesicht und ihre leuchtenden Augen, als sie samt ihrer Bronzemedaille beim Medal Walk durchs Deutsche Haus zog und mit lautem Applaus begrüßt wurde, ist eine der schönsten Aufnahmen, die in den vergangenen Tagen über die Bildschirme im Deutschen Haus geflackert ist.
Maack schaut bereits nach vorne: "Ich habe total Bock auf L.A.! Das ist jetzt das nächste große Ziel. In den nächsten vier Jahren wird sich auf jeden Fall darauf fokussiert. Und dann mal schauen", sagte die Athletin vom Berliner Schwimmteam, der man bei den kommenden Spielen in den Vereinigten Staaten von Amerika erneut zutraut, wieder alles zu schaffen, was sie sich vornimmt.
Die dritte Starterin des deutschen Teams war am Mittwochvormittag Gina Böttcher. Die Athletin vom SC Potsdam wurde Elfte auf den 50 Metern Brust, schlug nach 1:12,89 Minuten im Ziel an. "Ich bin jetzt nicht sauer, dass es keine Bestzeit war. Wir haben da keinen Fokus drauf gelegt", sagte Böttcher, die in der Schwimmarena Eindruck auf ihrem Weg zum Wettkampfbecken schindet: Die Potsdamerin ist immer mit dem Skateboard unterwegs, auch die Social-Media-Kanäle der ARD-Sportschau sind darauf aufmerksam geworden.
Böttcher konnte am Dienstag ein wenig abschalten: Ihre Schwestern waren im paralympischen Dorf zu Gast, Böttcher zeigte ihnen dort alles. Danach ging's zu ihrer Familie in die Fereinwohnung, wo zusammen "gegessen, gechillt und gequatscht" wurde. Die 23 Jahre alte Schwimmerin trainierte nach dem Besuch bei ihrer Familie direkt fleißig weiter, denn am Sonntag stehen die 50 Meter Rücken an: "Das ist mein Hauptrennen. Ich möchte auf jeden Fall nahe an meine Bestzeit heran oder sie sogar toppen", sagte Böttcher.
Am Donnerstag gehen insgesamt sechs deutsche Schwimmerinnen und Schwimmer an den Start. Unter anderem kommt es bei den Paralympicssiegern von Tokio, Elena Semechin und Taliso Engel, zum großen Showdown: Beide treten auf ihrer jeweiligen Paradedisziplin an – die 100 Meter Brust.
Text: Patrick Dirrigl / DBS