Deutsche Rollstuhlbasketballerinnen: Teamchemie als Erfolgsgarant?
Als am Sonntag viele der deutschen Athletinnen und Athleten noch gar nicht ins paralympische Dorf eingezogen waren, bittete Dirk Paßiwan seine Rollstuhlbasketballerinnen bereits zum Testspiel gegen die Spanierinnen. „Da konnten wir ein bisschen ausprobieren und alle ins Turnier bringen, das war ganz gut“, sagt der Bundestrainer und ergänzt: „Wir hatten ein paar kleine Wehwehchen, jetzt sind alle fit und bereit. Die Stimmung ist super, das Dorf ist schön – wir freuen uns, dass es losgeht.“
Paßiwans Aufgabe ist nicht einfach. Die einst so erfolgsverwöhnten deutschen Rollstuhlbasketballerinnen, die 2012 in London Paralympics-Gold gewannen und 2008 und 2016 Silber holten, warten seit fünf Jahren – seit EM-Bronze 2019 – auf eine Medaille. Die Paralympics und EM 2021, die EM und WM 2023: Am Ende blieb jedes Mal Rang vier. Und der Modus ist härter als je zuvor: Erstmals nehmen nur acht Teams an den Spielen teil, wodurch fast nur Top-Mannschaften in der Bercy Arena aufs Feld rollen werden.
À propos Bercy Arena: Am Montag fand dort das erste Training statt, „die große Halle war schon beeindruckend für einige, die noch keine Paralympics gespielt haben“, sagt Trainer Paßiwan, der selbst bei drei Sommerspielen als Spieler dabei war und jetzt erstmals an der Seitenlinie steht: „Die Halle scheint auch gut voll zu sein von den Tickets her, weil wir zwei Sessions mit den französischen Herren zusammen haben.“
„Gut, dass viele Vereine auf Mädels setzen“
Die Stimmung und Vorfreude sind also bereits auf Höchstlevel, doch das ist auch notwendig, um sich in der Gruppe mit den USA (30. August, 16 Uhr), Japan (1. September, 12.45 Uhr) und den Alles-Gewinnerinnen aus den Niederlanden (2. September, 21.30 Uhr) zu behaupten. „Wir haben eine sehr, sehr gute Teamchemie, was uns hoffentlich auch im Turnier tragen wird“, sagt Paßiwan, bei dem fünf von zwölf Spielerinnen ihre Paralympics-Premiere feiern: „Wir haben eine gute Mischung aus jungen Spielerinnen und erfahrenen wie Anne Patzwald, Maya Lindholm und Mareike Miller.“
Nach Tokio hatten Leistungsträgerinnen aufgehört, die langjährige Topscorerin Katharina Lang war nach der WM im vergangenen Jahr aus Klassifizierungsgründen nicht mehr spielberechtigt. „Es ist gut, dass viele Vereine auf Mädels setzen“, lobt Paßiwan, „wir haben 2021 die Philosophie begonnen, dass wir als Team und damit auch die Lowpointerinnen gefährlicher sein wollen, damit die Last nicht nur auf den Schultern 4,5-Punkte-Spielerinnen liegt. Wir wissen, dass wir mit Mareike eine absolute Weltklasse-Spielerin haben, die das Team führen muss, aber natürlich müssen auch alle anderen ihre Chancen nutzen.“
Viele Testspiel-Niederlagen: „Es geht jetzt neu los, bei Null“
Viel habe sein Team in den vergangenen Testspielen daran gearbeitet, um defensiv höher zu stehen und agressiver zu verteidigen, verrät Paßiwan – offensiv solle zudem immer viel Bewegung sein, um variabel zu bleiben. Die Gegnerinnen – Großbritannien, Kanada, Niederlande – waren die Spitzenmannschaften schlechthin. „Von den Ergebnissen her war es schwierig, wir haben mehr verloren, als wir gewonnen haben“, sagt Paßiwan und dämpft die Erwartungen, die an eine deutsche Damen-Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft immer gestellt werden: „Wir sagen uns aber auch: Es geht jetzt neu los, bei Null. Wir haben eine schwere Gruppe, aber nach der Vorrunde geht das Turnier noch mal neu los. Ab dem Viertelfinale geht es darum, die Siege zu holen – mit zweien hat man die Medaille sicher.“
Davor wartet aber die Gruppenphase, in der es nur darum geht, vermeintlich leichtere Viertelfinalgegnerinnen zu bekommen. „Es ist eine schwere Gruppe mit zwei Top-Favoriten und einem Außenseiter“, sagt Paßiwan und blickt voraus: „Das Gute ist, dass wir USA und Niederlande in der Gruppe haben und die nicht im Viertelfinale bekommen können. Obwohl die Niederlande alles gewonnen hat in den vergangenen Jahren, ist die USA für mich einer der Titelfavoriten. Sie können alle werfen, alle scoren, haben eine gute Geschwindigkeit – das wird ein schweres Auftaktspiel.“ Danach folgt mit Japan ein „Must-Win“, anschließend besagte erfolgsverwöhnte Niederlande. Im Viertelfinale könnten dann Spanien, China, Großbritannien oder Kanada warten. „Spanien wäre der vermutlich leichteste Gegner, die anderen drei sind relativ gleich, sodass es interessant wird, wer wo landet. Wir müssen alles abrufen, um zu gewinnen – nur mit einer sehr guten Leistung können wir ins Halbfinale einziehen.“