Aktuelles aus Vancouver 2010

Handbike-Paralympicsiegerin Andrea Eskau sucht im Schlitten neue Herausforderung

Trainingsmöglichkeit gesucht und eine neue Herausforderung im Wintersport gefunden. Die Paralympic-Siegerin und Doppel-Weltmeisterin im Handbike, Andrea Eskau, fährt in Zukunft sportlich doppelgleisig und strebt im Skischlitten auf Anhieb einen Start bei den Paralympics in Vancouver an.

Nur denkbar knapp verpasste die 38-jährige gleich beim Einstand im Weltcup im Dezember die für eine Paralympic-Teilnahme geforderten Normen. Die Plätze vier, sechs und acht in Sjusjoen waren dabei eine kleine Sensation hatte die seit einem Unfall querschnittsgelähmte Diplompsychologin doch erst im letzten Mai die allerersten vorsichtigen Schritte in der für sie neuen Sportart aufgenommen. "Ich hatte von etlichen Sportlern anderer Nationen, wie den Schweizer Bruno Huber oder die Kanadierin Shauna White, zuvor gehört, dass Schlittenfahren im Winter eine optimale Trainingsergänzung zum Handbike-Sport darstellt", begründet sie ihr anfängliches Interesse. Über ihren Chef beim Sportinstitut in Bonn, passenderweise der Vizepräsident Sport im DBS, Dr. Karl Quade, kam dann der Kontakt zu Bundestrainer Werner Nauber zu Stande.

Und auch wenn die im Handbike bereits erfahrene Athletin, 2009 in der Wahl zur Behindertensportlerin des Jahres nach ihren beiden WM-Siegen im September in Italien Zweite hinter der alpinen Skifahrerin Andrea Rothfuss, schnell feststellen musste, dass im Schlitten in Sachen Technik doch gravierende Unterschiede festzustellen sind, waren ihre Fortschritte für den Bundestrainer schnell erkennbar. "Schlittenfahren ist technisch viel anspruchsvoller als das Handbike", so Andrea Eskau, "lenken und bremsen ist nicht so einfach und auch Windschattenfahren gibt es nicht. Man muss sich jeden Meter vorwärts immer erkämpfen; das ist ein noch ehrlicherer Sport."

Respekt aber kennt sie nicht, und den der ausländischen Konkurrenz hat sie sich gleich auf Anhieb auch erarbeitet. "Die haben ganz schön geschaut, als wieder einmal eine deutsche Schlittenfahrerin am Start war, und das auch noch gleich mit den guten Resultaten", so Werner Nauber zu seinen Eindrücken der Weltcuprennen in Norwegen. Und in der Tat: seit den Starts der heute noch als Leichtathletin erfolgreichen Martina Willing bis zu einem Unfall bei den Paralympics 1994 in Lillehammer gab es keine deutsche Schlittenfahrerin mehr. Und die Frauenquote im deutschen nordischen DBS-Team ist mit dem Einstieg von Andrea Eskau gleich um 100 Prozent gestiegen: die blinde Läuferin Verena Bentele ist endlich keine Einzelkämpferin mehr.

Dass die auch schon bei etlichen Marathons erfolgreich im Handbike gestartete Andrea Eskau dann bei den Wintersportlern auf Anhieb so einschlagen würde, war auch von ihr selbst schon wegen des vorherigen geringen Trainings auf Schnee kaum zu erwarten gewesen: "Ich hatte vorher fast nur in der Halle geübt und der erste Gletscherlehrgang musste leider bei ganz schlechten Bedingungen stattfinden." Mittlerweile aber konnte sie bei besten Verhältnissen zwei Lehrgänge in Oberwiesenthal absolvieren, fühlt sich zunehmend wohler im Schnee und hat auch die notwendige spezifische Kraft weiterentwickelt. Und das in einem speziell auf ihre Verhältnisse von der auch in der Handbike-Produktion tätigen Firma Schmicking Rehasport zugeschneiderten Schlitten.

Zur Verblüffung des Bundestrainers machte sie zudem riesige Fortschritte im Schießen, was in den Biathlon-Rennen einiges verspricht. Mit entsprechenden Umbauten, die allerdings vor den nächsten Rennen noch genehmigt werden müssen, wurde zudem ihre Schießposition entscheidend verbessert, "denn ich konnte wegen meiner speziellen Behinderung zunächst nicht richtig liegen, um entsprechend zielen zu können. Beim letzten Lehrgang hat es am Schießstand aber richtig super geklappt." In vier von zehn Fünfer-Serien zielte sie immer ins Schwarze.

Auf Grundlage aller jüngeren Erkenntnisse sind sowohl Werner Nauber, als auch Andrea Eskau selbst absolut sicher, dass bei den kommenden Rennen in Bessans (Frankreich) und Oberried (Schwarzwald) die notwendigen Platzierungen und Zeiten erreicht werden, um das Ticket für Vancouver zu buchen. Auf die Reise nach Kanada freut sich die Athletin ganz besonders, stand der Aufenthalt bei den Sommer-Paralympics in Peking 2008 trotz des Sieges im Straßenrennen wegen großer gesundheitlicher Probleme unter keinen all zu guten Stern: "Ich konnte das Erlebnis Paralympics noch gar nicht so richt genießen; das will ich in Kanada auf jeden Fall nachholen."

Als Sporttouristin allerdings fühlt sich Andrea Eskau in keiner Weise. Zwar könne sie, die erfolgreiche Qualifikation vorausgesetzt, die Rennen der Paralympics in Whistler im Gegensatz zu ihren bisherigen Auftritten im Handbike erst einmal ohne den ganz großen Erfolgsdruck von außen angehen. Aber chancenlos sogar im Medaillenkampf fühlt sie sich nach den jüngsten Verbesserungen nicht. "Vor allem im Biathlon kann viel passieren", kündigt sie ihrer zumeist osteuropäischen Konkurrenz harten Widerstand an. Mit der will sie sich übrigens auch über die laufende Saison auseinandersetzen: "Ich möchte schon im Schlitten auch in den kommenden Wintern an Wettkämpfen teilnehmen. Schließlich waren auch die Anschaffungen, die ich für diesen komplexen Sport tätigen musste, nicht gerade billig. Das muss sich ja lohnen."