Aktuelles von den Paralympics

Doppelte Hochleistung: Sport und Studium

Marc Schuh ist seit seiner Geburt auf den Rollstuhl angewiesen. Er kam mit einem Kaudalen Regressionssyndrom auf die Welt, das heißt, ihm fehlt das letzte Stück der Wirbelsäule. Dadurch hat er eine starke Wirbelsäulenverkrümmung sowie eine Fehlbildung der Beine und der Hüfte, die ihm das Laufen unmöglich macht. Was er mit den Beinen nicht kann, macht er mit den Armen. Marc Schuh ist ein sportliches Ausnahmetalent, dessen geschickter Umgang mit dem Rollstuhl auf die Umsichtigkeit seiner Eltern zurückzuführen ist. „Es war ihnen von Anfang an wichtig, dass ich lerne, gut mit dem Rollstuhl umzugehen. Deshalb haben sie mich bereits mit vier Jahren beim Rollstuhlclub Köln angemeldet, wo ich später in der Rollstuhlbasketballmannschaft gelandet bin“, erzählt Marc Schuh.

„Mannschaftssport ist nichts für mich“

Doch der Mannschaftssport verlor schnell seinen Reiz. „Ich wollte Leistung bringen und das konnte ich in einer Mannschaft nicht, in der das Niveau zwischen den Spielern so unterschiedlich war“, sagt er. „Als ich dann zum ersten Mal die großen Marathon-Cracks gesehen habe, war ich beeindruckt und wollte das auch können.“ Der kurz darauf angeschaffte Rennrollstuhl kam aber erst eineinhalb Jahre später zum Einsatz. Während eines Schnellfahrlehrgangs bekam er die Möglichkeit, den Umgang mit diesem Sportgerät zu lernen. Und als sich Marc Schuh dazu entschloss, beim Rennsport zu bleiben, geriet er schon bald in den Besitz eines passenden Rennrollstuhls des ehemaligen Paralympics-Siegers Robert Figl. „Robert und ich haben die gleichen Körpermaße, so dass ich endlich einen halbwegs passenden Rollstuhl hatte.“ Mit dem ist er dann auf die Bahn gegangen und hat allein trainiert.

Gut fünf Jahre ist es her, als Marc Schuh mit damals 17 Jahren zum ersten Mal mehrfacher Deutscher Hallenmeister mit dem Rennrollstuhl wurde. Und das, nachdem er erst zwei Jahre zuvor mit gezieltem Training begonnen hatte. „Ich kam damals von den Juniorenweltmeisterschaften in Stoke in England und stellte fest, dass ich zwar Vizeweltmeister war, aber gar keinen Trainer hatte“, schildert er die damalige Situation. Mit dem Gefühl, irgendetwas könne damit nicht ganz richtig sein, habe er deshalb Kontakt mit anderen im Stadion trainierenden Läufern aufgenommen, die ihn an den Diplom-Sportlehrer Klaus Höller verwiesen. Inzwischen ist Marc Schuh 22 Jahre alt, hat einen ganzen Trainerstab aus seinem Heimtrainer, der Trainerin des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) Marion Peters und dem Trainer des Olympiastützpunktes in Heidelberg Helmut Müller und hat sich nicht zuletzt mit Hilfe eines Managers zu einem Profisportler durch und durch entwickelt. Und bis dahin war es ein langer, aber sehr geradliniger Weg, der ihm früh geebnet wurde und den er mit einer gehörigen Portion Selbstmotivation und Ehrgeiz gegangen ist.

Optimale Bedingungen und Perfektionismus sind Teil des Trainings

Inzwischen hat er dank der hervorragenden Betreuung und der optimalen Trainingsbedingungen in Heidelberg, wo „das Miteinander von olympischen und paralympischen Sportlern perfekt ist“, wie Marc Schuh erlebt, viele Siege und gute Zeiten erreicht. Bis zu zehn Trainingseinheiten pro Woche und das Physikstudium lassen Marc Schuh dabei kaum Zeit für anderes. „Da ich aber den ganzen Tag meinen Hobbys, dem Sport und der Physik, nachgehe und beides gewissermaßen zu meinem Beruf gemacht habe, vermisse ich so etwas wie Freizeit gar nicht“, sagt der 22-Jährige. Drei mal pro Woche Krafttraining, bis zu vier Einheiten Sprint und Reaktionstraining sowie drei Einheiten Ausdauertraining und Regeneration pro Woche und nicht zuletzt „Perfektionismus als einer der Bestandteile des Trainings“ haben Marc Schuh inzwischen weit gebracht. Auch sein Physikstudium nutzt er, um sein Material und die Technik zu verbessern. „Dadurch habe ich es geschafft, immer noch ein bisschen mehr aus mir und dem Rolli herauszukitzeln“, sagt der Student stolz.

Der Durchbruch seiner Karriere gelang Marc Schuh 2008. „Da habe ich alles gewonnen und mich für die Paralympics in Peking qualifiziert“, erinnert er sich. Nach dem Erreichen des Halbfinals reihten sich die Erfolge in den kommenden Jahren aneinander. 2009 verbesserte er die Deutschen Rekorde über 100, 200 und 400 Meter, wurde Juniorenweltmeister U23 über 100, 200 und 400 Meter sowie mit der 4 x 100 Meter Staffel und erzielte über 400 Meter die weltweit schnellste Zeit. Als Weltranglistenerster fuhr er dann zu den IWAS-Weltmeisterschaften der Erwachsenen in Bangalore (Indien), wo er die 400 Meter für sich entschied. „Das Niveau, das ich 2011 erreicht hatte, war durchaus schon mit dem der diesjährigen Paralympics vergleichbar“, sagt Marc Schuh nicht ohne Stolz. Das will er in London beweisen.

Top 3, Master, Promotion

Seine Ziele dafür formuliert er deutlich: „Unter die Top 3 möchte ich schon fahren.“ Allerdings habe sich die Leistungsdichte während der vergangenen Jahre enorm zusammengeschoben. „Als Weltranglistenerster 2011 bin ich in der Position des Gejagten. Rund ein halbes Dutzend Athleten fährt zurzeit im Zwei-Zehntel-Abstand, da ist die jeweilige Tagesform entscheidend“, beschreibt Marc Schuh die aktuelle Situation und blickt schon voraus: „Vom Leistungsniveau und vom Alter her könnte ich noch zwei weitere Paralympics erleben.“ Wenn die finanzielle Frage beantwortet ist und sich genügend Sponsoren für das Ausnahmetalent engagieren, wird er zunächst in jedem Fall noch vier Jahre weitermachen. Außerdem stehen das Masterstudium und eine Promotion auf der Agenda des 22-Jährigen. „Dank meiner Professoren sollte beides in Kombination mit dem Sport möglich sein.“ Und das trotz seiner größten Herausforderung – dem Zeitmanagement. Schließlich ist auch das Studium eine Art Hochleistungssport, in dem Marc Schuh ebenfalls Topleistung bringen will.