Aktuelles aus dem Behindertensport
Stellungnahme zum Fall Oscar Pistorius
Die Ereignisse im Haus von Oscar Pistorius und ihre Folgen haben die internationale paralympische Bewegung und damit auch den Deutschen Behindertensportverband aufgewühlt und schockiert. Viele Mitglieder und Funktionsträger unseres Verbandes müssen Fragen beantworten und Interviews geben, die Pressestelle wird um Stellungnahmen und Kommentare gebeten. Da die Welle des öffentlichen Interesses anhalten wird, hat DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher einige Gedanken zum Fall Pistorius ausgesprochen. Beucher sagte am Freitag in der DBS-Zentrale in Frechen bei Köln:
„Wir können uns nicht damit herausreden, dass Oscar Pistorius Südafrikaner ist und uns das, was sich in weiter Ferne auf der anderen Seite der Erde abspielt, nichts angeht. Oscar Pistorius ist eine Symbolfigur für alle Sport treibenden Menschen mit Behinderungen. Wir bewundern ihn als Sportsmann, weil er Außergewöhnliches geleistet hat und dem Ideal nahegekommen ist, sich mit nichtbehinderten Läufern auf Augenhöhe zu messen. Er ist er ein Vorbild für alle behinderten Menschen, die auf Prothesen angewiesen sind.
Zu allererst gehört unser Mitgefühl der Familie und dem Freundeskreis von Reeva Steenkamp, die auf tragische Weise ums Leben gekommen ist. Sie wurde Opfer einer Tat, deren Hintergründe wir nicht kennen und deren Ablauf wir nicht beurteilen können. Zu den Spekulationen und Sensationsmeldungen, die von Medien verbreitet werden, äußern wir uns nicht. Die Aufklärung liegt in Händen der südafrikanischen Polizei-, Ermittlungs- und Justizbehörden.
Der Präsident des International Paralympic Commitee (IPC), Sir Philipp Craven, hat erklärt, dass alle unsere Athletinnen und Athleten weltweit höchste Aufmerksamkeit und Sympathie genießen. Unabhängig vom Fall Pistorius werden wir nicht nachlassen, die Welt davon zu überzeugen, dass der Behindertensport erheblich zur Gleichbehandlung von Menschen mit und ohne Behinderung beiträgt.
Ich bin und bleibe der Meinung, dass wir die sportlichen Meisterleistungen, die Oscar Pistorius erbracht hat, von seinem menschlichen Verhalten trennen müssen. Das Ansehen, das er uns verschafft hat, ist dauerhaft mit seinem Auftreten und seinem Profil als Ausnahmesportler verbunden.
Menschen mit Handicaps sind keine besseren Menschen, aber auch keine schlechteren. Im Profisport, wo vor allem mit Werbeverträgen Millionen verdient werden, sind manche Stars anfällig geworden für Verführungen außerhalb der normalen Lebenswirklichkeit. Beispiele aus jüngster Zeit sind der Radfahrer Lance Armstrong, der Golfer Tiger Woods, der Boxer Mike Tyson oder die Leichtathletin Marion Jones.
Ob Oscar Pistorius Medikamente, Dopingmittel oder Drogen zu sich genommen hat, können wir nicht wissen. Auch diese Aufklärung überlassen wir den zuständigen Gremien und Behörden. Der pauschale Verdacht, behinderte Spitzensportler würden systematisch leistungssteigernde Wirkstoffe einnehmen, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Es gibt Regelwerke, die wir strikt einhalten und Kontrollen, denen wir uns selbstverständlich stellen. In eine solche Debatte lassen wir uns nicht hineinziehen – erst recht nicht, solange nur unbewiesene vage Vorwürfe erhoben werden.
Die Lehre aus dem Fall Pistorius, der viele Emotionen freisetzt und manche zu voreiligen Schlüssen führt, muss sein: Unser ständiges Bemühen, den Sport von Menschen mit Behinderung voranzubringen, darf unter dieser menschlichen Tragödie nicht leiden. Wir bleiben auf dem Boden und werden unsere tägliche Arbeit im Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport ebenso beharrlich fortsetzen wie unseren Kampf für das große Ziel der Inklusion. Auch dafür war Oscar Pistorius ein Aushängeschild. Diesen Vorzeige-Athleten für unsere Ideen werden wir vermissen.“