Aktuelles aus dem Behindertensport

Paralympics sind eine einmalige Chance

Friedhelm Julius Beucher

Am 5. und 6. Juni findet der Tag ohne Grenzen auf dem Hamburger Rathausmarkt statt. Auch der Deutsche Behindertensportverband (DBS) wird sich dort mit einem Stand präsentieren und durch den Vizepräsidenten Leistungssport, Dr. Karl Quade, den Vizepräsidenten Medizin, Dr. Roland Thietje, den Vizepräsidenten Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport, Thomas Härtel und den Vorsitzenden der Deutschen Behindertensportjugend, Lars Pickardt vertreten sein. Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Behindertensportverbandes, sieht hier eine Chance, Barrieren abzubauen, und erklärt in diesem Interview, warum die Paralympische Bewegung mithelfen kann, die Welt im positiven Sinne zu verändern. 

Herr Beucher, mit welchem Gefühl denken Sie an die Paralympics 2012 in London, wenn Sie sich heute zurückerinnern?

Die Paralympics von London waren bisher das Maß aller Dinge. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen. Und die Paralympics sind inzwischen das drittgrößte Sportereignis der Welt. In London ist unwahrscheinlich eindrucksvoll unterstrichen worden, dass ein ganzes Land und Besucher aus aller Welt die Paralympics mitgelebt haben.

Wie hat sich diese Stimmung ausgewirkt?

Das intensive und kontinuierliche Interesse hat es in diesem Ausmaß noch nie bei den Paralympics gegeben. Das Leichtathletikstadion war beispielsweise jeden Tag von morgens 9 Uhr bis in den späten Abend hinein ausverkauft. Auf den Übertragungsflächen im Olympic Park waren zusätzlich bis zu 300.000 Zuschauer, die sich die Wettkämpfe beim Public Viewing angesehen haben. Die Atmosphäre war einfach nur sensationell.

Können Sie sagen, warum die Paralympics in London so außergewöhnlich waren?

Die Olympischen Spiele haben zuvor eine große Begeisterung in der Stadt hinterlassen. Wenn man vom Flughafen in die Innenstadt fuhr, begrüßten einen überall riesige Werbe- und Reklametafeln mit dem kecken Hinweis: „Thank you for your warm up“. Das ließ schon vermuten, dass wir hier etwas Beschwingtes und etwas ganz anderes wahrnehmen würden, als wir bisher bei Paralympics je erlebt hatten.

Sind Sie der Meinung, dass es dem Sport von Menschen mit Behinderung in Deutschland noch an Aufmerksamkeit fehlt?

Wir befinden uns auf einem stetigen Weg nach oben, aber ganz nach oben ist noch immer viel Luft. Ich freue mich darüber, dass inzwischen tägliche Direktübertragungen zum Standard gehören, aber bei der Quantität kann noch einiges nachgelegt werden. Die öffentliche Wahrnehmung zwischen den Paralympics alle vier Jahre ist zwar nicht mehr das ganz tiefe Loch, in das wir fallen. Aber sie ist noch nicht zufriedenstellend.

Profitiert der Behindertensport von einer deutschen Bewerbung um die Spiele 2024?

Zunächst ist die Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland ein gewaltiger und wichtiger Schritt. Die Chance für Menschen mit Behinderung, bei Spielen im eigenen Land dabei zu sein, ist einfach einmalig. Auch die damit einhergehende verstärkte Öffentlichkeit wäre grandios. Aus Sicht des Deutschen Behindertensports ist es deshalb ungeheuer wichtig, dass wir in Deutschland Olympische und Paralympische Spiele veranstalten. Nicht zuletzt kann man die Strahlkraft der Paralympics nutzen, um Skeptikern gegenüberzutreten, die das Turnier mit Gigantomanie gleichsetzen. Das ist es nämlich nicht. Wir dürfen nicht alles in einen Sack stecken.

Können Paralympische und Olympische Spiele die Stadt und die Gesellschaft Hamburgs, aber auch Deutschlands weiterbringen?

Die Stadt kann natürlich unmittelbar das wahrnehmen, was die Besonderheit von Paralympischen Sportarten ausmacht: Den Menschen anschaulich verdeutlichen, zu welchen enormen Leistungen Menschen mit Behinderung in der Lage sind - da wird das Unvorstellbare möglich. Und dafür kann Hamburg, als eine weltoffene und tolerante Großstadt, einen gewichtigen Beitrag leisten.

Können Paralympics die Welt verändern?

Ja, der Paralympische Sport und der Sport von Menschen mit Behinderung ist ein Inklusionsmotor in der weltweiten Debatte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Teilhabe an paralympischen Wettkämpfen schafft Bewusstseinsveränderungen. Menschen verschiedener Kulturen werden sich genauso wie mit Menschen unterschiedlicher körperlicher oder geistiger Voraussetzungen austauschen. Sie kommen in Berührung und überwinden vermeintliche Ängste, aufeinander zuzugehen. Die Paralympische Bewegung kann mithelfen, die Welt im positiven Sinne zu verändern.

Ebnen die Paralympischen Spiele den Weg zu einem einfacheren Alltag für Menschen mit Behinderung, auch langfristig?

Barrierefreiheit, wie beispielsweise der Nahverkehr, Aufzüge, behindertengerechte Sporthallen oder selbst Toiletten sind keine alleinigen Notwendigkeiten für Sportler mit Behinderung. Das hilft dem Menschen mit Sehbehinderung, das hilft der Mutter oder dem Vater mit dem Kinderwagen, das hilft dem älteren Menschen mit dem Rollator. Durch Hamburgs Bewerbung um die Spiele und die infrastrukturellen Baumaßnahmen entsteht ein wunderbarer Mitnahmeeffekt, von denen ein enormer Anteil der Bevölkerung profitieren würde.

Am 5. und 6. Juni findet der Tag ohne Grenzen statt; bei dem Begegnungen, Austausch und das Ausprobieren von Behindertensportarten im Vordergrund stehen. Was erwarten Sie von dieser Veranstaltung?

Der Tag ohne Grenzen, da bin ich bereits jetzt von überzeugt, hilft, die Barrieren in den Köpfen der Gesellschaft abzubauen. Viele Veränderungen scheitern daran, dass sie nicht vorstellbar zu sein scheinen. Wenn man jedoch sieht, was alles geht und es im wahrsten Sinne begreifen, anfassen und hautnah erleben kann, sind Veränderungen zu schaffen. Das wird eine wunderbare Veranstaltung, die das natürliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung ermöglicht. Ich bin froh, dass der Tag ohne Grenzen in Hamburg veranstaltet wird und wünsche mir, dass viele Hamburgerinnen und Hamburger, aber auch Bürger aus anderen Orten, diese Art der Begegnung miterleben wollen.

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