Aktuelles aus dem Behindertensport

Laura Darimont: „Ich fühle mich nicht behindert“

Die arm-amputierte Leichtathletin Laura Darimont ist gerade mal 20 Jahre alt, trotzdem könnte sie in diesem Sommer bereits zum zweiten Mal für Deutschland bei den Paralympischen Spielen starten. Darimont trainiert beim TSV Bayer 04 Leverkusen, ist dort ein Schützling der ehemaligen Weltmeisterin Steffi Nerius. Seit der Geburt fehlt ihr ein Teil des linken Unterarms und die linke Hand. Ein Handicap? Nicht für Laura Darimont. Täglich pendelt sie zwischen Leverkusen und Köln, studiert parallel zum Training an der Sporthochschule Köln. Sie lebt vor: Im Sport gibt es manchmal noch mehr zu gewinnen als nur Gold, Silber oder Bronze. Daher unterstützt Darimont auch den nun offiziell ausgetragenen Wettbewerb ‚Jugend trainiert für Paralympics‘.

Laura Darimont, Sie sind Leistungssportlerin, trainieren nahezu täglich in Leverkusen und studieren an der Sporthochschule Köln. Inwieweit können Sie sich mit der Kategorie ‚behindert‘ überhaupt identifizieren?

Mir fehlt ein Arm, ob ich behindert bin, das sei jetzt mal dahingestellt. Dass ich heute so offen mit meiner Behinderung umgehen kann und meinen Arm nicht mehr verstecke, ist wahrscheinlich nur dem Sport zu verdanken. Erst dadurch bin ich überhaupt selbstbewusst geworden. Früher habe ich oft Pullis mit langen Ärmeln getragen, weil ich meinen Arm verstecken wollte. Das ist jetzt nicht mehr nötig.

Mit gerade 17 Jahren waren Sie vor vier Jahren eine der jüngsten deutschen Teilnehmer an den Paralympics in Peking. Zum Start der Sommer-Saison: Wie läuft die Vorbereitung auf die Spiele in London?

Ich habe im Speerwurf die A-Norm bereits geworfen, mit 29,14m bei den deutschen Hallen-Meisterschaften im Winter. Trotzdem weiß ich noch nicht, ob ich tatsächlich mit nach London darf.  Das hängt davon ab, wie viele Plätze die deutschen Leichtathleten bei den Paralympics bekommen. Danach wird dann in allen Disziplinen geschaut, wer die A-Norm geschafft hat und dann wird ausgewählt. Und die Nominierung ist erst am 21. Juli 2012.

In Peking sind Sie noch im 100m und im 200m Sprint an den Start gegangen. Warum konzentrieren Sie sich bei den Paralympics in diesem Jahr auf den Speerwurf?

Ich könnte die Qualifikation vielleicht schaffen, aber bei der internationalen Spitze könnte ich nicht mithalten. Wenn ich dabei bin, will ich aber auch etwas erreichen. Im Speerwurf könnte ich in London mit einem guten Wurf durchaus unter die ersten Fünf kommen.

Eine Teilnahme an den Paralympics - die Deutsche Behindertensportjugend will diesen Traum Kindern und Jugendlichen mit Behinderung ein Stück weit näher bringen. Vom 10.-13. Mai 2012 findet daher zum ersten Mal offiziell ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ statt. Als Pendant zum Schulsportwettbewerb ‚Jugend trainiert für Olympia‘ messen sich in Kienbaum/Berlin Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung aus der gesamten Bundesrepublik in verschiedenen Disziplinen. Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken, hätten Sie an einem solchen Wettkampf auch gerne teilgenommen?

Bestimmt, auch wenn ich keine Förderschule besucht habe und das daher wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Meine Schule hat einmal an ‚Jugend trainiert für Olympia‘ teilgenommen, aber damals war ich noch zu jung dafür. Später, als ich alt genug war, gab es das an meiner Schule nicht mehr.

Wie schätzen Sie die Nachwuchsförderung im Behindertensport in Deutschland ein? Inwieweit kann eine Veranstaltung wie ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ hier etwas bewirken?

Es wird viel zu wenig im Nachwuchsbereich für den Behindertensport getan. Viele Kinder stoßen bei uns in Leverkusen zum Verein und sagen: Ich wusste gar nicht, dass es Wettkämpfe nur für Behinderte gibt. Zudem trauen sich behinderte Kinder oft nicht Sport oder gar Leistungssport zu treiben. Eine Veranstaltung wie ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ kann helfen, ihnen die Scheu davor zu nehmen und sie kann ihnen helfen, sich besser zu integrieren.

Mit ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ soll die Breite im Behindertensport gefördert werden, sie konzentrieren sich als Athletin mittlerweile voll auf den Leistungssport. Wie kam damals die Entscheidung dazu zustande?

Ich habe mit sechs Jahren beim TV Saarwellingen im Saarland angefangen, ganz normal in der Leichtathletik-Kindergruppe. Das lief gut und es wurde klar, wenn ich mit den Nicht-Behinderten gut mithalten kann, dass ich dann bei den Behinderten zur Spitze gehören würde. Irgendwann sieht man eben ein, dass man behindert ist. (lacht) Von 2005 an habe ich mich daher auf den Behindertensport konzentriert, ich habe an Sichtungen teilgenommen, zwei Mal den Verein gewechselt und mein Training intensiviert.

Parallel zur Leichtathletik studieren Sie an der Sporthochschule Köln Sport auf Lehramt. Den Speer werfen Sie mit rechts, aber wie lässt sich ein komplettes Sport-Studium und die Aufnahmeprüfung an der Sporthochschule meistern?

Ich hätte für die Aufnahmeprüfung in Köln eine Sondergenehmigung bekommen können, aber ich habe sie auch so bestanden. Ich bin mittlerweile im 5. Semester und es klappt wirklich gut. Je nach Disziplin verwende ich Hilfsmittel oder versuche mir irgendwie anders zu helfen. Beim Schwimmen zum Beispiel habe ich eine Prothese mit einer Art Paddel über meinem linken Arm, in den Leichtathletik-Kursen verwende ich meine Prothese, die ich vom Leistungssport habe. Im Volleyball geht es auch ganz ohne, ich pritsche mit beiden Armen und baggere mit einem. Ich war selbst überrascht, wie gut das klappt.

Wie groß wird die Belastung in den kommenden Wochen werden, wenn Uni und Vorbereitung auf die Paralympics parallel laufen?

Ich bin es gewohnt, dass ich beides unter einen Hut bringen muss. Ich trainiere von Montag bis Freitag in Leverkusen, meistens nachmittags und vormittags bin ich dann an der Uni. Samstags trainiere ich nochmal zusätzlich in Köln. Wenn jetzt demnächst Trainingslager anstehen, muss ich mit meinen Dozenten sprechen, ob und wie oft ich fehlen darf. Im Training konzentriere ich mich nun voll auf London, daher muss ich im Studium Sportarten mit einem zu großen Verletzungsrisiko vermeiden. Ringen ist zum Beispiel erst nach London dran.

Sie erzählten, der Sport habe Ihnen geholfen, selbstbewusster zu werden. Können Sie diesen Prozess beschreiben, wie kann Sport Kindern mit Behinderung zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen?

In Mannschaftssportarten, zum Beispiel im Basketball oder im Fußball, kommt man mit anderen in Körperkontakt. Wenn behinderte Kinder mit nicht-behinderten Kindern zusammenkommen, können sie Berührungsängste verlieren, weil sie sehen: Den anderen macht meine Behinderung vielleicht gar nicht so viel aus, wie ich dachte. Die finden das gar nicht schlimm.

Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

Als ich an die Sporthochschule gekommen bin, gab es da am Anfang einige Kennenlernspiele, bei denen man sich an den Händen fassen muss. Jedes Mal habe ich mich gefragt, nimmt mein Nebenmann meinen Arm oder nicht? Aber es gab immer nur positive Reaktionen. Alle fanden es toll, wie ich das geschafft habe, haben mir Mut gemacht. Auch bei meinem Praktikum, als ich in einer Schule hospitiert habe, gab es keine negativen Reaktionen. Die Schüler in den Klassen, in denen ich unterrichtet habe, sind damit alle sehr locker umgegangen. Sie waren eher neugierig und interessiert. Einige haben gesagt: „Dein linker Arm sieht ja aus wie eine Bohrmaschine.“ (lacht) Ich habe mittlerweile gelernt, mit meiner Behinderung offen umzugehen und habe gemerkt, dass ich mich damit nicht verstecken muss.