Aktuelles aus dem Behindertensport
Interview mit Kirstin Fussan
Kirstin Fussan, ehemalige Präsidentin des Behinderten-Sportverbandes Berlin blickt mit Wehmut und Stolz zurück.
Nach 15 Jahren und 5 Wahlperioden ist Kirstin Fussan nicht mehr als Kandidatin für den Vorsitz des Behinderten-Sportverbandes Berlin (BSB) angetreten. In dieser Zeit hat sie, zusammen mit ihren ehrenamtlichen Präsidiumskolleginnen und -kollegen sowie der hauptamtlich geführten Geschäftsstelle den BSB und auch den Behindertensport über die Grenzen Berlins hinaus geprägt. Nach der Wahl des neuen Präsidiums am 7. Juni 2012, an dessen Spitze nun der ehemalige Innen- und Sportsenator von Berlin, Dr. Ehrhart Körting steht, gab sie dem BSB-Info, dem Newsletter des BSB, folgendes Interview.
BSB-Info: 15 Jahre Ehrenamt sind zu Ende gegangen. Mit welchem Wort würden Sie den Rückblick auf diese lange Zeit beschreiben: Wehmut, Stolz oder etwas ganz anderes?
Fussan: Der Verband und ich sind zusammen älter geworden. Mal ehrlich, nunmehr 50 Jahre alt, war ich im Rückblick doch damals ganz schön jung. Aber es war eine tolle Zeit, auf die ich sowohl mit Stolz als auch mit Wehmut zurückblicke.
BSB-Info: Wie sind Sie damals zum Behindertensport gekommen?
Fussan: Als Sportstadträtin des Bezirks Pankow habe ich zu Beginn der 1990er Jahre sehr eng mit der Sport-jugend zusammen gearbeitet. Dessen damaliger Geschäftsführer wusste, dass der Behinderten-Sportverband auf der Suche nach einer neuen Führung war und so hat mich die Sportjugend zum Behinderten-Sportverband gebracht. Dass mich der Verbandstag dann auch gewählt hat, war aus meiner Sicht ein Zeichen, dass er eine neue junge Mannschaft möchte. Der Beginn war nicht einfach, da sich dann doch auch Skepsis zeigte nach dem Motto: „So jung und behindert ist sie auch nicht….“ Beides hat sich im Laufe der 15 Jahre dann geändert. Aber im Ernst: Ich habe gemeinsam mit vielen anderen Ehren- und auch Hauptamtlichen das Profil des Verbandes verändert. Und das war nicht immer nach jedermanns Geschmack.
BSB-Info: 15 Jahre Präsidentin des Behinderten-Sportverbandes Berlin haben nicht nur den Verband, sondern sicherlich auch Sie als Mensch geprägt. Was denken Sie, wo konnten Sie dem Behindertensport in Berlin Ihren persönlichen Stempel aufdrücken? Und wo hat der Behindertensport sozusagen bei Ihnen persönlich “Spuren“ hinterlassen?
Fussan: Vor 15 Jahren war der Verband geprägt durch unsere traditionellen Behinderten-Sportvereine, die sich in erster Linie dem Reha- und Breitensport gewidmet haben. Sie waren und sind die Basis des Berliner Behindertensports. Allerdings war die Zeit gekommen, sich sowohl anderen Zielgruppen als auch anderen Sportarten und –formen zu widmen. So habe ich damals sehr schnell viel Mühe darauf verwandt, den Verband für den Sport für Menschen mit geistiger Behinderung zu öffnen. Da gab es Vorbehalte, die es zu überwinden galt. Wichtig war auch das Schaffen professioneller Strukturen für den Leistungssport. Für beide Vorhaben entwickelte sich ein großes Engagement im Präsidium und in der Geschäftsstelle. Gemeinsame Projekte mit dem Landessportbund und anderen Partnern, Lobbyarbeit in der Berliner Politik und im Dachverband haben dem Berliner Verband ein neues Gesicht gegeben und damit eine höhere Akzeptanz auch in der Berliner Sportszene. Und wenn wir uns die Mitgliedszahlen heute anschauen, so war die Arbeit doch erfolgreich – eine Steigerung seit 1997 um fast 20.000 Mitglieder.
Bei mir hat die Arbeit im Behindertensport tiefe Spuren hinterlassen. Als erstes natürlich der Blick auf die Menschen mit Behinderung. Wir sind alle so normal und unterschiedlich wie alle anderen auf dieser Welt. Mich beeindruckte als junge Präsidentin der Umgang der Menschen mit ihrer eigenen Behinderung. Was glauben Sie, woher die gruppenspezifischen Witze kommen? Anfangs traute ich mich gar nicht mitzulachen. Aber das ist genau die Botschaft, die wir auch weitergeben möchten. Wir sind alle unnormal normal.
Aber letztendlich sind es die Personen, denen ich in den 15 Jahren begegnet bin, die mich prägten. Ich habe mich gefreut, ich habe mich geärgert und habe dabei ganz viele liebe Menschen getroffen, von denen ich einige Freunde oder Freundinnen nennen darf. Schon dafür hat es sich gelohnt!!!
BSB-Info: Auf das Erreichen welchen Zieles sind Sie besonders stolz? Was fanden Sie gut was weniger gut an Ihrem Ehrenamt?
Fussan: Besonders stolz bin ich darauf, dass der Behinderten-Sportverband nun ein gleichberechtigter Bestandteil der Berliner Sportlandschaft ist. Das spüren wir in der Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedsverbänden des LSB und mit der für Sport zuständigen Senatsverwaltung. An uns kommt man nicht mehr vorbei, wenn es um die Sportstadt Berlin geht – und das ist auch gut so!
Ich kann gar nicht sagen, was mir besonders gut oder weniger gut an diesem Ehrenamt gefallen hat. Ich hatte mehr Freude als Ärger. Ich durfte viele Highlights erleben – angefangen beim integrativen Sportfest einer unserer Vereine über die Internationalen Deutschen Meisterschaften und der Europameisterschaft im Schwimmen bis hin zu zwei Paralympics in Sydney und Peking. Das waren alles tolle Erlebnisse, die mir ewig in Erinnerung bleiben werden. Vielleicht noch so viel, ich wäre heute nicht diese Persönlichkeit ohne den Berliner Behinderten-Sportverband. Er gehört zu meiner Biografie.
BSB-Info: Was hätten Sie gerne noch erreicht, etwas, von dem Sie sagen da fehlte mir die Zeit, da fehlte mir der Mut, da habe ich schlichtweg keinen Erfolg gehabt?
Fussan: Zwei wichtige Vorhaben habe ich tatsächlich nicht umgesetzt. Zum einen das offensive Herangehen an Menschen mit Migrationshintergrund und die Schaffung eines Beirats. Erstes versackte in den anfänglichen Konzepten und wurde von mir nicht mit der dringend notwendigen Konsequenz weiter verfolgt. Aber diese Stadt braucht Konzepte für den Sport für Menschen mit Migrationshintergrund und das gemeinsam mit ihren Interessensverbänden. Da hoffe ich sehr auf das neue Präsidium mit Erhart Körting an der Spitze, der gerade in diesem Bereich über einen großen Erfahrungsschatz verfügt, den er dem Verband zur Verfügung stellen wird.
Den Beirat habe ich mir nun als „Nicht-Präsidentin“ vorgenommen. Der Verband sollte sich von externen Fachleuten aus der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft beraten lassen. Vielleicht kann ich da noch einen Beitrag leisten.
BSB-Info: Nun hinterlassen Sie Ihrem Nachfolger ein für den BSB sehr ereignisreiches Jahr. Die Internationalen Deutschen Meisterschaften im Schwimmen und in der Leichtathletik bringen die Weltelite dieser Sportarten innerhalb von 14 Tagen nach Berlin. Es bleibt danach kaum Zeit zum Ausruhen, denn nach den IDMs ist vor den Paralympics in London. Das ist aber noch nicht alles: So ganz nebenbei feiert der BSB auch noch sein 60-jähriges Jubiläum, dann findet vor den Paralympics im August u. a. noch die IDM Segeln, die German Open im Rollstuhltennis und ein Wheelsoccer Cup statt. Auf welchen Sportveranstaltungen werden wir Sie als entspannte Zuschauerin wieder sehen?
Fussan: Bei fast allen!!! Ganz entspannt und in netter Gesellschaft mit vielen bekannten Gesichtern.
BSB-Info: Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg? Welche dicken Bretter wird er auf alle Fälle durchbohren müssen?
Fussan: Der Sport für Menschen mit Migrationshintergrund ist eines der dicken Bretter, die wir durchbohren müssen. Aber ich weiß, dass das eine Herzensangelegenheit für den neuen Präsidenten ist und daher bin ich sehr entspannt und guter Hoffnung, dass er aus dem angebohrten Brett ein wohlgeformtes Projekt fertigen wird.
Aber ich will ihm mit auf den Weg geben, dass er sich auf ein tolles Team in der Geschäftsstelle des Verbandes verlassen kann. Da ist in den letzten 15 Jahren viel Professionalität unter der Leitung des Geschäftsführers Klaas Brose entstanden. Serviceorientiert, gut strukturiert und immer mit einem Lächeln im Gesicht wird dort hervorragende Arbeit geleistet. Die Zusammenarbeit mit diesem Team hat mir sehr viel Spaß gemacht und wenn sie mir nicht so manches Mal Dampf gemacht hätten, wäre das eine oder andere Grußwort von mir nicht rechtzeitig fertig gewesen.
BSB-Info: Werden Sie dem Behindertensport noch in irgendeiner Funktion treu blieben, so nach dem Motto: ich will mir keine „Entzugserscheinungen“ holen?
Fussan: Unbedingt, aber ohne aufdringlich zu sein. „Ehemalige“ können ja auch nerven! Aber ich habe mir, wie schon gesagt, den Beirat groß auf die Fahnen geschrieben und hoffe, so dem Verband noch etwas geben zu können. Und ganz nebenbei bleibe ich so im Kontakt mit den mir lieb gewordenen Menschen.
BSB-Info: Frau Fussan, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Interview und Foto: Reinhard Tank