Aktuelles vom Deutschen Behindertensportverband
Josia Topf: „Manchmal komme ich mir vor wie ein Alien“

„Wenn ein Gebäude Stufen hat, komme ich da nicht rein. Ich kann mir nicht allein die Jacke zumachen, keine Türe aufschließen, kein Brot schmieren, mir nicht die Haare kämmen und selbst für den Gang zur Toilette brauche ich Hilfe“, berichtet Paralympics-Sieger Josia Topf. Das „H“ in seinem Schwerbehindertenausweis für „hilflos“ sei daher leider gerechtfertigt. Trotzdem sagt der 22-jährige Para Schwimmer: „Ich bin zwar mit Einschränkungen auf die Welt gekommen, aber behindert werde ich.“ Um das zu ändern, ergreift er die Initiative selbst.
16 Jahre ist es her, dass Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterschrieben hat. 16 Jahre, in denen sich einiges verbessert hat für Menschen mit Behinderung. Und doch lässt sich am 5. Mai 2025, dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, konstatieren: Es braucht noch große Kraftanstrengungen auf dem Weg zur Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung – und auch den festen Willen zu Veränderungen. Beispielsweise bei der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum, in der Hilfsmittelversorgung und in Gesetzen, ebenso wie in den Köpfen.
Josia Topf erlebt diese Hürden und Situationen im Alltag immer wieder. Menschen zeigen auf ihn, starren ihn an, lachen ihn aus. „Das ist für mich ein schreckliches Gefühl, dann komme ich mir manchmal vor wie ein Alien.“ Häufig sind es Kinder. Doch schlimmer als die Reaktionen der Kinder ist für Josia Topf das Verhalten der Eltern, wenn diese danebenstehen und nichts tun. Aus Scham, aus Unwissenheit oder auch aus Hilflosigkeit.
Der Erlangener, der bei den Paralympics in Paris mit Gold, Silber und Bronze einen kompletten Medaillensatz gewann, wünscht sich einen anderen Umgang. „Wenn ihr das nächste Mal jemandem begegnet, der anders aussieht, eine Behinderung hat oder euch fremd ist, geht auf ihn zu, anstatt auf ihn zu zeigen oder zu lachen. Inklusion bedeutet für mich, dass jeder so respektiert wird, wie er ist“, sagt Topf und fügt an: „Um das zu erreichen, müssen wir miteinander sprechen, einander kennenlernen und Wege finden, niemanden auszuschließen. Es geht darum, ein Miteinander zu schaffen, ohne Nachteile für jemanden.“
„Jeder kann etwas tun, um Menschen wie mir den Alltag zu erleichtern“
Doch zuschauen und auf Verbesserungen warten – das passt nicht zum Charakter von Josia Topf. Stattdessen ergreift er selbst die Initiative. Dazu hat er ein Plakat entworfen, das man sich kostenfrei bestellen und in der Schule, im Kindergarten oder im Büro aufhängen kann. „Das Plakat soll ein sichtbarer Impuls sein und dazu einladen, sich mit den Themen Inklusion und Behinderung zu beschäftigen“, betont Josia Topf. Es verweist zudem auf den Film „Grenzenlos“, in dem der 22-jährige Jura-Student emotional über sich, sein Leben, seinen Sport und seine Erfahrungen in der Schule und an der Universität berichtet.
„Vor allem der jüngeren Generation möchte ich damit mehr Verständnis und Akzeptanz im Miteinander näherbringen. Mein Wunsch ist es, die Barrieren in den Köpfen abzubauen.“ Im Video verrät Topf, wie oft er trainiert, warum Schwimmen für ihn Freiheit bedeutet, welchen Einfluss die zunehmende Digitalisierung auf sein Leben hat oder warum er kein öffentliches Fitness-Studio besuchen kann. „Ich möchte mit meinem Video zeigen, wie jeder etwas tun kann, um Menschen wie mir den Alltag zu erleichtern“, sagt Topf.
„Bist du behindert? Nein, ich werde behindert!“
Seine Antwort auf die Frage „Bist du behindert?“: „Nein. Ich bin zwar mit Einschränkungen auf die Welt gekommen, aber behindert werde ich.“ Indem der Paralympics-Sieger von Paris 2024 eben nicht die Stufen ins Geschäft oder am Bahnhof hochsteigen kann, indem er nicht im Fitness-Studio trainieren kann – oder indem er angestarrt und ausgelacht wird. Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) hat zu den Paralympischen Spielen im vergangenen Jahr die Online-Kampagne „Bist du behindert“ gestartet, um der im Sprachgebrauch häufig herabwürdigenden Floskel entgegenzuwirken. Diese steht dann als Synonym dafür, dass man etwas nicht kann, nicht versteht oder nicht weiß. Dabei können Menschen mit Behinderungen großartige Leistungen vollbringen – im Alltag wie im Sport, sowohl im paralympischen Leistungssport als auch im Breitensport.
Nach und nach solle dazu beigetragen werden, für mehr Respekt zu sensibilisieren, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Schließlich leben in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes fast acht Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung, noch weitaus mehr haben eine Beeinträchtigung. Beucher: „Als Gesellschaft sollten wir alle gemeinsam dafür kämpfen, dass das Wort ,behindert‘ nicht gleichgesetzt wird mit Unvermögen oder Ahnungslosigkeit. Menschen mit Behinderungen sind eine Bereicherung.“
Das sieht auch Josia Topf so. Als er nach den Paralympischen Spielen in Paris in der ZDF-Talkshow zum Thema Para Sport bei Markus Lanz zu Gast war, schloss er die Sendung mit einem Plädoyer für einen anderen Blick auf Menschen mit Behinderung. „Es ist eine neue Generation von behinderten oder eingeschränkten Menschen. Wir fahren Auto, wir studieren, wir sind in der Gesellschaft angekommen! Im Para Sport gibt es Profi-Sportler, es gibt Idole. Es ist wichtig, dass diese neue Generation es in die Öffentlichkeit schafft, um den Menschen auch die Angst vor der Inklusion zu nehmen.“ Es sind Worte, die sich die deutsche Gesellschaft zu Herzen nehmen sollte. Nicht nur am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung.