Aktuelles vom Deutschen Behindertensportverband

„Ein herber Rückschritt für die Inklusion im Sport“

DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher und Vizepräsident Dr. Karl Quade zur Entscheidung der IAAF über Leichtathleten mit „mechanischer Hilfe“ bei Olympia und WM

Porträtfoto Friedhelm Julius Beucher
Friedhelm Julius Beucher

Deutliche Kritik üben Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, und Vizepräsident Leistungssport, Dr. Karl Quade, an der Entscheidung des Councils des Internationalen Leichtathletik-Verbands (IAAF), Leichtathleten mit Prothesen ab dem 1. November 2015 von einer Teilnahme bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaft auszuschließen, sofern diese nicht nachweisen können, dass ihnen die „mechanische Hilfe“ keinen Vorteil verschafft.

„Die Entscheidung des Councils der IAAF ist ein herber Rückschlag für die Inklusion im Sport. Im Beschluss zeigt sich, dass offensichtlich keine gemeinsamen Lösungswege beschritten werden sollen und Athletinnen und Athleten mit mechanischer Hilfe von Olympischen Spielen sowie Weltmeisterschaften de facto ausgeschlossen werden – wohlgemerkt ohne über eine gesicherte wissenschaftliche Grundlage zu verfügen. Die Umkehr der Beweislast – so dass nun die Athleten statt der IAAF belegen müssen, ob sie durch ihre Prothese einen Vor- oder Nachteil haben – hat gar einen diskriminierenden Charakter. Die IAAF hat damit eine große Chance hin zu mehr Inklusion im Sport leichtfertig verspielt. Wir sind der klaren Auffassung, dass ein gemeinsamer Start bei Wettbewerben bei entsprechender Leistung so lange zugelassen werden sollte, bis eine fundierte wissenschaftliche Klärung vorliegt.

Wir bedauern in diesem Zusammenhang sehr, dass die Zwischenlösung des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), Sportlerinnen und Sportler mit Prothese in getrennter Wertung starten zu lassen, trotz Antrag international kein Gehör gefunden hat. Gleichwohl hätten wir uns in dieser Sache mit dem DLV eine engere Kooperation und mehr Austausch im Vorfeld gewünscht. Wir begrüßen dafür, dass ein Startrecht bei Deutschen Meisterschaften in getrennter Wertung, wie zuletzt im Juli in Nürnberg praktiziert, weiterhin möglich ist.

 

Markus Rehm beim Sprung in die Grube
Markus Rehm beim Sprung in die Grube © Ralf Kuckuck, DBS-Akademie

Bei der Debatte um mehr Inklusion im Sport geht es uns selbstverständlich nicht darum, dass die Paralympics als das große internationale Highlight für unsere Athletinnen und Athleten an Wert verlieren. Diese Spiele sind im Behindertensport das Großereignis, dem alle entgegenfiebern – das soll und wird so bleiben. Unsere Athleten, wie Weitspringer Markus Rehm, die tagtäglich intensiv trainieren und sich stetig verbessern, möchten diese Plattform bei Olympia oder einer WM vor allem dazu nutzen, um ihren Sport sowie ihre Leistungsfähigkeit zu präsentieren und sich im Wettkampf sportlich zu messen, sofern die jeweilige Behinderung dies überhaupt zulässt – und zwar zumindest so lange, bis erwiesen ist, dass durch ihr Handicap kein Vorteil besteht. Wir fordern unmissverständlich, dass ein entsprechender Nachweis nicht von den Athleten selbst erbracht werden kann. Auch wir als Deutscher Behindertensportverband können die Geldmittel für eine solche Untersuchung nicht aufbringen, zumal es dabei nicht nur um Markus Rehm geht, sondern generell um den Sport von Prothesensportlern auf internationaler Ebene.  Eine Realisierung einer solchen wissenschaftlichen Untersuchung scheitert bislang an der Finanzierung.

Darüber hinaus gibt es allerdings viele weitere verschiedene Behinderungen und genutzte adaptive Hilfen, so dass die Diskussion um Inklusion im Sport über die Unterschenkelprothese hinausgeht. Eine umfangreiche Ausarbeitung unseres Verbands zu den unterschiedlichen Handicaps und den adaptiven Hilfen spezifisch für die Leichtathletik steht kurz vor dem Abschluss. Diese soll auch dazu beitragen, dieses Wissen in einem komplexen Bereich an die olympischen Verbände zu geben.

Uns bleibt die Hoffnung, dass der neue IAAF-Präsident Sebastian Coe es schafft, eine neue Sichtweise in diese Thematik einzubringen. Wer als Chef des Organisationskomitees für London 2012 die Olympischen und Paralympischen Spiele als beeindruckende Einheit präsentiert und die Leistungen der paralympischen Athletinnen und Athleten feiert, der kann jetzt nicht eine strikte Trennung mittragen. Aus diesem Grund wären wir auch persönlich tief enttäuscht, wenn es bei der getroffenen Entscheidung des Councils der IAAF bleiben würde.

Statt die Inklusion im Sport auch als Chance zu sehen und eine gemeinsame Lösung anzustreben, wird im Stillen ein klarer Schritt zurück getätigt – ohne eine öffentliche Stellungnahme für diese weitreichende „Regel 144.3 (d)“ abzugeben. Sowohl für den Inhalt des Beschlusses als auch für die unangebrachte Verfahrensweise haben wir keinerlei Verständnis.