Aktuelles vom Deutschen Behindertensportverband
Aus Paris in die Welt – Berichterstattung schreibt Geschichte(n)
Wichtiger Schritt für Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele
Die Paralympics in Paris haben mit Blick auf die medialen Reichweiten und das öffentliche Interesse alle Rekorde gebrochen. Nie zuvor waren die Spiele der Athlet*innen mit Behinderungen so präsent wie diesmal – ob im TV, im Radio oder in den Sozialen Medien. Auch bei Google waren die Paralympics voll im Trend. Doch was bleibt von Paris 2024? Zeit für einen Rückblick.
Montagmorgen, 8 Uhr. Die Pressetribüne auf dem Pont Alexandre III platzt beinahe aus allen Nähten. Die ersten Triathlet*innen warten unter Höchstspannung auf den Startschuss. Ein hektisches Treiben herrscht unter den Fotograf*innen. Immer auf der Jagd nach dem Foto des Tages drängen sie sich dicht an dicht auf den Foto-Positionen entlang der Strecke und auf der Foto-Tribüne im Zielbereich. Die Kolleg*innen von Funk und Fernsehen haben längst ihre Kameras in der Mixed-Zone aufgebaut. Die Printjournalist*innen bereiten die ersten Texte vor. Dieses Szenario steht stellvertretend für etwas, das bei den Paralympics 2024 in Paris Geschichte geschrieben hat. Eine Geschichte, die eng verknüpft ist mit denen der Athlet*innen, ihren Erfolgen und Emotionen.
60 Stunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, über 200 Stunden Livestream in ARD und ZDF, täglich aktuelle Print- und Onlineartikel mit Ergebnissen, Geschichten, Interviews. In den Sozialen Medien wurden unzählige Posts und Likes abgesetzt, Beiträge kommentiert und geteilt. Von den Paralympics wurde insgesamt noch nie so viel berichtet, wie von den Spielen in Paris 2024. Nie zuvor konnten weltweit so viele Menschen die Wettkämpfe verfolgen. Um das zu ermöglichen, haben sich für Paris 2024 insgesamt 2.400 Medienvertreter*innen, Journalist*innen und Fotograf*innen akkreditiert. Viele von ihnen haben zuvor noch keinen Kontakt zum Para Sport gehabt, kommen teilweise aus anderen Ressorts, zum Beispiel Politik. „Das ist meine erste Begegnung mit dem Para Sport“, heißt es oft.
„Umstände“ des Para Sports fabelhaft dargestellt
Ein Beispiel ist Matthias Krupa, Korrespondent der ZEIT in Paris. „Weil ich aktuell in Paris lebe, bin ich gewissermaßen durch Zufall zu den Olympischen und den Paralympischen Spielen gekommen“, sagt er. Der Politik-Journalist habe zwar zuvor schon einmal ein Rollstuhlbasketballspiel gesehen und auch eine große Affinität zum Sport, doch Sport-Berichterstattung hat er in Paris das erste Mal gemacht. Die Herausforderung: eine Brücke zu bauen zwischen dem Spitzensport sowie den Kriterien der Sportberichterstattung und den, wie er es nennt, „Umständen“ des Para Sports. Behinderungsarten, Startklassen und die unterschiedlichen Regelungen – in seinen Augen haben die öffentlich-rechtlichen Sender all das fabelhaft dargestellt.
„Der Vorteil am Para Sport ist, dass alle Athleten eine besondere Geschichte haben, die erzählt werden kann. Geschichten sind schließlich immer der journalistische Anknüpfungspunkt“, sagt Krupa. Die Athlet*innen dann in den Wettkämpfen zu erleben, habe in ihm eine große Neugier freigesetzt. „Oftmals wollte ich einfach nur wissen, wie eine bestimmte Sportart mit einer Behinderung funktioniert“, erinnert er sich. Vor allem beim Blindenfußball war er fasziniert davon, wie groß der Unterschied zu der weltweit wohl populärsten Sportart Fußball war. Und wie mitreißend.
„Wichtig ist, wie der Mensch ist und was er leistet“
Diese Faszination des paralympischen Sports hat wohl die meisten Journalist*innen ergriffen. Die Geschichten der Athlet*innen, ihr entspannter „ganz normaler“, teils selbstironischer und immer erfrischend ehrlicher Umgang mit ihren jeweiligen Behinderungen – all das machte es den Kolleg*innen leicht. Mögliche Unsicherheiten wurden durch die Offenheit der Sportler*innen schnell aus der Welt geschafft. So ist auch der Umgang mit ihnen für die Medienvertreter*innen kein anderer als der mit olympischen Athlet*innen. „Wichtig ist, wie der Mensch ist und was er sportlich leistet. Para Sport ist einfach faszinierender Sport von beeindruckenden Athleten“, sagt Markus Bauck, Nachrichtenredakteur bei RTL/NTV. Selbst die Komplexität mancher Startklassen und Wettkampfregeln verliert nach und nach ihren Schrecken. „Natürlich braucht man Informationen zu den Startklassen, Behinderungsarten und über die Athleten“, sagt Bauck. Der Paralympics Guide des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) sei dabei eine wichtige Hilfe gewesen.
Doch all das ist wahrscheinlich unterm Strich nicht entscheidend. Denn selbst, wenn nicht jede Regel und jeder Modus bis ins Detail leicht zu verstehen sind, der Faszination am Para Sport tut das keinen Abbruch. Schließlich geht es hier wie im olympischen Sport um Leistung, um Zentimeter und Hundertstelsekunden. Und es geht um Emotionen! Kaum verwunderlich also, dass auch Journalist*innen ganz persönliche paralympische Momente erleben. Momente, die sie individuell, in Gesprächen und vielen Rückblicken ebenso verarbeiten müssen, wie die Athlet*innen ihren Erfolg, ihre Freude und ihre Enttäuschungen. Und tatsächlich spielen Enttäuschungen auch bei Medienvertreter*innen eine Rolle.
Den medialen (Auf)Schwung mitnehmen
Trotz einer nie dagewesenen medialen Aufmerksamkeit mit umfangreichen Übertragungen, trotz zahlloser Interviews in Hörfunksendungen, Fernsehauftritten in Talkshows vor, während und nach den Spielen: „Ich hätte gedacht, dass noch mehr live hätte gesendet werden können“, sagt Markus Bauck. Einige Finalentscheidungen in der Para Leichtathletik waren zur Primetime im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu verfolgen. Doch den Großteil der Sportarten gab es in der Regel zeitversetzt und meist nur im Stream zu sehen. Obwohl zugunsten der Übertragung der Eröffnungsfeier ein DFB-Pokalspiel verlegt wurde, konnte die Abschlussfeier nur online verfolgt werden. Da bleibt ein Fragezeichen. Im Sportlichen scheinen mögliche Unterschiede zwischen olympischen und paralympischen Athlet*innen keine Rolle zu spielen. Die Pariser Inszenierung dieser oft betitelten ersten und zweiten Halbzeit war absolut gleichwertig.
Die Hoffnung ist groß, dass der mediale (Auf)Schwung aus Paris mitgenommen und weiter gesteigert wird. Weltcups, Welt- und Europameisterschaften finden schließlich auch im Para Sport statt. Wenn es Journalist*innen gibt, die ihre persönliche Begeisterung für den Para Sport in ihre Redaktionen transportieren, könnten sich weitere Türen öffnen. „Ich kämpfe gern darum, die Geschichten der Athleten zu erzählen“, sagt Markus Bauck. Zugleich: Ganz ohne Hilfe führt auch der größte persönliche Einsatz nicht immer zu mehr Sendeminuten. „Es würde helfen, wenn – wie in Paris – für die einzelnen Sportarten jeweils Ansprechpartner vor Ort wären, die uns in unserer Arbeit unterstützen“, wünscht sich der Nachrichtenredakteur. Aber auch mehr Kolleg*innen, die Beiträge umsetzen.
Einen Rückschlag gab es bereits weniger als zwei Wochen nach dem großen Spektakel in Paris: Über die Para Radsport-WM wurde medial kaum berichtet – und das, obwohl sie im Rahmen einer großen inklusiven Radsport-WM in Zürich stattgefunden hat und das deutsche Team zehn Medaillen gewann. „Das muss sich ändern, wenn wir Menschen mit Behinderungen und den Para Sport nachhaltig in die Mitte der Gesellschaft und der Sportwelt rücken wollen. Die Zeit ist reif dafür, spätestens nach diesen begeisternden Paralympics in Paris“, betont DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Wie sehr die Spiele in Frankreich im Fokus des öffentlichen Interesses standen, zeigen zwei weitere Erkenntnisse: Unter die Top 10 Google-Suchanfragen in Deutschland in 2024 hat es auf Platz acht auch "Bogenschießen Paralympics" geschafft. Zudem waren die Suchanfragen hierzulande nach dem Wort Paralympics verglichen mit den Spielen in Tokio, Rio und London acht Mal so hoch. Beucher: „Das ist ein Quantensprung und unterstreicht die gesellschaftliche Relevanz des Para Sports.“
Das Ziel: eine noch größere Plattform für den Para Sport
Was bleibt nun von den Paralympics 2024 in Paris? Wie nachhaltig wirken die Bilder und Emotionen gesellschaftlich und medial? Die Zahlen beweisen, dass der Para Sport nicht nur wahrgenommen, sondern wertgeschätzt und gefeiert wird. Nie zuvor hatte der Sport von Menschen mit Behinderungen so eine Aufmerksamkeit und Relevanz. Zugleich bleibt das vielzitierte Ziel, dem Para Sport durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Sportler*innen, Verband und Medienvertreter*innen eine noch größere Plattform zu bieten – und zwar nicht nur alle vier Jahre zu den Paralympischen Spielen. Es gilt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. In der Hoffnung, dass sich nicht nur volle Zuschauerränge und grandiose Begeisterung wiederholen, sondern die Presse- und Fototribünen auch künftig aus allen Nähten platzen.
Text: Heike Werner / DBS
Zahlen, Daten, Fakten
Insgesamt wurde durch vielfältige Kommunikationsmaßnahmen eine Rekord-Reichweite von über 277 Millionen erzielt, darunter mehr als 58 Millionen über die eigenen digitalen Kanäle des Team D Paralympics (+30 Millionen im Vergleich zu Tokio) sowie 171 Millionen durch die Out-of-Home-Kampagne mit Ströer.
ARD und ZDF haben die Paralympics im täglichen Wechsel live und im Rahmen von Highlight-Sendungen am Abend gezeigt. 28,9 Millionen Menschen haben die Übertragungen mit einem Gesamtvolumen von mehr als 60 Stunden im TV bei ARD und ZDF verfolgt. Damit wurden 36,9 Prozent der Bevölkerung erreicht. Die durchschnittliche Sehbeteiligung bei ARD und ZDF lag bei 1,01 Millionen Menschen und einem Marktanteil von 10,9 Prozent. Hinzu kamen 200 Stunden zusätzliches Livestreaming-Angebot – so viel wie nie zuvor.
Die meistgesehene Übertragung war die Eröffnungsfeier am 28. August 2024 im ZDF. Rund 2,75 Millionen Zuschauer*innen schalteten ein, der Marktanteil lag bei fast 15 Prozent. Im Ersten war die Abend-Sendestrecke zur Para Leichtathletik am 4. September am erfolgreichsten: Insgesamt 2,37 Millionen Menschen (10,5 Prozent Marktanteil) verfolgten unter anderem, wie Weitspringer Markus Rehm seine vierte Goldmedaille in Folge bei den Paralympics gewann. Erfreulich: Vor allem das 14- bis 49-jährige TV-Publikum fühlte sich davon angesprochen – bei einem Marktanteil von 11,2 Prozent in dieser Altersgruppe war nur "Wer wird Millionär?" nachgefragter.
Das Online-Angebot wurde ebenfalls sehr gut angenommen. So verzeichnete die ZDFmediathek während der Paralympics vom 28. August bis zum 8. September 2024 insgesamt 78,18 Millionen Visits. Auch auf den Social-Media-Kanälen von Sportschau und Sportstudio gab es so viele Beiträge über die Paralympics wie noch nie.
Die Hörfunkwellen der ARD haben aus Paris noch deutlich umfangreicher als bei vergangenen Paralympics berichtet – mit aktuellen News, Talks und Live-Reportagen. Gemessen an der Anzahl der aus Paris geführten Reporter-Talks hat sich das Programmvolumen seit den von der Zeitverschiebung her vergleichbaren Paralympics 2012 in London mehr als verdoppelt – auf diesmal rund 330.