Aktuelles vom Rollstuhlbasketball im Deutschen Behindertensportverband
Rollstuhlbasketball-EM: Familiensache für die Lammering-Brüder
Für Julian und Maximilian Lammering startet mit der Rollstuhlbasketball-Europameisterschaft vom 9. bis zum 18. Oktober in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) ihr erstes gemeinsames Turnier im A-Kader der Nationalmannschaft. Die erfolgreichen Brüder aus Gescher im Münsterland sind in diesem Jahr bereits Weltmeister mit dem U23-Team geworden und brennen für ihren Sport.
Seitdem Julian zwölf Jahre alt ist, ist der Rollstuhlbasketball fester Bestandteil seines Lebens. Durch Zufall lernte er die Sportart bei einem Messebesuch kennen – und war sofort begeistert: „Wir kommen aus einem super kleinen Ort, außer Fußballspielen kann man da eigentlich nichts machen. Da kam der Rollstuhlbasketball genau richtig.“ Inzwischen ist Julian 21 und hat bereits die Bronzemedaille bei den Paralympics gewonnen. Ein Karriere-Highlight, das auch der drei Jahre jüngere Bruder gerne mal erleben würde. Maximilian ist etwas später auch auf den Geschmack gekommen, die Begeisterung für Rollstuhlbasketball hat ihn ebenfalls gepackt: „Eigentlich bin ich immer nur zum Zuschauen mitgefahren, aber irgendwann hat Julians Trainer mich gefragt, ob ich den Sport nicht auch mal ausprobieren möchte. Dann habe ich mitgespielt und konnte nicht mehr aufhören.“
Die Lammering-Brüder, die beide mit hereditärer spastischer Paraplegie (HSP) auf die Welt kamen, verbindet seit Kindertagen ihre Leidenschaft für den Rollstuhlbasketball. Sie haben nicht nur in den gleichen Vereinen, beim UBC in Münster und beim BBC Münsterland in Warendorf gespielt, sondern in diesem Jahr auch gemeinsam mit der U23-Nationalmannschaft den Weltmeistertitel für Deutschland geholt. Da versteht es sich schon fast von selbst, dass die zwei ein eingespieltes Team sind: „Wir kennen die Spielweisen des jeweils anderen einfach schon so lange, dass wir den nächsten Schritt oft schon vorhersehen können, ohne uns abzusprechen. Und wir verstehen uns auch neben dem Feld sehr gut – allein heute habe ich Maxi schon dreimal angerufen“, berichtet Julian lachend. „Wir reden schon sehr viel“, ergänzt Maximilian, „auch wenn das nicht immer so war. Als Kinder sind wir uns auch gerne auf die Nerven gegangen.“
„Dass mein kleiner Bruder jetzt mit von der Partie ist, ist das Beste, was mir hätte passieren können“, freut sich Julian Lammering.
Auf dem Spielfeld ist das Brüder-Duo ganz professionell unterwegs und jeder spielt seine individuellen Stärken aus: „Ich glaube nicht einmal, dass das Team uns als Doppelpack beschreiben würde. Natürlich haben wir viel Erfahrung zusammen, aber wir sind zwei unterschiedliche Personen mit verschiedenen Herangehensweisen und genau das bringt die Mannschaft weiter“, sagt Julian. Das dachte wohl auch der neue Rollstuhlbasketball-Bundestrainer Jan Haller, der 2024 bei den Paralympics in Paris noch selbst zusammen mit Julian Lammering gespielt und Bronze gewonnen hat. Denn seit diesem Jahr zählt auch der jüngere Lammering-Bruder zum A-Kader der deutschen Nationalmannschaft und fährt mit zu den Europameisterschaften in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina): „Dass mein kleiner Bruder jetzt mit von der Partie ist, ist das Beste, was mir hätte passieren können“, freut sich Julian Lammering (einen Vorbericht zur EM gibt es hier).
Die größten Fans des Zweiergespanns, die auch bei der U23-WM in Brasilien jubelnd am Spielfeldrand saßen und mitfieberten, sind natürlich die Lammering-Eltern: „Erst letzte Woche hat unser Papa grübelnd über dem Spielplan für die nächste Saison gesessen und geplant, wie sie mitreisen können, um möglichst kein Spiel zu verpassen“, schmunzelt Maximilian, wird aber auch schnell wieder ernst: „Ohne den jahrelangen Support unserer Familie wären wir heute sicher nicht da, wo wir jetzt sind. Dafür sind wir einfach sehr dankbar“.
Julian Lammering hat mittlerweile einen Profivertrag mit dem RSV Lahn-Dill – und damit sein Hobby erfolgreich zum Beruf gemacht. Dennoch sei es gar nicht so leicht, diese Leidenschaft zu erklären: „Gerade am Anfang hat man immer total aufgescheuerte Hände, überall Blasen und es tut einem alles weh. Es gibt also eigentlich viel, was einen abschrecken könnte“, sagt der Münsterländer und fügt an: „Mir macht es aber trotzdem unfassbar viel Spaß. Mittlerweile bedeutet der Sport auch vollen Nervenkitzel. Wenn man bei einer WM spielt und weiß, es schauen jetzt super viele Leute zu – für diese Momente lebt man dann. Da erntet man die Lorbeeren für die ganze harte Arbeit.“
Eine ganze Reihe besonderer Momente in der Karriere des 21-Jährigen ereigneten sich bei den Paralympics in Paris – denn dort gelang es den deutschen Rollstuhlbasketballern, erstmals seit 32 Jahren wieder eine Medaille zu gewinnen. Und Julian Lammering war ein Teil davon: „Das war ein absolut unbeschreibliches Gefühl. Man ist sich der enormen Tragweite auch erstmal gar nicht bewusst. Auf der Rückfahrt von Paris habe ich sogar einen Radiobeitrag über mich selbst gehört und dann standen auf einmal 150 Leute vor meiner Haustür, inklusive der Bürgermeisterin, die mich empfangen haben. Sogar meine Eltern haben ewig fürs Einkaufen gebraucht, weil sie alle paar Meter angesprochen wurden, das war wirklich heftig. Ganz zu schweigen von der Stimmung vor Ort – die Zeit in Paris werde ich so schnell nicht vergessen. Das steht fest.“
Für Maximilian Lammering, der beim Bronze-Spiel in der Halle zugesehen hat, bedeutet die Paralympics-Erfahrung seines Bruders vor allem das kleine bisschen „Extramotivation“, bei den kommenden großen Turnieren sein Bestes zu geben, um 2028 möglichst zusammen mit Julian zu den Paralympischen Spielen nach Los Angeles fahren zu können. Es ist der gemeinsame Traum des Rollstuhlbasketball-Brüderpaars.
Aufgeregt ist das Duo auch vor wichtigen Spielen nur noch selten. Man müsse sich einfach auf einen Schritt nach dem anderen konzentrieren und versuchen, sich nicht selbst zu viel Druck zu machen, sagt Julian: „Irgendwann ist man eh nur noch im Tunnel, das ist fast wie bei einer Klausur in der Schule“. Klar ist: Bei den Europameisterschaften kann die deutsche Nationalmannschaft nach dem historischen Erfolg in Paris nicht mehr unter dem Radar fliegen, ist vom Jäger zum Gejagten geworden. Die zwei Münsterländer zerbrechen sich darüber allerdings nicht den Kopf: „Im Team versucht einfach jeder, sein Bestes zu geben. Selbst wenn das Ergebnis dann mal nicht so aussieht, wie man sich das vorgestellt hat, kann man sich keinen Vorwurf machen“. Der Fokus läge bei der EM vor allem auf der direkten Qualifikation für die WM in Ottawa (Kanada) im kommenden Jahr. Dafür ist mindestens Rang fünf nötig. Dazu wollen die Brüder Lammering ihren Beitrag leisten und bei ihrem ersten großen gemeinsamen Turnier im A-Kader der Nationalmannschaft vollen Einsatz zeigen – um ihrem großen Paralympics-Traum einen Schritt näherzukommen und die Mannschaft so gut es geht zu unterstützen. Denn das ist schließlich Familiensache.
Text: Anna Höhne / DBS
