Zwei Welt- und fünf Kontinentalrekorde beim Leverkusener Heimspiel
Das fünfte Para Leichtathletik-Heimspiel des TSV Bayer 04 Leverkusen war eines für die Geschichtsbücher: Zwei Welt- und fünf Kontinentalrekorde wurden aufgestellt, insgesamt 145 Athletinnen und Athleten aus 17 Nationen hatten gemeldet. Die heimischen Top-Leute zeigten, dass sie mit Blick auf die Paralympics in Paris immer besser in Form kommen.
7,67 Meter im Wettbewerb der oberschenkelamputierten Weitspringer: Der Niederländer Joel de Jong, dem TSV-Athlet Léon Schäfer in Paris 2023 und in Kobe 2024 jeweils im letzten Versuch den sicher geglaubten WM-Titel entrissen hatte, überbot den Weltrekord des Leverkuseners mit einem fabelhaften Satz um 42 Zentimeter und hob das Duell der beiden auf ein neues Level. Wobei ein Zweikampf falsch wäre, schließlich hat sich mit Daniel Wagner auch ein weiterer Konkurrent stark zurückgemeldet: Der Däne sprang mit zu viel Rückenwind 7,45 Meter – auch das wäre Weltrekord gewesen. Der Lokalmatador selbst, aktueller Doppel-Weltmeister, blieb indes mit guten 7,17 Metern entspannt. Schließlich hatte Schäfer zuvor über 100 Meter ein Ausrufezeichen gesetzt und in 12,02 Sekunden seinen Europarekord vom WM-Sieg im Mai um ein Hundertstel verbessert.
De Jongs Landsfrau Marlene van Gansewinkel war es, die bei den Frauen das größte Ausrufezeichen setzte: Mit 12,55 Sekunden verbesserte sie ihren Weltrekord der einseitig unterschenkelamputierten Athletinnen um weitere vier Hundertstel im Vergleich zur Vorwoche, als auch ihre doppelseitig unterschenkelamputierte Teamkollegin Fleur Jong in 12,35 Sekunden den Weltrekord in ihrer Startklasse geknackt hatte. Jong kam nun in Leverkusen sogar auf 12,11 Sekunden – doch wie bei so vielen Leistungen war der Rückenwind zu stark für eine Anerkennung der Zeit. Spaß machten die schnellen Leistungen und großen Weiten dennoch, und TSV-Athletin Irmgard Bensusan, die 2023 in Paris Weltmeisterin über 200 Meter geworden war und auf die Titelverteidigung in Kobe verzichtet hatte, zeigte ihren Konkurrentinnen mit 12,68 Sekunden bei zu viel Wind über 100 und 26,81 Sekunden über 200 Meter, dass mit ihr in Paris zu rechnen sein dürfte.
Weltrekordhalter Johannes Floors lieferte sich über 100 und 200 Meter heiße Battles mit dem Ex-Leverkusener Felix Streng, der aktueller Paralympicssieger über 100 Meter ist. Beide liefen am Ende Weltjahresbestleistung über 100 Meter mit 10,70 Sekunden (Streng) und 10,77 Sekunden (Floors). Über 200 Meter gab es mit 21,14 Sekunden für Floors und 22,00 Sekunden für Streng ein umgekehrtes Bild inmitten einiger Starter aus der olympischen Leichtathletik, die den inklusiven Vergleich suchten.
Im letzten Wettbewerb des Abends, dem Weitsprung der unterschenkelamputierten Athleten um Weltrekordhalter Markus Rehm, gab es ebenfalls weite Sätze zu bestaunen. Der Allesgewinner sprang in seiner heimischen Sandgrube, die extra für ihn verlängert wurde, unglaubliche 8,40 Meter, seine Teamkollegen Noah Bodelier und der Grieche Stelios Malakopoulos mit 7,41 Metern und 7,07 Metern kamen ebenfalls in die Nähe ihrer Bestweiten.
Neben Schäfers Europarekord gab es auch zwei Asien- und zwei Afrika-Rekorde zu bejubeln, einen sogar mit Leverkusener Beteiligung: Die Japanerin Tomomi Tozawa, die von TSV-Coach Erik Schneider trainiert wird und regelmäßig auf der Fritz-Jacobi-Anlage ist, sprang mit 4,82 Metern zum Asienrekord in ihrer Startklasse. Ihr Landsmann Shuta Kawakami rannte in 22,01 Sekunden über 200 Meter ebenfalls zu einem Kontinentalrekord. Der Südafrikaner Paul Daniels in 11,33 Sekunden über 100 Meter und seine Landsfrau Tenza Abrahams mit 4,38 Metern im Weitsprung sorgten für Afrika-Rekorde.
International herausragend waren auch die 47,73 Sekunden des marokkanischen Paralympicssiegers Ayoub Sadni über 400 Meter, ebenso wie die 5,28 Meter im Weitsprung der Italienerin Martina Caironi, die Weltjahresbestleistung bedeuteten. Der Niederländer Olivier Hendriks rannte in 47,90 Sekunden über 400 Meter zum niederländischen Rekord, Alessandro Ossola gelang über 100 Meter in 12,31 Sekunden eine italienische Bestzeit. Auch im Weitsprung der armamputierten Frauen war das Niveau hoch, hier siegte am Ende die Neuseeländerin Anna Grimaldi, die seit drei Wochen in Leverkusen trainiert, mit 5,79 Metern vor der Dänin Björk Nörremark mit 5,56 Metern. Dahinter steigerte sich die gerade 18 gewordene TSV-Athletin Jule Roß auf 5,28 Meter, auch über 100 Meter in 12,75 Sekunden und über 200 Meter in 26,46 Sekunden schaffte sie Bestleistungen und feierte ihr persönliches Triple bei der Paralympics-Generalprobe.
Die Deutschen, für die es die letzte Chance zur Normerfüllung war, konnten diese Möglichkeit unter den Augen von Bundestrainerin Marion Peters nicht nutzen: Dem verletzungsbedingt angeschlagenen Paris-Kugelstoß-Weltmeister Yannis Fischer fehlten mit 10,53 Metern exakt 50 Zentimeter zur Normerfüllung, auch Max Marzillier blieb über 400 Meter in 49,64 Sekunden 0,54 Sekunden über der geforderten Zeit ebenso wie Phil Grolla, dem über 100 Meter in 10,93 Sekunden nur acht Hundertstel fehlten. Felix Krüsemann verpasste die Norm in 4:06,77 Minuten über 1500 Meter ebenso wie Ali Lacin und Andreas Walser im Weitsprung oder Sebastian Dietz und Mathias Schulze im Kugelstoßen.
Auch Speerwerferin Lise Petersen, die Kugelstoßerinnen Kim Vaske und Lisa Martin Wagner, Weitspringerin Friederike Brose oder die Sprinterinnen Nicole Nicoleitzik und Isabelle Foerder konnten sich in ihren Kerndisziplinen nicht mehr steigern. Immerhin verbesserte Kim Vaske über 100 Meter ihre Saisonbestzeit. Nicole Nicoleitzik hatte bei den 100 Metern Pech, sie hätte in 14,60 Sekunden eigentlich die Norm erfüllt, jedoch war der Rückenwind nicht zulässig. „Wir hatten dieses Jahr so oft eine Windlotterie oder schlechtes Wetter, das ist wirklich schade für die Athletinnen und Athleten“, sagt Bundestrainerin Marion Peters. Sie alle müssen nun hoffen, dass sie auch ohne Normerfüllung einen der begehrten Startplätze für die Paralympics in Paris bekommen, die Entscheidung fällt am 19. Juli mit der offiziellen Nominierung.
Die Deutschen, die die Norm bereits erfüllt haben, zeigten sich hingegen in guter Form: Neben den heimischen Leverkusener Athletinnen und Athleten wusste vor allem Marcel Böttger mit Guide Alexander Kosenkow in 11,22 Sekunden mit einem deutschen Rekord zu gefallen, auch Katrin Müller-Rottgardt war im Sprint mit Guide Noel Fiener und vor allem im Weitsprung mit 5,28 Metern bestens aufgelegt.
„Es war die beste Veranstaltung, die wir bisher hatten“, sagte ein euphorisierter Leverkusener Parasport-Geschäftsführer Jörg Frischmann: „Mich hat sehr gefreut, dass bei dem Wetter und trotz der Fußball-EM der Männer so viele Leute den Weg hierher gefunden haben. Es gab so viele herausragende Leistungen, die die Vorfreude auf die Paralympics in Paris noch gesteigert haben. Bereits jetzt haben mir so viele internationale Athletinnen und Athleten signalisiert, dass sie im kommenden Jahr auf jeden Fall wiederkommen möchten. Das macht mich stolz. Ich danke allen, die dieses Para Leichtathletik-Heimspiel durch ihre Mithilfe ermöglicht haben.“
Quelle: TSV Bayer 04 Leverkusen