Zwei Titel zum Abschluss: Mester und Menje holen Gold
Das deutsche Team beendet die EM im polnischen Bydgoszcz mit 16 Medaillen – am Abschlusstag holen Speerwerfer Mathias Mester und Rennrollstuhlfahrerin Merle Menje Gold.
Speerwerfer Mathias Mester hat in Polen seinen vierten Europameister-Titel erobert: Mit 36,31 Metern distanzierte er den Kroaten Vladimir Gaspar um 29 Zentimeter und freute sich über Gold. „Ich habe gut angefangen und mich dann im zweiten Versuch auf die Siegerweite gesteigert. Danach war irgendwie die Luft raus, also kontern wäre schwierig geworden“, sagte der 34-Jährige, der für den 1. FC Kaiserslautern startet und von Markus Reichle trainiert wird: „So ist es ein knappes Ergebnis, aber es ist schön: Ich habe Gold gewonnen, bin Europameister und damit bin ich zufrieden.“
Nicht erreicht hat er hingegen sein zweites Ziel: die Norm für seine vierten Paralympics in Tokio. „Das wird sehr schwer, weil die Norm so hoch ist wie noch nie. Die Konkurrenz hat auch schon zu mir gesagt: Wahnsinn, wie schwer die deutsche Norm ist“, sagt Mester, der Anfang des Jahres verletzt war: „Ich kämpfe und dann schauen wir, was am Ende dabei rauskommt. Für mich hätte der Quali-Zeitraum durch die Verletzung gerne länger dauern können. In vier, fünf Wochen könnte ich die 40 Meter packen, aber so wird es schwer.“
Medaille Nummer vier und den zweiten EM-Sieg im fünften Rennen feierte Merle Menje. Die 16-jährige Rennrollstuhlfahrerin vom Stadt-Turnverein Singen siegte in einem spannenden Rennen über 5000 Meter, nachdem sie in den Tagen zuvor schon Gold über 400 Meter, Silber über 100 und 800 Meter sowie Platz vier über 1500 Meter holte. In Meisterschaftsrekordzeit von 11:52,30 Minuten krönte sie ein cleveres Rennen und eine starke Europameisterschaft. Lange Zeit hatte sich Menje mit der Schweizerin Patricia Eachus abgewechselt in der Führungsarbeit, kurz vor Ende fuhr Nikita den Boer nach vorne. Doch 200 Meter vor dem Ziel übersprintete Menje, die von Paul Odermatt trainiert wird, ihre Konkurrentinnen und siegte. „Die beiden sind unglaublich stark, deshalb fühlt sich das besonders an, sie tatsächlich besiegt zu haben“, sagt Menje, die sich eine solch erfolgreiche EM vorher nicht erträumt hätte: „Man weiß, dass irgendwann die Attacke kommt, man wartet irgendwie darauf. Ich habe in der letzten Runde gemerkt, ich noch Kraft habe und habe es einfach probiert. Ich war dann überrascht, dass ich noch zwei Sekunden herausholen konnte.“
Der sehbehinderte Sprinter Marcel Böttger hatte das Highlight mit seinem Guide Alexander Kosenkow schon im Vorlauf: In 10,95 Sekunden blieben die beiden erstmals unter der Elf-Sekunden-Marke und zogen direkt ins Finale ein. „Ich weiß noch gar nicht, was ich sagen soll“, sagte der 28-jährige Böttger glücklich. Im Finale blieb dem Duo von der BSG Bad Oeynhausen dann trotz der insgesamt zweitschnellsten Vorlaufzeit nur Platz vier. In 11,10 Sekunden fehlten vier Hundertstel zur Medaille. „Gerade überwiegt die Enttäuschung“, sagte Böttger unmittelbar nach dem Endlauf: „Aber wenn wir nachher im Hotel sind, kommt bestimmt die Freude über das Erreichen des Finals und die Zeit von heute morgen.“
„Die Reaktionszeit am Start war nicht gut“, sagte Guide Alexander Kosenkow: „Wenn dir die anderen dann wegrennen, verkrampfst du an der ein oder anderen Stelle und kannst nicht so frei sprinten wie im Vorlauf, als wir vorne weggelaufen sind. Nichtdestotrotz ist das eine gute Zeit, aber der vierte Platz ist gerade eine kleine Enttäuschung.“ Kosenkow richtete den Blick aber direkt wieder nach vorne: „Wir werden uns in jedem Fall noch mal steigern, nach Marcels Corona-Erkrankung ist er jetzt erst richtig fit geworden und spätestens in Leverkusen am 25. Juni werden wir noch mal unter elf Sekunden laufen können.“
Disqualifiziert wurde nach einem couragierten Lauf über 1500 Meter Felix Krüsemann, der 2018 bei der Heim-EM in Berlin bei seinem Debüt noch Bronze gewonnen hatte. Dieses Mal lieferte er sich mit seinem französischen Konkurrenten Renaud Clerc einen harten Kampf um Platz drei – den er am Ende verlor. Zu seiner eigenen Überraschung und der von Bundestrainerin Marion Peters wurde er anschließend disqualifiziert
„Ich bin die ganze Zeit hinter ihm gelaufen und wollte Bronze gewinnen. Er lief auf Bahn zwei und hat mir 300 Meter vor Schluss innen aufgemacht, dann wollte ich innen vorbei und als er mich auf gleicher Höhe gespürt hat, hat er zugemacht. Ich wäre gestürzt, wenn ich ihn nicht berührt hätte. Wir hatten beide das Recht zu kämpfen, ich wurde jetzt disqualifiziert und kann das nicht ganz verstehen. Die Zeit hat am Ende aber auch nicht gestimmt“, sagte der 20-Jährige vom RSV Eintracht Stahnsdorf, der seinen Fokus dieses Jahr aber ganz auf die Paralympics gelegt hat: „Ich bin enttäuscht, aber abhaken und spätestens bei dem Wettkampf in Leverkusen in drei Wochen packe ich die Norm. Ich habe mich 1200 Meter richtig gut gefühlt und hätte einfach von Anfang an vor dem Franzosen laufen müssen, dann wäre es auch eine bessere Zeit und eine bessere Platzierung geworden. Das passiert mir nicht wieder.“
Das deutsche Team hat zum Abschluss nach fünf EM-Tagen 16 Medaillen: Fünf Mal Gold, fünf Mal Silber und sechs Mal Bronze bedeuten Platz zehn im Medaillenspiegel mit einem kleinen Team von 15 Athletinnen und Athleten sowie einem Guide. Rennrollstuhlfahrerin Merle Menje wurde über 400 und 5000 Meter Europameisterin, Weitspringer Markus Rehm sowie Martina Willing und Mathias Mester im Speerwurfen holten ebenfalls erste Plätze. Doppel-Silber gab es für Nicole Nicoleitzik über 100 und 200 Meter sowie für Menje über 100 und 800 Meter und einen zweiten Platz für Speerwerferin Francés Herrmann. Kugelstoß-Bronze holten Marie Brämer-Skowronek, Sebastian Dietz, Niko Kappel, Yannis Fischer, Mathias Schulze und Sprinterin Janne Engeleiter über 100 Meter.
„Es waren Lichtblicke, aber auch noch Schatten erkennbar“, resümierte Bundestrainerin Marion Peters: „Die Highlights waren neben den sehr erfreulichen Goldmedaillen sicherlich der Weltrekord von Markus Rehm und die starken Auftritte unserer Youngsters Merle Menje und Yannis Fischer.“ Nicht unerwähnt lassen wollte Peters, dass viele deutsche Top-Athletinnen und -Athleten gar nicht bei der EM dabei waren, die für die Paralympics Medaillenchancen haben: „Unter diesen besonderen Umständen – auch mit den Corona-Maßnahmen – haben wir hier nur eine Teil-Mannschaft am Start gehabt und das repräsentiert nicht das gesamte Bild der deutschen Para Leichtathletik momentan. Aber wir haben auch gesehen, dass andere Nationen auf dem Weg nach Tokio richtig starke Leistungen zeigen.“
Bis zum 25. Juni ist es noch möglich, die Qualifikationsnorm für Tokio zu erfüllen – und darauf liegt für Peters der Fokus: „Bei uns sind manche Athletinnen und Athleten noch nicht da, wo sie sein wollten und wir haben viel Arbeit in den nächsten Wochen vor uns. Ich hoffe, dass wir noch viele Normen für die Paralympics erfüllen können.“
Weitere Informationen und Ergebnisse rund um die Para Leichtathletik-EM gibt es unter www.paralympic.org/bydgoszcz-2021