Aktuelles aus dem Bereich Leistungssport
Emely Telle investiert viel für den Leistungssport
– und träumt von einer Paralympics-Medaille
Emely Telle kann sehr anschaulich schildern, wie es sich für sie unter Wasser kurz vor der Wende anfühlt: „Stell dir vor, du schwimmst schnell und dann kommt eine Wand, die du erst ganz spät siehst. So ist es bei mir.“ Die deutsche Spitzenschwimmerin hat seit ihrer Geburt eine Sehkraft von etwa zehn Prozent. „Alles im Abstand von fünf Metern ist für mich nur in Umrissen zu sehen“, sagt die 19 Jahre alte Berlinerin. „Ob ich vor der Wand noch einen Zug machen muss oder nicht, übe ich immer und immer wieder.“
25 Stunden in der Woche arbeitet sie mit ihrem Heim-Trainer Maik Zeh vom Berliner Schwimmteam. Ihr Ziel ist eindeutig definiert. Telle will eine Medaille bei den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro im September gewinnen – in ihrer Lieblingsdisziplin Brust, natürlich am liebsten die goldene: „Ich stelle mir täglich vor, wie das wohl sein wird, vielleicht irgendwann einmal ganz oben zu stehen. Das spornt mich sehr an.“ Am 1. Mai beginnen im portugiesischen Funchal die IPC-Schwimm-Europameisterschaften. Die Nationalmannschaft Paralympisches Schwimmen im Deutschen Behindertensportverband (DBS) reist mit einem 19-köpfigen Aufgebot an - darunter Emely Telle, die Zweite der WM 2015 in Glasgow über 100 Meter Brust. Nicht nur deswegen hat sie gute Chancen, von Bundestrainerin Ute Schinkitz vorgeschlagen und schließlich am 1. August vom DBS nominiert zu werden.
Für den Leistungssport die Heimat verlassen
Die Schülerin steht nicht nur aufgrund ihres wöchentlichen Trainingspensums beispielhaft dafür, dass der Sport von Athleten mit Behinderung Hochleistungssport ist. Nur wer viel investiert, kann sich auf dem deutlich gestiegenen internationalen Niveau behaupten. Emely Telle kam mit 15 Jahren aus der Nähe Weimars nach Berlin zum Schul- und Leistungssportzentrum (SLZB) und ins Berliner Schwimmteam unter dem Dach des PSC Berlin, wo Athletinnen und Athleten unterschiedlicher Behinderungen miteinander trainieren und sehr gut gefördert werden. „Am Anfang war es nicht ganz leicht. Ich musste mich erst zurechtfinden. Aber die Art, wie hier alles organisiert ist, hat mir geholfen“, sagt sie. Heimweh habe sie selten verspürt. Vielleicht auch, weil immer etwas zu tun war, ob Schule oder Schwimmen.
Am SLZB möchte Emely Telle 2017 ihr Abitur ablegen und dann Modejournalismus studieren. Sie hebt hervor, wie wohl sie sich in ihrer Trainingsgruppe fühlt, wie motivierend die Gemeinschaft sei. In den erfahrenen paralympischen Schwimmerinnen Daniela Schulte, Verena Schott und Elena Krawzow hat Telle genügend Vorbilder im eigenen Team. Ihre beste Freundin Maike Naomi Schnittger startet für das nur unweit entfernte Schwimmteam Potsdam. Die Brandenburger aus Potsdam und das Schwimmteam NRW aus Leverkusen bilden die anderen beiden paralympischen Trainingsstützpunkte von Deutschlands Schwimmerinnen und Schwimmern mit Behinderung. „Wir haben eine Zentralisierung gebraucht, um mehr Leistungsstärke zu bekommen“, erklärt DBS-Vizepräsident Leistungssport, Dr. Karl Quade.
Emely Telle hat davon profitiert. Jeden Tag, auch im Kleinen. Die Wege vom Schul- und Leistungssportzentrum zum Berliner Schwimmforum im Stadtteil Alt-Hohenschönhausen sind kurz. Lehrer und Trainer sind im ständigen Austausch. Als ‚Eliteschule des Sports’ (prämiert vom Deutschen Olympischen Sportbund) hat das SLZB das Wohl seiner Athleten immer im Blick. „Ich kann mich dadurch gut auf das Lernen und das Schwimmen konzentrieren“, sagt Telle. Aus Grundschulzeiten in einer Schule für Sehschwache kannte sie es, dass sie in der ersten Bankreihe sitzen durfte und bei Klassenarbeiten zehn Minuten länger Zeit bekam. „Ich kann kleine Schriften nun mal nicht sehen“, sagt die 19-Jährige, „aber es war gut, dass ich auf eine Schule für Sehbehinderte gegangen bin und dort Tipps und Tricks für den Alltag bekommen habe“. Offen mit der Behinderung umzugehen, gehört dazu. In Berlin haben einige andere Mitschüler und Sportler eine ähnliche Einschränkung. Das erspart viele Worte.
Beucher: „Emely ist die personifizierte Leistungsbereitschaft für Jugendliche mit Behinderung“
Die blonde Athletin mit dem sympathischen Lächeln genießt die professionelle Betreuung durch DBS, PSC Berlin und das Berliner Schwimmteam. In der Woche vor der EM feilte sie mit ihren Nationalmannschaft-Kollegen im Trainingslager auf Lanzarote weiter an ihrer Form. „Wir haben dadurch beste Bedingungen und können uns auch durch die gefühlte Nähe zu Funchal toll vorbereiten“, sagt Heimtrainer Maik Zeh. Zusammen mit Verena Schott, Janina Breuer, Daniel Simon und Niels Grunenberg profitiert auch Telle von solchen Camps. Sie sagt: „Ich bin einfach dankbar, was Verein und Verband für uns tun.“ Von Lanzarote wird die Gruppe gemeinsam nach Funchal fliegen.
Gern würde Emely Telle das in sie gesetzte Vertrauen mit einer paralympischen Medaille zurückzahlen. Dazu müsste sie in ihrer Startklasse ihre schärfste Kontrahentin und Freundin Karolina Pelenditrou aus Zypern bezwingen – oder auch mit Elena Krawzow Konkurrenz aus dem eigenen Team. Was sie besonders motiviert? „Ich stelle mir unsere gemeinsame Freude nach dem Wettkampf vor.“ Doch so weit ist es noch nicht.
Emely Telle scheint auf einem guten Weg – auch als Vorbild. Manches Lob muss sie aushalten, wie etwa das von DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher: „Emely ist die personifizierte Leistungsbereitschaft für Jugendliche mit Behinderung. Sie schwimmt sich in die Weltspitze, weil ihr Umfeld persönlich und sachlich passt.“ Ein Vorbild will sie gern sein. Aber auf ihre Weise: „Ich möchte zeigen, dass auch Menschen mit Handicap schnell schwimmen können.“
Quelle: Frank Heike/Medienmannschaft
Hintergründe zu den Sportlerinnen und Sportlern unserer Deutschen Paralympischen Mannschaft finden Sie auf www.deutsche-paralympische-mannschaft.de oder unter www.abteilung-schwimmen.de.