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Markus Rehm als Fabelrekordler zur WM nach Lyon
Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm startet nach seiner jüngsten Fabelweite als absoluter Top-Favorit bei der Leichtathletik-WM der Paralympics-Sportler. Angesichts seiner immer neuen Rekord-Sprünge wie gerade in Leverkusen will er in der Zukunft am liebsten auch bei den Wettkämpfen der Leichtathleten ohne Behinderung starten.
Weiter. Immer weiter. Die einstige Maxime von ‚Torwart-Titan’ Oliver Kahn erhält durch den Leverkusener Leichtathleten Markus Rehm eine völlig neue Bedeutung. Der Paralympics-Goldmedaillengewinner von London durchbrach bei einem Meeting in Leverkusen am 12. Juli eine Art Schallgrenze: 7 Meter 54! Mit diesem Satz ist er in eine neue Dimension des paralympischen Sports gesprungen. Sein Weltrekord ist durchaus mit den 8,90 Metern von Bob Beamon bei den Olympischen Spielen 1968 vergleichbar, der bei den „Fußgängern“ den Weitsprung auf eine neue Ebene hob.
Schon mit seinem Satz auf 7,35 Meter bei den Paralympischen Spielen 2012 hatte Rehm einen Quantensprung seines Sports hingelegt: Er hatte damals schlicht die Formel des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) gesprengt, die im kombinierten Wettkampf der unterschenkel- und oberschenkelamputierten Athleten die Weite nach Punkten verrechnet und die Schwächeren aufwertet. Kleinlaut gab man beim Verband danach zu, nicht mit einem solchen Sprung gerechnet zu haben. Rehm hatte die Konkurrenz überflügelt und seine Bestleistung um 26 Zentimeter nach oben geschraubt: Weltrekord, Gold.
Und nun das. Eine unvorstellbare Weite. „Ich habe schnell nach dem Sprung gemerkt, dass er gut war. Dann bin ich nach vorne gelaufen, um zu sehen wie weit es tatsächlich war. Danach war ich natürlich super happy." erzählt der 24jährige. Und das nach einem langen Arbeitstag, wie er beiläufig anmerkt – „ich war eigentlich gar nicht so fit“. Rehm startet natürlich als Topfavorit bei der WM der paralympischen Sportler vom 19. bis 26. Juli in Lyon. Sein Wettkampf ist am 24. Juli angesetzt. "Natürlich möchte ich diese Weite bei der WM bestätigen, ob ich da jetzt nochmal drüber komme, weiß ich nicht, aber die 7,5 wären schon gut", sagt er.
‚Schon gut’ ... Siebeneinhalb Meter – bis vor kurzem noch eine Fabelweite – sind aus Rehms Perspektive inzwischen relativ. Eigentlich ist er mittlerweile zu gut für die Wettkämpfe der Behinderten. Mit seiner neuen Weltrekordweite wäre er am 6. Juli bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der „Fußgänger“ in Ulm Achter von 13 Startern geworden. „Ich habe gleich nach den Paralympics gemerkt, dass bei 7,35 m noch nicht Schluss ist“, sagt der Leverkusener, dem nach einem Wakeboard-Unfall vor zehn Jahren der rechte Unterschenkel amputiert werden musste.
Da ist es kein Wunder, dass der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius in sportlicher Hinsicht ein Vorbild für den Leverkusener ist. Pistorius legte sich so lange mit den Offiziellen der Welt-Leichtathletik an, bis er die Starterlaubnis für WM und Olympia erstreiten konnte. Rehm hat ähnliche Ziele. So wie es der südafrikanische Blade-Runner vorgemacht hat, will auch er als Paralympics-Sportler bei einem Top-Event der Athleten ohne Behinderung starten. Olympia scheint für ihn wegen der Norm von 8,20 Metern unrealistisch, die Deutschen Meisterschaften sind jedoch schon jetzt machbar.
„Ich will keine Vorzugsbehandlung, natürlich müsste auch ich die offizielle Norm dafür erst erfüllen“, sagt Rehm. Als das Thema bereits nach seiner Gala-Vorstellung in London aufgekommen war, hatte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) dem Ganzen zunächst jedoch einen Riegel vorgeschoben und Athleten, die Prothesen oder weitere Technologien benötigen, ausgeschlossen. „Ich würde mich gerne mit dem DLV zusammensetzen und eine Lösung für alle Beteiligten finden. Ich bin ja auch nicht auf Konfrontation aus“, sagt Rehm. Denn ganz vom Tisch sei das Thema dort wohl noch nicht.
Dabei hatte er eigentlich schon in diesem Sommer geplant, bei mehreren Meetings nicht-behinderter Athleten teilzunehmen. Doch der Start in die Freiluftsaison lief alles andere als reibungslos. Zuerst zwickten die Adduktoren, die Verletzung strahlte in den Fuß aus und als die Beschwerden schließlich abgeklungen waren, brach er sich das rechte Handgelenk, als sich bei einem Trainingssprung die Prothese löste und er stürzte. Den Wettstreit mit den besten deutschen Weitspringern hat er auf die nächste Saison verschieben müssen.
Dass er in guter Verfassung ist, bewies Rehm trotz der noch immer nicht ganz abgeklungenen Verletzung zuletzt in Serie. Mitte Juni bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften der Paralympics-Sportler in Berlin, verteidigte er mit 7,23 Metern seinen Meistertitel souverän. Mit einer Top-Leistung in Lyon könnte er zumindest die sportlichen Argumente für ein Umdenken beim DLV liefern – wenn er sie mit seinem Leverkusener ‚Quantensprung’ nicht ohnehin schon unter Druck gesetzt hat. Der Begriff ‚Behindertensport‘ stößt ihm sowieso sauer auf. „Ich lasse mich nicht behindern“, schreibt er auf der Startseite seiner Homepage. „Ich mag dieses Wort einfach nicht“, sagt Rehm, dessen Alltag als Leistungssportler ohnehin dem seiner Leverkusener Leichtathletik-Kollegen ohne Behinderung gleicht.
In seinem Job als Orthopädie-Techniker arbeitet er halbtags, nach und vor der Arbeit trainiert er beim TSV Bayer 04 Leverkusen, die Vorbereitung auf die WM absolvierte er im Trainingszentrum in Berlin-Kienbaum. Rehm sagt: „Den Stress und die Arbeit, das nehme ich alles auf mich für genau solche Momente wie in London oder Leverkusen.“ Der nächste ‚Moment’ dieser Art ist nun in Lyon geplant. Die Woche über wird Markus Rehm ganz normal arbeiten und trainieren, danach fliegt er mit dem Team nach Frankreich. Am 25. Juli geht es schon wieder zurück nach Deutschland. „Das wird ein kurzer Ausflug", sagt der Rekordmann schmunzelnd. Kurze Ausflüge, unglaublich weite Sprünge – Markus Rehm stellt die Leichtathletikszene derzeit auf den Kopf.
Quelle: Amelie Herberg