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Johannes Floors: Einzel-Gold für die Traum-Saison?

Europarekorde über 100 und 200 Meter, Bestzeit über 400 Meter: Johannes Floors ist vor dem Start der Para-Leichtathletik-Weltmeisterschaft in London am Freitag in Topform – Seine Ziele sind klar defin

Johannes Floors
Johannes Floors © Ralf Kuckuck / DBS

Wenn ein Sprinter in der Leichtathletik eine Saison im Voraus malen könnte, würde sie vermutlich so aussehen wie die von Johannes Floors in diesem Jahr. Über 100 und 200 Meter verbesserte der 22-Jährige zum Saisoneinstieg den deutschen Rekord in der Startklasse T43, über 400 Meter gab es gleich im ersten Rennen eine persönliche Bestzeit. In der Folge jubelte der doppelseitig unterschenkelamputierte Sportler sogar über zwei Europarekorde über 100 und 200 Meter – und ist für die anstehende Para-Leichtathletik-WM in London vom 14. bis 23. Juli in Topform.

Nur eine Krankheit verhinderte es, dass der Athlet des TSV Bayer 04 Leverkusen sich bei den deutschen U23-Meisterschaften mit den nationalen Spitzen-Athleten ohne Behinderung messen konnte. Denn das Floors schneller ist, wenn er starke Läufer neben sich hat, weiß er nicht erst seit 2015, als er den Europarekord über 400 Meter geknackt hatte – und eine Woche später zwei Sekunden langsamer lief, weil er alleine für das Tempo verantwortlich war. In Leverkusen sprintete der 22-Jährige dann Ende Juni mit Konkurrenz neben sich über 100 Meter 10,88 Sekunden im Vorlauf und ließ 10,77 Sekunden im Finale folgen. Wieder Europarekord – lediglich ein nicht zulässiger Rückenwind im Finale sorgte dafür, dass der Vorlauf als Bestzeit gilt. Die Elf-Sekunden-Marke hatte Floors bereits wenige Wochen zuvor in Paris erstmals in seiner Karriere geknackt.

„Es läuft super – und ich weiß, dass es in London noch schneller werden kann“

Die Faktoren für diese hervorragende Entwicklung sind vielseitig. Nach seiner abgeschlossenen Ausbildung zum Orthopädietechnik-Mechaniker studiert der Braunschweiger seit April Maschinenbau und hat im Studium mehr Freiheiten. Zudem wird er neben den optimalen Bedingungen in Leverkusen seit diesem Jahr vom Bundesministerium der Verteidigung gefördert. Dadurch hat er seinen Trainingsumfang gesteigert – von bisher fünf Mal bei seiner Jugendtrainerin Sara Grädtke auf zehn Mal bei Karl-Heinz Düe. Vor allem am Laufstil haben die beiden viel gearbeitet – bislang erfolgreich: „Wir haben uns keine Zeiten als Ziel gesetzt und es läuft super – und ich weiß, dass es in London noch schneller werden kann.“ Daher lautet sein Ziel über seine Königsdisziplin, die 400 Meter am Montagabend: Gold.

In Brasilien hatte er auf diese Distanz verletzt verzichten müssen, nachdem er sich in Ekstase nach dem Gewinn der Goldmedaille mit der 4x100-Meter-Staffel das Knie verdreht hatte und keine zwei Stunden später trotzdem Bestzeit über 200 Meter gelaufen war. „Deshalb ist London jetzt mein verspätetes 400-Meter-Finale, in dem ich zeigen kann, was ich drauf habe“, sagt Floors und fügt hinzu: „Nur Jubeln darf ich im Erfolgsfall nicht mehr. Wenn ich grinse, ist das mein Jubel – während ich innerlich ausflippe.“

Der Staffel-Sieg war neben dem Staffel-Gold bei der WM 2015 sein bislang größter Erfolg, doch nach dem verletzungsbedingten Fehlen von Felix Streng sind die Chancen auf die Titelverteidigung gering: „Ich laufe gerne Staffel, weil es etwas anderes ist. Aber in London konzentriere ich mich klar auf die Einzelrennen.“

„Früher konnte ich nicht rennen. Mit den Sportprothesen fühlt es sich großartig an“

Dort werden seine größten Konkurrenten über 200 und 400 Meter vermutlich Teamkollege David Behre und der junge US-Amerikaner Hunter Woodhall sein, über 100 Meter ist Lokalmatador Jonnie Peacock der große Favorit. Der Brite nannte Floors jüngst neben Jarryd Wallace als Konkurrenten – ein Zeichen für den gesteigerten Respekt, den sich Floors erarbeitet hat, zumal die doppelseitig amputierten Sprinter über 100 Meter normalerweise langsamer aus dem Startblock kommen.

London kann nach seinen ersten Paralympics vor neun Monaten für Floors der nächste Schritt werden. 2012, als die Spiele in der britischen Hauptstadt stattfanden, wusste er noch nicht mal, dass er jemals auf Sportprothesen rennen würde. Ein Jahr zuvor hatte er sich entschieden, seine Unterschenkel amputieren zu lassen, nachdem er mit einem Fibula-Gendefekt auf die Welt gekommen war. 2014 bekam er seine ersten Sportprothesen von Ottobock, ein Jahr später gewann er bei der WM in Doha schon Bronze über 400 Meter und Staffel-Gold. „Ich konnte davor nie rennen. Es fühlt sich großartig an. Und jetzt in diesem Stadion vor diesem sportverrückten Publikum – ich freue mich einfach.“