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Edina Müller im Portrait

Robust beim Defensiv-Rebound, sicher im Aufbau

Edina Müller

An die Auftritte vor vielen Zuschauern hat sich Edina Müller gewöhnt. Gemeint sind allerdings nicht diejenigen als defensivstarke Athletin der deutschen Rollstuhl-Basketballnationalmannschaft. Sondern diejenigen als Botschafterin ihrer Sportart. Seit Edina Müller die Goldmedaille bei den Paralympics 2012 in London mit der deutschen Auswahl holte, ist sie ein begehrter Gast bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Ehrungen. Sie sagt: „Es ist immer noch ein bisschen Nervosität dabei, wenn ich vorne reden muss. Es wird aber deutlich weniger. Inzwischen weiß ich, dass fast immer das gleiche gefragt wird.“ Hübsch, blond, blauäugig und dazu ziemlich schlagfertig: sie ziert jede Gesprächsrunde.

Es ist ein heißer Tag in Hamburg; die letzten Trainingseinheiten vor der Rollstuhlbasketball-Europameisterschaft in Frankfurt stehen an. So ein Großereignis im eigenen Land richtet den Scheinwerfer der Öffentlichkeit automatisch wieder auf Edina Müller und ihr Team. Die 30 Jahre alte Spielerin macht sich viele Gedanken über ihre Sportart, und wenn man mal ins Reden kommt, merkt man, wie sehr sie sie gedanklich durchdrungen hat. Dass der Hessische Rundfunk live überträgt, findet sie natürlich gut. Dass die am Samstag gegen Frankreich beginnenden Vorrundenspiele allesamt mit deutlichen Siegen für Deutschland enden dürften, schon weniger. „Es ist ziemlich klar, dass das Finale Deutschland gegen Holland heißen wird“, sagt sie. Zu großer Vorhersehbarkeit schadet dem öffentlichen Interesse. Aber es ist nun mal so: Die anderen europäischen Nationen hinken den Deutschen hinterher; nur Holland, Australien und die USA halten mit. In Deutschland gibt es ein seit Jahrzehnten etabliertes Ligensystem, das eine Förderung von unten nach oben ermöglicht. In manchen anderen Ländern gibt es hingegen nur eine starke Mannschaft – Galatasaray Istanbul in der Türkei etwa.  Alles andere als der Titel bei der Heim-EM wäre eine Enttäuschung für Edina Müller.

Als beste Abwehr-Spielerin in der gemischten Mannschaft des Hamburger SV hat sie eine erfolgreiche Saison hinter sich. In der Bundesliga verhinderte der HSV den Abstieg; bei der Endrunde um den Titel, bei der nur Frauen spielen, wurde Hamburg Meister. Der Jahreshöhepunkt steht nun in der Eissporthalle an. Edina Müller gilt als Profi ohne Nerven; robust beim Defensiv-Rebound, sicher im Aufbau. Sie gehört zur starting five. Das sagen allerdings andere über sie –  Eigenlob würde aus ihrem Mund nie kommen. Lob kommt von Holger Glinicki, ihrem Trainer beim Hamburger SV. Er ist auch Cheftrainer der Nationalmannschaft.

Es ist eine Menge passiert, seit Edina Müller im Sommer 2011 vom RSV Bonn nach Hamburg wechselte. Glinicki erlebte seinen Zugang zunächst mutlos und zögerlich. Dabei hatte sie von 2006 bis 2008 alles dem Sport untergeordnet und beim kanadischen Kulttrainer Michael Frogley an der Universität von Illinois trainiert. Bei den Olympischen Spielen 2008 ging ihr Stern auf, in Bonn lief es richtig gut. Aber in Hamburg fragte sich Glinicki vor zwei Jahren, was denn los sei mit der schon damals erfahrenen Nationalspielerin. Ihr fehlte Selbstvertrauen. Es mag die neue Situation in einer fremden Stadt gewesen sein, die eine eher ruhige Person wie Edina Müller forderte. Doch Ende 2011 hatte Glinicki das Gefühl, die Blockade bei seiner besten Spielerin gelöst zu haben. „Der Trainer hat voll auf mich gesetzt“, sagt Edina Müller, „ich habe das nötige Selbstvertrauen bekommen.“

Der bislang entscheidende Moment ihrer Laufbahn ereignete sich im paralympischen Finale gegen Australien. London, 7. September 2012, 15.000 Zuschauer: Es ist eng, Deutschland führt mit nur vier Punkten, das Spiel steht auf der Kippe. Glinicki wechselt Müller ein, sie macht sechs Punkte nacheinander. Die Führung gibt Deutschland nicht mehr aus der Hand und gewinnt 58:44.

Edina Müllers Laufbahn hat dadurch den großen Schub bekommen. Nach London begann die Zeit der Interviews, Ehrungen und Podien. Fast immer ging es darum, wie es ist, als Mensch im Rollstuhl Hochleistungssport mit zwei Trainingseinheiten am Tag zu schaffen. Es überwiegt der Respekt vor der Leistung, nicht das Mitleid. Sie sagt: „Es gehört zu meiner Geschichte, dass ich im Rollstuhl sitze. Es ist auch okay, wenn Leute wissen wollen, warum es so ist. Aber ich möchte nicht darauf reduziert werden.“ Sie selbst ist seit einer Rückenoperation im Jahr 2000 auf den Rollstuhl angewiesen. Seit November 2012 arbeitet sie mit frisch querschnittgelähmten Patienten. Sie hilft ihnen, mit dem Rollstuhl mobil zu werden. Durch Kräftigung der Brust- und Oberarmmuskulatur etwa. „Es ist ein großer Unterschied, ob der Therapeut Fußgänger ist oder nicht“, sagt sie.

Mit nun 30 Jahren und ihrem Vollzeitjob als Diplom-Heilpädagogin am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus in Hamburg-Boberg traut sie sich ein Auslandsabenteuer bei einem europäischen Topklub nicht mehr zu: „Das hätte ich früher machen müssen.“ Spanien, Italien und die Türkei, das waren zumindest vor der Euro-Krise die Länder, die auch im Rollstuhlbasketball Profis bezahlen konnten. Edina Müller bekommt 450 Euro im Monat vom Team Hamburg, einem Zusammenschluss der hiesigen Spitzenathleten. 170 Euro im Monat fließen von der Deutschen Sporthilfe auf ihr Konto. Den bis zu 7000 Euro teuren, maßgeschneiderten Wettkampf-Rollstuhl muss sie nicht bezahlen – Hersteller „Meyra“ liefert ihn. Persönliche Sponsoren fehlen, und von den großen Vermarktungsagenturen ist niemand an sie herangetreten. Das habe sie auch nicht erwartet, sagt sie. Edina Müller ist froh, überhaupt Unterstützung zu bekommen. „Ohne dieses Geld  müsste ich aufhören“, sagt sie, hebt sich in ihren Sportrollstuhl und wirft die ersten Bälle dieses Abends auf den Korb. Irgendwann ist dann auch mal wieder gut mit diesen ganzen Fragen zum Rollstuhlbasketball.

Quelle: Frank Heike