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Interview mit Ute Schinkitz

Interview mit Bundestrainerin Ute Schinkitz über die Ereignisse im Jahr 2014 und die Ziele für die Zukunft

Ute Schinkitz ist seit sechs Jahren Bundestrainerin der deutschen Schwimmer mit Handicap. Kevin Müller sprach mit ihr über die Ereignisse im Jahr 2014, Hoffnungsträger für die Zukunft und die Lücke, die Kirsten Bruhn hinterlässt.

Das Jahr 2014 ist vorbei. Europameisterschaft, der Rücktritt von Kirsten Bruhn, Schwimmfeste mit Nichtbehinderten – wie fällt Ihr Jahresrückblick aus?

Für die Nationalmannschaft und die sechs Schwimmer aus dem Juniorenteam war natürlich die EM in Eindhoven der große Höhepunkt. Alle trainieren fleißig und versuchen ihr Bestes, daher war die Ausbeute bei der EM mit sechsmal Gold, achtmal Silber und zehnmal Bronze gut. Wir haben aber auch wieder sehen können, dass die Konkurrenz nicht schläft. Unser Nachwuchs hat seine Sache gut gemacht, doch der Abstand zur Weltspitze ist noch enorm. Für viele wird es ein großer Schritt, um im Weltmaßstab ins Finale oder sogar um die Medaillenränge zu schwimmen.

Wie schwer wiegt da der Verlust von Kirsten Bruhn?

Wir hatten zwar Zeit, uns auf das Ende ihrer leistungssportlichen Karriere vorzubereiten, dennoch ist so ein Abschied immer emotional. Keine Frage, menschlich und sportlich ist es ein großer Verlust. Allerdings geht uns Kirsten als Person nicht komplett verloren. Sie ist in zahlreichen Gremien tätig und übernimmt viele Aufgaben, so dass sie den paralympischen Sport weiterhin unterstützt – nur eben außerhalb des Schwimmbeckens. Trotzdem hinterlässt sie auch hinsichtlich des Medaillenspiegels eine Lücke, die kaum zu schließen ist.

Inwiefern?

Kirsten war immer für ein oder zwei Goldmedaillen gut. Die werden uns künftig fehlen. Und Goldmedaillen sind nun einmal der ausschlaggebende Faktor im Ranking. Auch Daniela Schulte ist gesundheitlich stark eingeschränkt und kann derzeit verletzungsbedingt nur unter Schmerzen trainieren.

Keine rosigen Aussichten vor dem Jahreshöhepunkt, der Weltmeisterschaft in Glasgow.

Nicht unbedingt, zumal auch Elena Krawzow als amtierende Welt- und Europameisterin in dieser Phase im Prüfungsstress sein wird und darüber hinaus Startklassen bei den Sehbehinderten zusammengelegt worden sind. Das ist für uns alles andere als optimal und schmälert unsere Medaillenchancen. Ich befürchte, dass es für uns bei der WM nicht leicht wird, eine Goldmedaille zu holen.

Wer zählt denn zu den künftigen Hoffnungsträgern?

Daniela Schulte, Elena Krawzow, Niels Grunewald, Torben Schmidtke und Sebastian Iwanow sind auf jeden Fall Medaillen zuzutrauen, das haben sie in der Vergangenheit gezeigt. Auch Emely Telle, Maike Naomi Schnittger oder Denise Grahl können sehr aussichtsreich um Medaillen kämpfen. Trotz der genannten Schwierigkeiten: Wir werden auch künftig einige Medaillenträger in unseren Reihen haben. Da bin ich mir sicher. Ich sage immer: Wer es ins Finale schafft, der ist Weltklasse. Und Weltspitze sind diejenigen, die Medaillen holen.

Wo befinden sich die deutschen Schwimmer denn im Vergleich zu anderen Nationen?

Wir haben viele Athleten, die im Finale vertreten sind. Um auch zur Weltspitze zu gehören, müssen wir uns noch weiter steigern – und erst recht, um ganz vorne zu landen. Die Ukraine, Russland, Großbritannien, die Niederlande und Spanien sind traditionell sehr stark, Italien hat zuletzt einen Schritt nach vorne gemacht. Wir müssen weiter hart arbeiten.

Was sind die Erwartungen und Ziele für die WM?

Wir wollen nicht zu sehr auf den Medaillenspiegel schauen. Das große Ziel von allen ist es, die persönliche Bestleistung bei der WM zu zeigen. Schaffen wir das, springen Finalplatzierungen und Medaillen von ganz alleine heraus.

Wie gelingt es denn, auf den Punkt fit zu sein?

Da gibt es nicht das eine Erfolgsrezept. Zunächst muss man natürlich gesund bleiben, um trainieren zu können. Eine große Rolle spielt die Trainingsmethodik, die zielgerichtet auf den Wettkampfhöhepunkt ausgerichtet ist. Das bedeutet auch, in welchem Umfang und in welcher Intensität man wann trainiert, oder wie man das Krafttraining gestaltet und vieles mehr. Diese Steuerung ist Sache der Trainer und der Sportler. Und wenn der große Tag gekommen ist, gilt es, auch vom Kopf her auf den Punkt da zu sein, fokussiert zu sein, und mit dem Leistungsdruck umgehen zu können. In dieser Hinsicht hat sich die Zusammenarbeit mit unseren Mentaltrainern sehr bewährt.

2014 die EM, 2015 WM und 2016 folgen die Paralympics: Es geht mit großen Schritten nach Rio. Wie sehr hat man die Spiele bereits im Blick?

Rio ist das große Ziel, auf das wir alle hinarbeiten. Das Training ist entsprechend langfristig angelegt, um bei den Paralympics möglichst in Topform zu sein. Da kommt es in den nächsten Monaten umso mehr darauf an, den Spagat zu schaffen zwischen Schule, Studium bzw. Beruf und dem Sport. Nur wer sich Tag für Tag quält und trotz dieser Schinderei nicht den Spaß am Schwimmsport verliert, wird seine Ziele erreichen können. Für die Schüler ist das fast nur möglich, wenn sie auf einer Eliteschule des Sports sind, damit sie den hohen Trainingsumfang bewerkstelligen können. Die Rahmenbedingungen müssen unbedingt stimmen, ebenso wie die Begeisterung und Freude am Schwimmen.

„Wir sind immer auf der Suche nach den Paralympics-Siegern von morgen, damit uns niemand durch die Lappen geht“

Auch bei der WM spielen die Paralympics schon eine Rolle.

Genau, jeder erste und zweite Platz bei der WM ist gleichbedeutend mit einem Startplatz bei den Paralympics – nicht für die Person, sondern für Deutschland. Weitere Startplätze werden mit einem speziellen Punktesystem über das Ranking vergeben.

Für viele Nachwuchsschwimmer kommt Rio noch zu früh, doch das Engagement rund um die Talente ist enorm. Trägt die Arbeit bereits Früchte?

Wir sind immer auf der Suche nach den Paralympics-Siegern von morgen, damit uns niemand durch die Lappen geht (lacht). Der Einsatz ist in der Tat sehr groß und die Zusammenarbeit läuft gut. Gerade unser Nachwuchsbeauftragter Lukas Niedenzu macht einen hervorragenden Job, und das ehrenamtlich. Für uns geht es darum, den Nachwuchs zu begeistern, zu motivieren und die bestmöglichen Bedingungen für effektives Training zu schaffen. Wir sind auf einem guten Weg.

Auch die Inklusion im Sport schreitet voran. Wären mehr inklusive Wettkämpfe wünschenswert?

Wir sind bereits bei manchen DSV-Schwimmfesten dabei, darüber hinaus sind einige unserer Schwimmer mit Handicap auch in Vereinen mit Nichtbehinderten und nehmen so auch ganz normal an Wettkämpfen teil. Ein gemeinsames Highlight wie 2014, als wir in Essen einen parallelen Wettkampf mit zahlreichen DSV-Topschwimmern hatten, wird es in diesem Jahr leider aus terminlichen Gründen nicht geben. Was ich mir wünschen würde, wären noch mehr Synergieeffekte mit dem Bereich der Nichtbehinderten.

Das heißt?

Mehr inklusive Arbeit im Training. Ich verspreche mir große Erfolge davon, wenn wir es schaffen sollten, das Know-how der Trainer effektiver zu bündeln und zu nutzen, um noch weiter nach vorne zu kommen. Beispielsweise durch gemeinsame Lehrgänge oder eben regelmäßiges gemeinsames Training. Wenn es die Behinderung zulässt, ist es das große Ziel, dass Schwimmer mit und ohne Handicap zusammen im Verein trainieren. Davon profitieren letztlich beide Seiten. Es gibt bereits einige positive Ansätze.

Positive Ansätze gibt es auch bei der öffentlichen Wahrnehmung des Behindertensports. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Ihrer Zeit als Bundestrainerin in den vergangenen sechs Jahren?

Wir spüren deutlich, dass es sich verbessert. Beispielsweise waren wir erstaunt darüber, wie viel während und nach unserer Europameisterschaft berichtet wurde. Sonst ist es meist ziemlich ruhig gewesen zwischen den Paralympics. Daher ist es eine tolle Entwicklung, über die wir uns sehr freuen – und wir hoffen, dass es in diese Richtung weiter geht und die Aufmerksamkeit noch größer wird. Doch wir wissen auch, dass es stark abhängig ist von Persönlichkeiten und Erfolgen. Das ist dann wiederum unser Job.

 

Quelle: Kevin Müller