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Teilhabe VEREINfacht: Wie der MTV Stuttgart mit Mandy Pierer Barrieren überwindet
Beim MTV Stuttgart ist Inklusion keine Ausnahme, sondern gelebte Normalität. Jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Behinderung, findet in dem 9.200 Mitglieder starken Traditionsverein einen Platz, um gemeinsam Sport zu treiben. Dafür sorgt Mandy Pierer. Die Inklusionsmanagerin des MTV Stuttgart weiß aus eigener Erfahrung, dass der Weg in den Sport für Menschen mit Behinderung häufig nicht einfach ist. Monate der Suche lagen hinter Familie Pierer, als der damals 4-jährige Henry in der Handbike-Trainingsgruppe des MTV endlich sein sportliches Glück und seine Eltern ihre Berufung fanden. Die Pierers waren gekommen, um zu bleiben und um den Inklusionssport beim MTV Stuttgart voranzutreiben.
Alles begann vor rund zehn Jahren als Mandy und ihr Mann Marcel erkannten, dass der Anker im Leben ihres Sohnes, der Para Sport beim MTV Stuttgart, anfing zu wackeln. „Der Trainer konnte aus gesundheitlichen Gründen das Training nicht mehr regelmäßig leiten“, erinnert sich Pierer. „Das hat uns traurig gemacht, denn wir hatten etwas gefunden, das uns und vor allem unserem Sohn Halt gab.“ In einem Moment des Innehaltens beschloss das Ehepaar Pierer, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. „Wir saßen gemeinsam am See und da habe ich gesagt: „Wollen wir das nicht machen? Und mein Mann hat gesagt: Wenn wir das machen, dann machen wir das richtig!“
Mit einer Halle ohne behindertengerechte Toilette und Umkleidekabine starteten die beiden ihr Vorhaben, eine Kinder- und Jugendrollstuhlgruppe aufzubauen. „Wir haben wirklich mit dem Minimum an Barrierefreiheit begonnen. Über Mund-zu-Mund-Propaganda und Plakate in der Stadt sowie im Kinderkrankenhaus ist die Gruppe langsam herangewachsen“, schaut Pierer zurück.
Inklusion als Selbstverständlichkeit
Seitdem hat sich viel getan. „All unsere Sportangebote stehen Menschen mit Behinderung offen, prinzipiell“, erklärt die studierte Sozialarbeiterin, die sich seit 2021 hauptamtlich beim MTV Stuttgart für Inklusion engagiert. Doch sie macht auch klar, dass die Teilnahme immer von der individuellen Situation abhänge: Welche Sportart interessiert die Person? Welche Anpassungen sind nötig? Diese Fragen stünden immer am Anfang eines jeden Inklusionsversuchs. Für Mandy ist das kein Hindernis, sondern eine Herausforderung, die sie gemeinsam mit den Übungsleitern bewältigt. „Nach drei Jahren intensiver Inklusionsarbeit ist es für viele Übungsleitende normal geworden, Menschen mit Behinderung oder besonderen Bedürfnissen in ihren Gruppen zu haben“, erzählt sie. Auch ältere Mitglieder, deren Fähigkeiten mit der Zeit nachlassen, profitieren von dieser Offenheit.
Dennoch betont Pierer, dass der Weg nicht immer einfach ist – weder für die Übungsleitenden noch für die Teilnehmenden. „Manchmal funktioniert es einfach nicht – sei es, weil das Leistungsniveau der Gruppe zu hoch ist oder die Person den Anweisungen nicht folgen kann. Das tut den Trainern und Betroffenen immer besonders leid.“ Diese Erfahrungen zeigen, dass neben inklusiven auch exklusive Angebote wichtig sind. „Es braucht die ganze Bandbreite: Angebote, wo es kein Problem ist, dass Menschen mit Behinderung dabei sind, und auch solche, bei denen Menschen auf ihrem eigenen Leistungsniveau Sport treiben können.“ Die 38-Jährige hat dabei auch all jene Menschen im Blick, die sich in einer inklusiven Sportgruppe überfordert fühlen. „Die Anpassungsleistung, die nötig ist, um sich als Einzelperson mit Behinderung in eine bestehende Gruppe zu integrieren, ist riesig. Da kann es schon vorkommen, dass jemand nach ein paar Malen sagt: Das habe ich mir irgendwie allesanders vorgestellt.‘“ Diese ehrliche Reflexion offenbart, dass Inklusion nicht nur bedeutet, jemanden willkommen zu heißen, sondern auch die individuellen Herausforderungen zu verstehen, denen sich die Teilnehmenden stellen müssen. „Wir sollten viel mehr mit denjenigen sprechen, die nicht mehr kommen. Nur so erfahren wir, warum die Person weggeblieben ist, und können vielleicht unser Angebot verbessern“, fügt Pierer hinzu.
Inklusion als Erfolgsfaktor für Sportvereine
Neben der individuellen Betreuung sieht Pierer auch im strukturellen Ansatz einen klaren Vorteil für den gesamten Verein: „Unterschiede sind normal. Jeder Sportverein braucht Angebote im Breiten- wie im Leistungssport“, sagt sie und betont, wie Inklusion zur Stärkung des Vereins beitragen kann: „In einem Sportverein gibt es einen Grund, dabei zu sein, zum Beispiel eine bestimmte Sportart. Aber dann merkt man, dass man immer mit anderen Menschen zusammen ist. Diese Begegnungen – das ist eben das, was wir in der Gesellschaft insgesamt brauchen.“ Pierer erklärt, dass es entscheidend sei, Begegnungshürden abzubauen, damit Vielfalt wirklich erlebt und gelebt werden könne.
Neben dem praktischen Engagement für inklusiven Sport liegt der Inklusionsmanagerin besonders die Beratung anderer Vereine am Herzen. „Wir wollen andere Vereine dazu ermutigen, es uns gleichzutun“, erklärt sie. Dabei gehe es ihr nicht darum, dass der MTV Konkurrenz erzeuge, sondern vielmehr darum, dass er als Vorbild fungiere. „Wir haben die Mittel und die Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren und anderen zu zeigen, wie es gehen kann.“ So unterstützt Pierer andere Vereine bei der Planung ihrer Sportangebote und vermittelt Sportinteressierte. „Wenn wir beispielsweise ein Sportangebot wie Rudern nicht haben, verweisen wir Interessierte an Vereine, die dieses Angebot haben“, erklärt Mandy. „Wichtig ist, dass wir keine doppelten Angebote schaffen, sondern uns ergänzen. So profitieren alle.“
Die Inklusionsarbeit beim MTV Stuttgart hat in den letzten Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Dank der Hartnäckigkeit und des Engagements von Menschen wie Mandy Pierer ist der Verein heute ein Leuchtturm der Inklusion im Sport. Doch trotz aller Erfolge bleibt noch viel zu tun. „Es braucht Mut, Offenheit und manchmal auch einfach den Willen, es auszuprobieren.“ Der MTV Stuttgart zeigt, dass Inklusion im Sport machbar ist – und dass der Weg, so herausfordernd er auch sein mag, sich lohnt.