Aktuelles aus dem Bereich Sportentwicklung
Rehasport ist für mich mit anderen Kindern zu turnen und Spaß zu haben
Bei der Frage nach seinen liebsten Hobbies muss Benedikt Trautvetter nicht lange überlegen. Fußballspielen, Klettern, Turnen und Schwimmen machen ihm besonders Spaß. Aktiv sein, sich auspowern. Beim Spielen und Toben ist der Siebenjährige aus Remscheid in seinem Element. Immer donnerstags steht für ihn nach der Schule sein geliebter Rehasportkurs auf dem Programm. „Ich mag es, mich zu bewegen“, sagt er.
Benedikt besucht das psychomotorische Turnen, ein Angebot der Rehabilitations- und Behindertensportgemeinschaft (RBS) Hückeswagen, das sich speziell an Vorschul- und Grundschulkinder richtet und ihnen Möglichkeiten schafft, mit Hilfe von Bewegung die eigenen Sinne zu schulen. Dabei stehen die Förderung der Grob- und Feinmotorik, die Schulung des Gleichgewichts und der Körperwahrnehmung bei Hyperaktivität im Vordergrund.
Benedikt, der eine ADHS-Diagnose hat, und sich im Alltag schwertut, seine Emotionen und Kräfte zu kontrollieren, besucht seit anderthalb Jahren die Gruppe. Von seinem Kinderarzt erhält er dafür eine Verordnung. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse. „Bene ist total happy und freut sich jedes Mal darauf“, sagt Anne Bublitz. „Als Mutter bin ich glücklich, dass es in unserer Umgebung ein solches Angebot speziell für Kinder gibt.“
Dafür fährt sie jede Woche von Remscheid ins 21 Kilometer entfernte Wipperfürth, wo Übungsleiterin Gaby Heyder in den Räumen eines Kindergartens die Kurse leitet. Heyder ist zugleich Benedikts Integrationshelferin in der Schule in Radevormwald und hat die Familie auf den Kinder-Rehasport aufmerksam gemacht. „Häufig wissen Familien nicht, welche Fördermöglichkeiten es für ihre Kinder im Sport gibt. Für meinen Sohn, der einen enormen Bewegungsdrang hat und sich schwerer tut im Umgang mit anderen Menschen – speziell auch mit Gleichaltrigen – ist das eine Chance, Sport zu treiben“, sagt Bublitz. „Im Regelsport, wo eher der Leistungsgedanke vorherrscht und viele Kinder zusammentreffen, kommt Bene nicht so gut zurecht. Zu viele Leute überfordern ihn manchmal, er kann sich dann nicht fokussieren. Als Kind spürt er das Anderssein natürlich.“
Der Rehasport setzt genau dort an. In einer vergleichsweise kleinen Gruppe kann Gaby Heyer gezielt auf die jungen Sportler*innen eingehen. Sie weiß mit deren Bedürfnissen umzugehen. Hier dürfen sich die Kinder ausprobieren – ganz ohne Leistungsdruck oder Gruppenzwang. Es wird geturnt, getanzt, gespielt oder ein Parcours aufgebaut. Im Fokus steht dabei die Förderung der Interaktion mit und zwischen den Kindern. „Das ist ein regelmäßiger Termin, Struktur ist für Benedikt wichtig“, betont seine Mutter. „Ich merke, wie gut ihm das tut. Der Rehasport hilft ihm nicht nur dabei, fit zu bleiben, das Angebot steigert auch sein Wohlbefinden. Es ist ein wichtiger Ausgleich zum Alltag in der Schule.“
Die Einheit dauert jeweils 45 Minuten. Dabei kommen Bälle, Reifen oder auch Turngeräte zum Einsatz. „Es wird nie langweilig“, betont Benedikt, der demnächst auch einen Bronzekurs im Schwimmen beginnt.
Das psychomotorische Turnen ist ein Angebot von vielen im RBS Hückeswagen. Als einer der größten Sportvereine der Umgebung bietet die Rehabilitations- und Behindertensportgemeinschaft Menschen mit und ohne Behinderungen oder Einschränkungen die Möglichkeit, Sport zu treiben. Ursprünglich 1968 als Versehrtensportgemeinschaft gegründet und später zunächst in Behindertensportgemeinschaft umbenannt, ist der Verein seit der Einbeziehung des Rehabilitationssportes in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Rund 240 Teilnehmende besuchen die aktuell zehn Gruppen, ein Drittel sind unter 18 Jahren. Zum Angebot gehören Boccia, Herzsport, Hockergymnastik, orthopädische Kurse, eine integrative Judogruppe, aber auch mehrere Kurse für Kinder und Jugendliche.
Deren Förderung liegt der Vorsitzenden Brigitte Thiel mit ihrem Team sehr am Herzen. „Die meisten Kinder kommen mit einer Verordnung zu uns“, erklärt Thiel. „Wir schauen uns diese an und orientieren uns mit unserem Sportangebot an deren Bedürfnissen. Manchmal kommen Kinder, die in ihrer motorischen Entwicklung etwas gebremst sind, andere sind extrem aktiv. Wir wollen allen ein Angebot machen, von dem sie profitieren.“
Rund 20 Übungsleiter*innen und Helfer*innen sind über die Woche im Einsatz. Die Resonanz sei durchweg positiv. „Die Kinder kommen sehr gerne, sie spüren, dass sie mit ihren Problemen und Wünschen ernst genommen werden. Wir starten meist mit einem Gesprächskreis, dort darf jeder erzählen, was er erlebt oder auf dem Herzen hat“, sagt Thiel, die für mehr Rehasport-Angebote wirbt und dazu animieren möchte, diese auszuprobieren und sich entsprechend über die Vorteile zu informieren. Denn die Rehabilitation ist auch für Kinder und Jugendliche ein wichtiger Baustein: Der Sport fördert die Körperwahrnehmung, hilft Bewegungsabläufe zu erlernen oder zu verbessern und stärkt das Selbstbewusstsein. Die Integration in eine Gruppe sorgt überdies für ein Gemeinschaftsgefühl. „Wir erleben häufig, dass die Menschen unsere Angebote nicht kennen. Eltern, die sagen, mein Kind ist nicht behindert, denen antworte ich, dass wir aber auch Rehasport anbieten. Dazu kommen Ärzte, die sich verweigern. Nach dem Motto: Das braucht das Kind nicht. Dabei belastet eine Verordnung deren Budget gar nicht“, schildert Thiel ihre Erfahrungen.
Umso wichtiger sei es, zu informieren, die Menschen mitzunehmen. Gerade erst hat sie für ihren Verein die neu erstellten Flyer des Deutschen Behindertensportverbandes bekommen, die sie nutzt. „Wir merken, dass es hilft, aufzuklären, in Praxen oder Schulen persönlich vorbeizugehen. Mit Infomaterial wissen die Leute direkt, wohin sie sich wenden können.“ Aber nicht nur für die Kinder, auch für die Eltern kann der Rehasport eine Art Lebenshilfe sein. „Im Alltag hatte ich manchmal das Gefühl, fehl am Platz zu sein mit Kindern, die nicht im Raster laufen. Unter Gleichgesinnten spürt man: Nein wir sind keine Fehler im System, und wir sind auch nicht allein“, sagt Anne Bublitz. „Ich habe dadurch gelernt, offen mit der Erkrankung der Kinder umzugehen. Das Verständnis ist größer als man denkt.“