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Jahresbilanz des Missbrauchsbeauftragten: Erschütterung und vorsichtiger Optimismus
Sexueller Kindesmissbrauch bleibt auch ein Jahr nach Ende des Runden Tisches ein gravierendes Problem. Bis heute warten Betroffene auf Verbesserungen. Gesellschaftliche Dachorganisationen zeigen Bereitschaft, Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt zu schützen.
Berlin, 6. Dezember 2012. Ein Jahr nach Ende des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ und ein Jahr nach seinem Amtsantritt zog der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, heute in Berlin Bilanz: „Kindesmissbrauch erschüttert nach wie vor täglich unsere Gesellschaft“, so Rörig, „Zivilgesellschaft und Politik ringen noch immer um angemessene Antworten“. Dennoch gehe die Gesellschaft heute im Vergleich zu Beginn des Jahres 2010 aufmerksamer und verantwortungsbewusster mit der Thematik um.
Die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches ist bis heute nicht zufriedenstellend.
Die politische Umsetzung bei den Hilfen und beim Opferschutz bewertet der Beauftragte trotz einzelner positiver Signale insgesamt als nicht zufriedenstellend. Die höhere Sensibilität in der Gesellschaft habe noch nicht dazu geführt, dass sich die Lage Betroffener sexualisierter Gewalt durch aktives Handeln von Bund, Ländern und Kommunen tatsächlich verbessert habe. „Für Missbrauchsopfer ist im letzten Jahr definitiv zu wenig erreicht worden“, betonte Rörig, „das ist knapp drei Jahre nach Einrichtung des Runden Tisches für die Betroffenen bitter“. Zusätzlich wäre es sehr schmerzlich, wenn die jetzt erfolgte Verlegung des Bilanztreffens des Runden Tisches zu weiteren Verzögerungen zu Lasten Betroffener führen würde.
Noch in dieser Legislaturperiode sieht Rörig sofortigen gesetzlichen Handlungsbedarf: Das dringend nötige Gesetz zur Stärkung der Rechte der Opfer sexueller Gewalt (StormG) müsse schnell verabschiedet werden, damit es nach den Wahlen nicht wieder völlig neu aufgerollt werden müsse. Der Entwurf schlummere bereits seit 18 Monaten im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Außerdem bräuchten Betroffene dringend die versprochenen Hilfen aus dem 100 Millionen-Euro-Fonds. Vor genau einem Jahr wurde der Fonds von drei Ressorts der Bundesregierung angekündigt. Bis heute haben Betroffene keine Sicherheit, dass der Fonds überhaupt kommt. „Es darf nicht bei einem unverbindlichen Mitgefühl bleiben“, betonte Rörig, „das Schweigen der Politik, der Bundesregierung und der 16 Bundesländer ist für Betroffene unerträglich.“ Es gäbe eine gesellschaftliche Verantwortung, hier seien besonders die Länder in der Pflicht.
Länder und Kommunen müssen endlich Fachberatungsstellen stärken
„Die Beratungsstellen arbeiten längst am Limit“, führte Rörig weiter aus, „sie brauchen eine stabile und ausreichende Personalausstattung und müssen dringend finanziell abgesichert arbeiten können“. Spezialisierte Fachberatungsstellen leisteten nicht nur wertvolle Arbeit für Betroffene und ihre Angehörigen sondern auch im Bereich der Prävention und Intervention. Schon lange sei bekannt, dass der Beratungsbedarf größer denn je und nicht mehr gedeckt sei, es müsse jetzt dringend gehandelt werden. Rörig forderte von den Ländern und Kommunen einen Ausbau der Beratungsstellen sowie eine zügige Schließung der Versorgungslücken, beispielsweise in ländlichen Gebieten, für betroffene Jungen und Männer, Menschen mit Behinderungen oder Migrationshintergrund.
Ein eigener Rechtsanspruch auf Beratung von Kindern und Jugendlichen sowie ein leichterer Zugang zu Therapien und Beratungsangeboten waren auch zentrale Forderungen von zwei öffentlichen Hearings der Veranstaltungsreihe „Dialog Kindesmissbrauch“, die der Beauftragte im Herbst 2012 zur gesundheitlichen Versorgung und zur Beratung von Betroffenen durchgeführt hat. Die Hearing-Reihe bietet Expertinnen und Experten sowie Betroffenen eine Plattform, über Maßnahmen und Forderungen zu diskutieren, Perspektiven zu beleuchten und konkrete Verbesserungsvorschläge an die politisch Verantwortlichen zu adressieren. Das nächste Hearing wird sich im Frühjahr 2013 mit dem Thema Aufarbeitung befassen, das vierte und letzte Hearing im Sommer 2013 mit offenen strafrechtlichen Fragen.
Große Bereitschaft bei den gesellschaftlichen Dachorganisationen, Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt zu schützen.
Durch die Unterstützung der großen gesellschaftlichen Dachorganisationen konnte im Sommer 2012 die erste von insgesamt zwei Befragungen des Beauftragten zu Schutzkonzepten in Einrichtungen durchgeführt werden. Auf der lokalen Ebene wurden Kindertagesstätten, Heime, Internate, Kinderkliniken, evangelische und katholische Kirchengemeinden sowie Anbieter von Kinder- und Jugendreisen und Jugendverbände befragt. In einer zweiten Befragung im Frühjahr 2013 wird die Datenbasis noch einmal erweitert und um Schulen und Sportvereine ergänzt. Die erste Befragungswelle zeigte, dass mit 61 % bereits über die Hälfte der befragten Einrichtungen Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Gewalt umsetzen. „Die Teilnahmebereitschaft und die Ergebnisse zeigen, dass das Thema in der Gesellschaft ernsthaft aufgenommen wird“, so Rörig, „Schutzkonzepte gegen sexuellen Kindesmissbrauch müssen selbstverständlich zum Qualitätsstandard aller Einrichtungen gehören.“. Auch mit der Kampagne „Kein Raum für Missbrauch“, die am 10. Januar 2013 starten wird, will der Beauftragte die Gesellschaft weiter für das Thema sensibilisieren und insbesondere Eltern und Fachkräfte ermutigen, Schutzkonzepte in Einrichtungen einzufordern.
(Quelle und weitere Informationen finden Sie unter www.beauftragter-missbrauch.de)