Aktuelles vom Rudern
Von Olympia zur WM im Para Rudern: „Die Ellbogen sind nicht so spitz“
Kathrin Marchand ist zweimalige Olympiateilnehmerin. Nach einem Schlaganfall vor einem Jahr ist die Ruderin jetzt im Para Sport gelandet und feierte bereits einen überraschenden Erfolg mit dem Vierer. Mit der EM-Bronzemedaille aus München dekoriert möchte sie nun bei den Weltmeisterschaften im tschechischen Racice vom 18. bis 25. September mit dem deutschen Para Mixed Vierer mit Steuerfrau ins Finale.
Am Freitag arbeitet Kathrin Marchand noch als Ärztin in Köln, ehe sie abends zu den Weltmeisterschaften im Para Rudern ins tschechische Racice reist. Dass die Olympionikin wieder Rennen fährt und um internationale Medaillen rudert, ging nun schneller als geplant. Erst Mitte August wurde die 31-Jährige, die seit einem Schlaganfall Anfang September 2021 Seheinschränkungen und eine linksseitige Muskelschwäche hat, vor den European Championships in München an einem Mittwoch klassifiziert. Danach fuhr sie zurück nach Köln, um am Donnerstag und Freitag zu arbeiten. Als jedoch klar war, dass sie startberechtigt ist und zwei Ruderinnen kurzfristig krankheitsbedingt ausfallen, rückte die ehemalige U23-Weltmeisterin im Vierer ohne Steuerfrau für das Rennen am Sonntag in den Para Mixed Vierer mit Steuerfrau nach. Und es gab ein Happy End: In 7:33,17 Minuten gewann sie dank eines starken Schlussspurts zusammen mit Marc Lembeck, Susanne Lackner, Jan Helmich und Steuerfrau Inga Thöne auf Anhieb EM-Bronze – dabei war Marchands letztes Rennen zuvor mehr als sechs Jahre her gewesen. Es war das B-Finale bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich direkt im Vierer sitzen darf, wenn ich klassifiziert werde. Die anderen hatten schließlich ohne mich trainiert. Deshalb bin ich erstmal ganz gelassen herangegangen, weil ich nicht einschätzen konnte, wo wir stehen“, berichtet Marchand, die aber dennoch ihr altes „Ritual“ wieder heimsuchte: „Es sind immer die gleichen, die vor dem Start ständig auf Toilette rennen.“
Als das Rennen erfolgreich zu Ende ging und Deutschland souverän auf Rang drei gerudert war, schrieb „Marchi“ auf ihrem Instagram-Kanal: „Maybe more than a bronze medal“ – vielleicht mehr als eine Bronzemedaille – und sagt zur Bedeutung ihres ersten Para Edelmetalls: „Ich habe mich sehr gefreut. Mein Schlaganfall hätte ganz anders ausgehen können. Jetzt ist es für mich super cool, dass ich trotz dieses Schicksalsschlages die Chance habe, mein normales Leben weiterzuleben. Natürlich habe ich Einschränkungen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sich von meinen Möglichkeiten her alles verändert hätte.“
Von den Paralympics im Radio gehört: Aus einer Schnapsidee wurden neue Ziele
Marchand war im olympischen Rudersport sehr erfolgreich. U23-Weltmeisterin im Vierer ohne Steuerfrau, EM-Silber und EM-Bronze im Achter mit Steuerfrau, EM-Silber im Zweier und Olympiateilnahmen in London im Achter und Rio im Zweier sind nur einige ihrer Errungenschaften. Dass sie nach ihrem Karriereende mit 25 Jahren sechs Jahre später wieder im Boot sitzt, lag auch daran, „dass mir nach dem Schlaganfall die Decke auf den Kopf gefallen ist. Ich konnte nicht arbeiten, war aber so fit, dass ich was machen wollte. Dann dachte ich: Gehst du mal ein bisschen rudern. So kam das eher aus Langeweile. Eigentlich eine Schnapsidee.“
Bei ihrem alten Verein, dem RTHC Bayer Leverkusen, bei dem seit Marchands Karriereende auch paralympische Strukturen geschaffen worden sind, waren sie sofort happy, dass ihre ehemalige Ruderin wieder Lust auf den Sport verspürt hatte. Schließlich ist Leverkusen seit 2021 Landesstützpunkt Para Rudern im Behinderten- und Rehabilitationssportverband NRW (BRSNW), es gibt dort bereits Landeskader-Athlet*innen und die Sportart erfährt vom BRSNW eine besondere Unterstützung und Finanzierung. Auch Marc Stallberg, Bundestrainer im Para Rudern, freute sich, dass er in Marchand möglicherweise eine talentierte Ruderin hinzubekommen würde, die alles mitbringt.
Die Neugierde, ob sie klassifizierbar ist, spielte auch eine Rolle in Marchands Überlegungen. Auf einer Autofahrt mit ihren Eltern zu ihrem Bruder hörte sie im Radio von den Paralympics in Peking und nutzte die sechs Stunden Fahrt zur Recherche. Nachdem ihr eingeschränktes Sichtfeld nicht ausgereicht hatte, um eine Starterlaubnis zu bekommen, wurde ihre linksseitige Muskelschwäche schließlich klassifiziert. Anknüpfungspunkte zum Para Sport hatte sie zuvor keine, auch wenn im Rudern traditionell paralympische und olympische Wettkämpfe zusammen stattfinden. „Es gab 2015 glaube ich schon Para Rudern parallel zu unseren Wettkämpfen, aber da habe ich ehrlich gesagt relativ wenig mitbekommen. Man ist eher auf sich selbst fokussiert. Ich weiß aber noch, dass ich nicht ganz verstanden habe, wer mit wem rudern darf.“
Folgen auf zwei Olympia-Teilnahmen bald die Paralympics?
Jetzt sitzt Marchand selbst wieder im Boot. Vor ihrer Klassifizierung war sie bei Lehrgängen und Trainingseinheiten dabei, wusste aber irgendwie auch nie so richtig, ob sie dazugehören würde. Jetzt ist sie für die WM direkt im bronzenen EM-Boot gesetzt, auch wenn die Positionen in Racice anders sein werden als in München. Neben dem Rudern arbeitet sie zu 50 Prozent in der Orthoparc Klinik in Köln-Junkersdorf, einem Kooperationspartner des Olympiastützpunkts NRW/Rheinland. „Wir sind eine sehr sportorientierte Klinik, das ist ganz cool“, sagt Marchand, die eine Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin in der Orthopädie macht, bevor sie ihre Fachärztin irgendwann absolvieren möchte: „Mehr könnte ich aber nicht arbeiten, weil ich schon noch manche Probleme im normalen Leben habe.“
Die paralympische Ruder-Familie weiß Marchand auf jeden Fall jetzt schon zu schätzen. „Die soziale Komponente ist größer, die Ellbogen sind nicht ganz so spitz. Von der Anzahl her sind wir natürlich weniger als im olympischen Bereich, es gibt weniger Konkurrenz. Das heißt aber auch, wir müssen besser auf uns aufpassen, weil es sonst einen super großen Qualitätsverlust im Boot geben kann, wenn jemand ausfällt.“
Für die Weltmeisterschaften kann sie nur schwer sagen, was möglich ist. Primär möchte das deutsche Boot ins Finale kommen, „denn nächstes Jahr müssen wir auch ins Finale, um uns für die Paralympics zu qualifizieren.“ Das ist Marchands großes Ziel. „Zwei Mal Olympische Spiele und dann hoffentlich ein Mal Paralympics miterleben. So ein Event von beiden Seiten zu sehen, das stelle ich mir schon spannend und cool vor“, sagt die 31-Jährige: „Das ist mein sportliches Ziel. Aber generell will ich einfach Spaß haben. Ich habe im Rudern alles erreicht und mache das nicht nur, um Erfolge zu sammeln, sondern auch um eine gute Work-Life-Balance zu haben. Mit dem, was ich investieren kann, die Chance auf große Wettkämpfe zu haben und neben der Arbeit noch Sport zu machen, das ist eine wirklich tolle Kombination.“
Quelle: Nico Feißt / BRSNW