Aktuelles von den Paralympics

Bundestrainerin Ute Schinkitz im Interview

Ute Schinkitz mit Lucas Ludwig (links) und Martin Schulz

Ute Schinkitz, seit 2008 leitende Bundestrainerin der DBS Schwimm-Mannschaft stand uns wenige Wochen vor Beginn der Paralympischen Spiele in London Rede und Antwort. Das Schwimmteam wird neben den Leichtathleten die größte Mannschaft in London stellen.

Frau Schinkitz, Sie stehen nach nun beinahe vier Jahren Arbeit und Vorbereitung vor Ihren ersten Paralympischen Spielen als leitende hauptamtliche Bundestrainerin. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?

Wir sind auf einem guten Weg, die Ziele zu erfüllen, die wir uns vorgenommen haben.  Ich konnte auf Bewährtem aufbauen und wir setzen unser Leistungssportkonzept konsequent um. Das alles macht enorm viel Spaß.

Warum war das nötig?

International ist die Professionalität größer geworden. Spitzenleistungen sind auch im paralympischen Sport nicht nebenbei zu produzieren. Deutschland möchte mit vorne dabei sein. Die zwingende Folge ist, dass dafür die Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Andere Nationen wie Großbritannien, die USA, China, Russland und die Ukraine gehen da  konzentrierter vor. Um unsere Chancen nicht zu verschlechtern, mussten darum auch wir die Strukturen verbessern.

Was genau wurde verändert?

Es wurden drei Paralympische Trainingsstützpunkte in Berlin, Leipzig und Leverkusen eingerichtet, an denen sich der DBS aus Mitteln des Bundesinnenministeriums beteiligt. Es wurde eine halbe Stelle für unseren Diagnostiktrainer finanziert. Neben der bisherigen Erfassung der A- und B-Kader werden nun auch C- und D/C-Kader berufen. Die Jahresplanung wird abgestimmt, ausgerichtet auf den internationalen Jahreshöhepunkt, mit regelmäßigen gemeinsamen Trainingslagern und internationalen Wettkampfeinsätzen. Die Sportler wurden an das Mentaltraining herangeführt. Nach Möglichkeit erhalten sie Unterstützung für ihre schulische und berufliche Ausbildung.

Schließlich versuchen wir, die Bedingungen der Nicht-Behinderten auf die der Sportler mit Handicap zu übertragen. Warum sollen zum Beispiel nicht auch behinderte Sportler auf die ganz normalen Eliteschulen des Sports gehen können, wenn es das Handicap möglich macht und die Schule die eventuell notwendigen Voraussetzungen dafür hat?

Sehen Sie besondere Erfolge?

Ich sehe an allen Stellen Bewegung und Fortentwicklung. Freuen kann ich mich dabei genauso über eine Verbesserung unserer Plätze in der Nationenwertung bei internationalen Meisterschaften als auch über Erfolge im Nachwuchsbereich und in der Sichtung. Wenn zum Beispiel in Brandenburg eine Landestrainerin für den Behindertensport und nur für Schwimmen angestellt wird, um unseren Sport zu entwickeln, dann finde ich das super.

Wieso hatten Sie sich überhaupt als Trainerin beim DBS beworben? Sie waren doch bereits bei den Nicht-Behinderten als Trainerin im Deutschen Schwimm-Verband etabliert und gut im Geschäft, wie man so sagt?

Ich bin da hineingewachsen durch Maria Götze. Sie hatte mich 1997 gefragt, ob ich sie nicht genauso trainieren könnte wie damals Stev Theloke. Damals habe ich abgelehnt. Als sie 1998 wieder vor mir stand, konnte ich nicht mehr nein sagen. Daraus ist dann eine einmalige Trainingsgruppe geworden. 2000 war ich mit Maria bei den Paralympics, 2004 hat sie mir die Reise nach Athen privat geschenkt, und 2008 war ich in Peking gemeinsam mit dem damaligen Cheftrainer Bernhard von Welck für das Team verantwortlich.

Und dann haben Sie so einfach den Job am Beckenrand aufgegeben?

Einfach war es nicht, aber ich brauchte auch für mich einen Wechsel, eine persönliche Veränderung. Ich gehe im Trainerjob auf, mein Hobby ist auch meine Berufung.

Die Verantwortlichen für das Handicapschwimmen sprachen mich an und ermutigten mich, mich zu bewerben.

Sind denn die Trainings- und Wettkampfleistungen von Behinderten und Nicht-Behinderten vergleichbar? Sie haben ja beides als Trainerin erlebt?

Für mich macht das keinen Unterschied. Nicht beim Fleiß, beim Einsatz, bei der Willenskraft. Klar, kann die Geschwindigkeit eine andere sein. Aber meiner Trainingsgruppe um Stev hat Maria sehr gut getan. Die haben sich super verstanden, da gab es dann immer mal wieder einen guten Spruch am Beckenrand in den Pausen. Ich habe da viel gelernt. Wenn die Öffentlichkeit das so akzeptiert, wäre das ein großer Schritt … 

Wie meinen Sie das...?

Mir geht es um Akzeptanz von Leistung. Früher wurde ich oft gefragt: Du als Frau unter so vielen männlichen Trainern, ist das nicht schwerer? Ich empfand das nie so. Heute kämpfen wir immer um die Anerkennung der Leistung unserer Handicap-Sportler. Die ringen und trainieren genauso hart um ihre Siege, Platzierungen und Bestleistungen wie alle anderen auch. Dafür möchte ich die Öffentlichkeit gerne sensibilisieren.

Aber für Sie als leitende Trainerin und Verantwortliche für die deutsche Mannschaft zählen in London doch vor allem Medaillen?

Nein, nicht „vor allem“. Für mich zählt, dass die Sportlerinnen und Sportler zum wichtigsten Ereignis des Jahres ihre persönliche Bestleistung bringen. Wenn dabei ein Podestplatz herausspringt, umso besser. Unser Anspruch ist hoch. Wer bei der WM 2010 und bei der EM 2011 Medaillen errungen hat, also das aktuelle Ranking mitbestimmt, muss auch eine Medaille wollen. Die „Medaillenchance“ ist schon ein wichtiges Kriterium, aber ich werde mich auch für Sportler einsetzen, die ins Paralympische Finale kommen können.

Und dann ...?

Alle wollen am liebsten eine Medaille. Jeder hat perfekt dafür trainiert. Aber die Konkurrenz ist stark. Abgerechnet wird nach den Wettkämpfen. Vorgaben machen wir nicht. 

Auf wen aus Ihrem Team sollte die Öffentlichkeit in Deutschland besonders achten?

Wir würden uns freuen, wenn das gesamte paralympische Schwimmteam Beachtung findet. Besonderes Augenmerk liegt sicherlich  bei den Mädels zuallererst auf Kirsten Bruhn und Daniela Schulte, auch auf Tanja Gröpper und der erst 18 Jahre alte Maike Naomi Schnittger. Aktuell würde ich Ihnen  beim Betrachten der inoffiziellen Weltrangliste vordere Plätze zutrauen. Kirsten und Daniela auch ganz vorne. Bei den Jungs sind es Sebastian Iwanow, Christoph Burkard und Torben Schmidtke, aber auch  Niels Grunenberg oder Lucas Ludwig. Es kommt allerdings immer darauf an, wer bei solchen Großereignissen noch plötzlich in den jeweiligen Startklassen aus anderen Ländern auftaucht.

Sie wirken sehr optimistisch aufgrund der Entwicklung der letzten Jahre und des Potenzials ihres Teams. Was würden Sie sich denn für die Zukunft wünschen?

Dass mein Team gesund bleibt und wir das Maximale in London herausholen können. Der Nachwuchs wird motiviert, fleißig zu trainieren, so dass wir auch nach London ein starkes Team haben werden. Nicht zuletzt würde ich gerne den Etat aus diesem Jahr mit ins kommende Jahr nehmen. Er liegt um einiges höher als in den Jahren zuvor – und ich fürchte, dass er wieder gekürzt wird. Bleibt er aber so, dann könnten wir auf der  geschaffenen Basis die nächsten wichtigen Schritte unternehmen. Das ist mein Wunsch.