Aktuelles aus dem Behindertensport

Inklusion bedeutet „Vielfalt willkommen zu heißen“

Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel im Interview
Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel

Die Deutsche Sporthochschule Köln hat mit Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel aus dem Insitut für Bewegungs- und Neurowissenschaft über seine Aufgaben als Inhaber der Professur „Paralympischer Sport” gesprochen. Was bedeutet der Sport von Menschen mit Behinderung für die Deutsche Sporthochschule in Forschung und Lehre? Was sind Projekte für die Zukunft?

Seit knapp einem Jahr haben Sie die Professur „Paralympischer Sport“ inne – was sind Ihre Aufgaben?

Abel: Ein zentraler Punkt der Professur ist, das Thema „Sportler und Studierende mit Behinderung“ in Forschung und Lehre noch einmal stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und noch aktiver zu gestalten. Damit zeigen wir als Hochschule, dass Sport von Menschen mit Behinderung eine Facette des Sports ist, die hinsichtlich verschiedener Aspekte für uns von Relevanz ist. Außerdem wird durch diese Professur unsere vielfältige Expertise gebündelt. Natürlich bin ich nicht in allen Bereichen selbst Experte, aber ich koordiniere und vermittle, z.B. bei externen Anfragen, um die richtige Expertin oder den richtigen Experten mit dem jeweiligen Wissen zu finden. So fungiere ich auch als Ansprechpartner für die Anliegen von Athleten oder Verbänden. 

Sie sprechen die vielfältige Expertise an – in welchen Instituten wird an der Deutschen Sporthochschule zu Sport von Menschen mit Behinderung geforscht?  

Das Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation macht einiges zusammen mit dem Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport, dem FiBS. Diese beiden sind in diesem Bereich traditionell stark verankert. Ebenso das Institut für Kommunikations- und Medienforschung, das schon viele Jahre zu Fragestellungen aus dem Feld „Menschen und Sportler mit Behinderung in der Öffentlichkeit“ forscht. Ein weltweit ausgewiesenes Experteninstitut im Hinblick auf Prothetik ist das Institut für Biomechanik und Orthopädie. Das Institut für Sportgeschichte ist auch im Paralympischen Bereich hinsichtlich historischer Gesichtspunkte sehr gut vernetzt. Zunehmend nachgefragter wird von Sportlerinnen und Sportlern auch die psychologische Betreuung, sodass hier aus dem Psychologischen Institut Expertinnen und Experten aktiv sind. Dann die Biochemie, weil die Dopingproben dort ebenfalls kontrolliert werden. Angedacht ist ein Projekt von Professor Thevis und mir, das mit der Universität Innsbruck und mit der NADA durchgeführt werden soll. Das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin und das Deutsche Forschungszentrum für Leistungssport, momentum, betreuen sowohl olympische als auch paralympische Athleten. Und auch das Institut für Pädagogik und Philosophie, ebenso wie das Institut für Schulsport und Schulentwicklung widmen sich intensiv der Thematik Inklusion und Behinderung. 

Das war jetzt nur ein kurzer Überblick. Sicherlich habe ich einige Institute unabsichtlich vergessen, aber wir sind da schon sehr gut und breit aufgestellt. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Konkret kann ich für meinen Bereich der Leistungsphysiologie sprechen. Dort haben wir eine Forschungsgruppe gegründet, die European Research Group in Disability Sport. Ein Kollege aus der Schweiz und ich führen gerade eine in der Arbeitsgruppe eingegliederte Studie durch, mit der wir versuchen, Diagnostiken im Bereich des Handbiken zu vergleichen und schauen, welches Konzept das günstigere ist, wenn man beispielsweise Prognosen für Wettkämpfe abgeben möchte. Wir vergleichen die Ideen des Schweizer Querschnittsgelähmten-Zentrums in Nottwil mit unseren Ansätzen, metabolische Schwellenkonzepte anzuwenden.

Was ist gibt es für eine Prognoseleitung oder was ist für eine Verbesserung aufgrund von Trainingsinterventionen möglich?  

Das sind Fragen, die wir beantworten wollen. Mit dem FiBS zusammen untersuchen wir gerade bei Kindern, die den Rollstuhl nutzen, den Energieverbrauch. Es gibt ein Erfassungssystem für den Energieumsatz, das mit einem Bewegungsbeschleunigungsmeldesystem in einem Armband arbeitet. Und wir überprüfen spirometrisch, ob die Werte, die dieses Armband liefert, vernünftig sind. 

Also steht bei der Professur nicht nur der Paralympische Spitzensport im Fokus?

Nein, das habe ich nie so verstanden. Auch wenn es eine Professur im Paralympischen Sport ist, geht es um Sport für Menschen mit Behinderung, egal welcher Leistungsklasse. Dass sich daraus eine Spitzensportförderung ergeben kann – gar keine Frage. Aber wir können den Paralympischen Spitzensport ja nur betreiben, wenn wir eine große Basis haben, aus der immer mal Leute hervorgehen, die ein großes Talent und den Willen haben, in großem Umfang zu trainieren, um international erfolgreich zu sein. 

Welche Sportarten oder Sportler betreuen Sie beispielsweise?

Bei uns im Institut betreuen wir Athleten aus den Bereichen Radsport, Leichtathletik, Triathlon und Schwimmen auf Bundes- und Landesebene. Gerade sind wir dabei, wieder den Kontakt zur Deutschen Rugby-Nationalmannschaft aufzubauen, mit der wir bereits zusammengearbeitet haben. Auch mit den Rollstuhlbasketballern gibt es eine lockere Verbindung. Eine wirkliche Betreuung von einzelnen Athleten, also im Sinne von Trainingsplänen schreiben, kann man aber nur in sehr geringem Umfang leisten, wenn man die Qualität garantieren will. Was die Diagnostik betrifft, also Gesundheitsbeurteilungen, die sind bei den Sportmedizinern oder bei momentum angesiedelt. Wir machen da zwar auch mit, aber führen keine Routine-Gesundheitsbeurteilungen durch, weil wir kein akkreditiertes Zentrum des DOSB sind. Der Transfer von Erkenntnissen in die Lehre ist ein wichtiger Aspekt.

Wie profitieren die Studierenden von den facettenreichen Forschungsaktivitäten?

Wir sind diesbezüglich in der Lehre gut aufgestellt und müssen den Vergleich zu anderen sportwissenschaftlichen Einrichtungen nicht scheuen. Wir haben viele Veranstaltungen in den Lehrplan eingebaut, wie beispielswiese das Seminar „Managing Diversity“, das für alle verbindlich ist und in dem das Thema Behinderung eine wichtige Rolle spielt. In den Lehramtsstudiengängen gibt es ein Praxisseminar „Teilhabe und Schulsport“ oder eine entsprechende Profilvertiefung im Studiengang Sport und Gesundheit in Prävention und Therapie. Aber auch in anderen Veranstaltungen wird das Thema aufgenommen, denn wir verstehen und zeigen, dass es Olympischen und Paralympischen Sport gibt. So wird im Profilergänzung-Basketball-Kurs eine Einheit zum Rollstuhlbasketball gemacht oder im Volleyball-Kurs eine Stunde mit Sitzvolleyball. Das spielerische Auseinandersetzen mit der Thematik Behinderung ist sehr horizonterweiternd. 

Also spielen Selbsterfahrungen eine wichtige Rolle… 

Ja, es ist eine tolle Erfahrung herauszufinden, wie sehr man sich auch mit anderen Sinnen als den gewohnten orientieren kann. Beispielsweise bei einer Einheit Blindenfußball, die im letzten Semester von einem erblindeten Studenten geleitet wurde, haben viele Studierende extrem wahrgenommen, wie wichtig der Visus für uns ist. Natürlich ist im Behinderungsbegriff der Schaden immer impliziert – aber es geht nicht primär darum zu sehen, welche Defizite habe ich, sondern welche Funktionen habe ich und wie kann ich sie einsetzen? Wir müssen die Sichtweise auf Behinderung ändern und dahin kommen, mehr und mehr zu erkennen, dass in Vielfalt eine große Chance liegt, dass Vielfalt etwas Bereicherndes ist – da sind wir aber noch nicht angekommen. Wir als Hochschule profitieren sehr davon, dass wir Studierende mit Behinderung haben, die den Studierenden ohne Behinderung dann unter anderem auch solche Erfahrungen vermitteln können. 

Inklusion und Integration, wo genau liegt der Unterschied? 

Im Laufe der Zeit hat eine Entwicklung von der Separation über Integration zur Inklusion stattgefunden. Das Verständnis der Integration ist, dass sich eine Person innerhalb einer Gruppe einbringen muss, sie hat eine große Eigenverantwortung und es besteht eine hohe Notwendigkeit, selber aktiv zu werden. Inklusion als Weiterentwicklung bedeutet Willkommenheißen von Vielfalt. Im Prinzip muss nicht diese Person aktiv werden, die „anders“ ist, damit sie sich eingliedern kann, sondern die Rahmenbedingungen werden direkt so gestaltet, dass jeder teilhaben kann. Das heißt aus meiner Sicht aber nicht, dass jeder das Gleiche zur gleichen Zeit am gleichen Ort macht oder machen muss – das ist nicht mit Inklusion gemeint, wird fälschlicherweise aber oft so assoziiert oder vorgegeben. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat dafür gesorgt, dass die Thematik in die Gesellschaft transportiert wird und dass wir daraus zumindest Rechte ableiten können. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir die Paragraphen der Konvention auch mit Leben füllen.

Was kann Wissenschaft zum Inklusionsprozess beitragen?

Es ist wichtig, die Menschen auf diesen Prozess vorzubereiten. Denn aktuelle drängt sich der Eindruck auf, dass alle sagen: „Wir wollen Inklusion“, aber niemand ist richtig darauf eingestellt. Diesbezüglich müssen wir untersuchen, inwieweit es möglich ist, Einfluss auf die Einstellungen zu bestimmten Dingen zu nehmen und diese aktiv zu verändern. Fragestellungen hier wären beispielsweise, wie sich Einstellungen von angehenden Lehrerinnen und Lehrern verändern, wenn sie Situationen zur Teilhabe und Schulsport aktiv erleben. Dieses Wissen kann dann zur gezielten Veränderung genutzt werden, um mit Heterogenität umgehen zu können – auch als Beispiel für andere Hochschulen. Wissenschaft kann diesen Prozess begleiten, um mögliche Ansatzpunkte für Veränderungen deutlich zu machen. Zum anderen können wissenschaftliche Projekte oder Seminare, in denen Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung stattfinden, Berührungsängste abbauen – Begegnung schafft Haltung! 

Können Sie schon ein erstes Resümee Ihrer Zeit als Inhaber der Professur „Paralympischer Sport“ ziehen?

Es gibt jetzt aufgrund der Kürze der Zeit noch keine abgeschlossenen Projekte, aber wir hatten in der letzten Zeit einige Anfragen und Veranstaltungen, die durch die Einrichtung der Professur und der damit verbundenen Bündelung der Kompetenzen sicher begünstigt wurden. Zum Beispiel waren die Mediziner des Deutschen Behindertensportverbandes auf Landes- und Bundesebene und die Chef-Trainerinnen und -Trainer der einzelnen Nationalmannschaften zu Tagungen oder Veranstaltungen an der Deutschen Sporthochschule. Zudem gibt es Interesse seitens einer Industrie und Handelskammer aus Brasilien, die gerne zum hundertjährigen Bestehen der deutsch-brasilianischen Industrie- und Handelskammer im Vorfeld der Paralympics 2016 etwas mit uns machen will. Im September findet bei uns an der Sporthochschule das Sport- und Spielfest des Bundesverbands für Körper- und Mehrfachbehinderte Menschen statt. Damit sollen möglichst viele Kinder und Jugendliche, die vielleicht einen schwereren Zugang zum Sport haben, die Gelegenheit bekommen, verschiedene Paralympische Sportarten kennenzulernen. Das sind ein paar Bespiele, die sicher auch etwas mit der Einrichtung der Professur zu tun haben. 

Was sind Pläne und Projekte für die Zukunft?

Ich würde mir wünschen, dass wir uns bei der Diagnostik und der Trainingssteuerung der Athleten des deutschen Behindertensportverbandes noch stärker positionieren und zeigen, dass wir in diesem Bereich über große Expertise in verschiedenen Instituten verfügen. Diese Kompetenzen wurden auch wieder deutlich, als die Sportmediziner und Trainer des Deutschen Behindertensportverbandes bei uns zu Gast waren. Die konkrete Betreuungsforschung für Athletinnen und Athleten des Deutschen Behindertensportverbandes ist ein Zukunftsfeld, das mich sehr interessiert und in dem ich viel Potential für die Aktivitäten der Deutschen Sporthochschule Köln sehe. Im Bereich des Breitensports hat die Frage, wie ein Mensch mit Behinderung einen Sportverein findet, der für ihn eine ideale Möglichkeit zum Sporttreiben darstellt, viel Entwicklungspotential. Das ist zurzeit noch nicht gut strukturiert und daher ist es schwer bis unmöglich, schnell an gute Informationen zu kommen. Zusammen mit dem FiBS, das hier die Federführung inne hat, und dem Institut für Kommunikations- und Medienforschung, wollen ein flächendeckendes Tool entwickeln, das bei der Suche hilft. Jemand, der Informationen zu Sportvereinen sucht, soll diese schnell finden können. Sport und körperliche Aktivität sind zentrale Botschaften für unsere Gesellschaft und so ist es mir ein großes Anliegen, dass jeder einen Zugang zum Sport hat, weil dieser in vielerlei Hinsicht positiv auf uns wirkt. Dass sich dann auch ein paar neue Paralympische Talente entdecken lassen, ist ein sehr schöner Nebeneffekt.

 

Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel,
geboren 1968 in Münster, studierte von 1993 bis 1998 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln sowie Sonderpädagogik an der Universität Köln. Er promovierte 2002 in den Fächern Sportmedizin/Rehabilitation. Thomas Abel arbeitet seit 2003 am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderung.
Kontakt: abel@dshs-koeln.de

Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln

Foto: Deutsche Sporthochschule Köln