Aktuelles vom Goalball im Deutschen Behindertensportverband
Der Titelgewinn als Happy End?
Goalball-EM: Reno Tiede holte die Europameisterschaften nach Rostock, war bis zum Sommer Organisationsleiter und greift nun als Nationalspieler an – Am 8. Oktober wird die EM in der StadtHalle eröffnet
Wenn am 8. Oktober die Goalball-Europameisterschaften in der Rostocker StadtHalle eröffnet werden, geht für Reno Tiede ein Traum in Erfüllung. Denn das Turnier ist ein Stück weit auch sein Baby. Eine EM in seiner Sportart, in seiner Heimatstadt – da fehlt nur noch der Titelgewinn und das Märchen hätte am 13. Oktober sein Happy End. Das wäre fast schon etwas kitschig, doch unmöglich scheint das nicht. Denn nach jeweils Silber bei der EM 2017 und der WM 2018 zählen die deutschen Goalball-Herren zum Kreis der Titelanwärter – und formulieren erstmals auch die Goldmedaille als Ziel.
Reno Tiede ist ein stolzes Kind der Hansestadt. Dazu nicht nur Aktiver, sondern gleichzeitig größter Fan seiner Sportart Goalball, einer Ballsportart für Menschen mit Sehbehinderung. Er sagt selbst über sich: „Ich bin sicher nicht der talentierteste Goalballer – dafür aber einer der ehrgeizigsten.“ Tiede bringt seine ganz eigenen Qualitäten mit ins Team ein. Er zeigt stets vollen Einsatz. Ist der Motivator. Der Motor der Mannschaft. „Dazu ist Reno ein hervorragender Joker, der sofort präsent ist und keine Anlaufzeit braucht“, sagt Cheftrainer Johannes Günther.
Der 29-Jährige überzeugt nicht nur auf dem Spielfeld mit seinem Engagement. In Kooperation mit Hansa Rostock hat Tiede 2014 den Rostocker Goalball Club Hansa gegründet, ist dessen Vorsitzender. Und er hat auch die nationalen Strukturen im Blick. 2012 hat er mit zur Gründung der Goalball-Bundesliga beigetragen. Diese Nachhaltigkeit ist ihm wichtig für die zukünftige Entwicklung der traditionsreichen Sportart, die bereits seit 1976 paralympisch ist. Auch die EM soll einen Schub geben und Goalball bekannter machen, sowohl in Rostock als auch weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus. Dass die Europameisterschaften in Rostock stattfinden – daran ist Tiede natürlich nicht unschuldig. Bis zum Sommer war er sogar Organisationsleiter der EM, ehe er sich stärker auf die sportliche Vorbereitung fokussierte.
Die Vorfreude auf das Turnier in der Heimat wächst täglich: „Wir können es gar nicht erwarten, hier in Rostock alles zu geben, leidenschaftlich und bestens vorbereitet um den Europameistertitel zu kämpfen“, betont Tiede. Er absolvierte zahlreiche Lehrgänge mit der Nationalmannschaft, trainierte fleißig, arbeitete mit einem Sportpsychologen zusammen – und verteilte auch in den vergangenen Tagen noch Flyer oder schlüpfte sogar ins Kostüm von Maskottchen Goalino, um für die EM zu werben. „Das ist verdammt anstrengend, eine gute Trainingseinheit“, erklärt Tiede schmunzelnd. Für ein möglichst erfolgreiches Turnier gibt er alles, auf und neben dem Spielfeld. So wie man Reno Tiede eben kennt. Übrigens: Lebensgefährtin Charlotte Kaercher ist ebenfalls Goalballerin, spielte viele Jahre in der Nationalmannschaft und arbeitet nun im EM-Organisationskomitee mit – na klar.
Doch was ist eigentlich Goalball, das kürzlich in der TV-Show „Schlag den Star“ etwas abgewandelt zum Repertoire der Spiele zählte? Zwei Dreier-Teams spielen mit einem 1,25 Kilogramm schweren Klingelball auf neun Meter breite und 1,30 Meter hohe Tore, alle Spieler tragen dabei Dunkelbrillen. Es ist ein rasanter und temporeicher Sport. Die Bälle erreichen in der Spitze bis zu 80 km/h, Abwehr- und Angriffsaktionen wechseln sich ständig ab. „Das erfordert nicht nur gute Kondition und Reaktion, sondern auch Konzentration. Zudem ist Goalball geprägt von Taktik und Strategie, ein bisschen wie Schach“, erklärt Cheftrainer Günther. Dabei kommt es auf viele Details an: Wie positionieren sich die drei Akteure auf dem Feld, um das neun Meter breite Tor so gut es geht zu verteidigen? Wie spielt man den Klingelball, um die Lücke in der gegnerischen Abwehr zu finden? Wohlgemerkt ohne etwas zu sehen.
Besonders spektakulär wird Goalball durch die vielen Angriffsaktionen. In der 24-minütigen Partie (zwölf Minuten effektive Spielzeit pro Hälfte) haben beide Mannschaften im Schnitt über 100 Würfe. „Im Grunde ist jeder Wurf eine 100-prozentige Torchance“, sagt Michael Feistle, Führungsspieler der Nationalmannschaft und einer der besten Goalballer der Welt. Das sorgt für temporeiche Angriffe mit dem Klingelball und Glanzparaden in Serie – und das ausschließlich mit viel Intuition und Gefühl. „Wichtig ist es, ein Gespür dafür zu entwickeln, was der Gegner an taktischen Manövern macht und wie er auf die eigenen Spielzüge reagiert“, erklärt Feistle.
Die deutschen Teams sind bereit und fiebern dem Auftakt am 8. Oktober entgegen. „Wir haben uns sehr akribisch auf das Turnier vorbereitet. Natürlich wollen wir bei der Heim-EM Gold holen. Daran werden wir uns dann auch messen lassen müssen“, sagt Johannes Günther. Die Herren treffen nach der Eröffnungsfeier auf Spanien, die Damen auf die Niederlande. Während Tiede, Feistle und Co. um den Titel mitspielen wollen, haben die Damen von Cheftrainer Dr. Thomas Prokein den Klassenerhalt als Ziel ausgegeben. Die Europameisterschaften werden in der StadtHalle Rostock sowie in der OSPA-Arena ausgetragen. Jeweils zehn Frauen- und Männerteams aus 15 Nationen kämpfen um die begehrten Titel. Zum Para Sport-Highlight werden in Rostock 120 Athletinnen und Athleten sowie 60 Trainer und Betreuer erwartet. Schirmherr ist Bundesinnenminister Horst Seehofer.
Auch ARD und ZDF werden am Abschlusswochenende berichten. Eine solche Aufmerksamkeit hatte Goalball in Deutschland wohl noch nie. „Wir lieben unseren Sport und möchten noch mehr Menschen dafür begeistern – das geht am besten mit einer perfekten EM. Goalball ist ein faszinierender Sport“, sagt Reno Tiede. Fehlt nur noch der Titelgewinn als Happy End.
Die deutschen Teams für die Heim-EM:
Damen: Stefanie Behrens (34 / Jena / SSG Blista Marburg), Annkathrin Denker (27 / Lübeck / SSG Blista Marburg), Charlotte Hartz (24 / Hamburg / SSG Blista Marburg), Pia Knaute (23 / Magdeburg / SSG Blista Marburg).
Herren: Michael Feistle (26 / Düren / SSG Blista Marburg), Stefan Hawranke (34 / Zittau / SSV Königs Wusterhausen), Oliver Hörauf (22 / Bautzen / Chemnitzer BC), Felix Rogge (30 / Neubrandenburg / Chemnitzer BC), Thomas Steiger (23 / Ellwangen / BVSV Nürnberg), Reno Tiede (29 / Rostock / RGC Hansa).
Die Goalball-EM in Zahlen:
6 Tage...
66 Spiele…
20 Teams…
mit 120 Aktiven…
in einer einzigartigen Sportart…
mit einem großen Ziel: Europameister 2019!
Hintergründe zu den Sportlerinnen und Sportlern unserer Deutschen Paralympischen Mannschaft finden Sie unter www.deutsche-paralympische-mannschaft.de.