Aktuelles vom Deutschen Behindertensportverband
„Menschen mit Behinderung verdienen jede Unterstützung – vor allem auch im Sport“
Seit sechs Monaten ist Stefan Kiefer Generalsekretär des Deutschen Behindertensportverbandes und Nationalen Paralympischen Komitee e.V. (DBS). Im Interview spricht Kiefer über bisherige Highlights, den Ausblick auf dieses Jahr, die Paralympics 2024 sowie über den Status quo und Ziele für den Behindertensport in Deutschland.
Wie verlief der Start und was waren die Meilensteine im ersten halben Jahr?
Ich durfte zum Start einen schönen Empfang der Kolleg*innen erleben mit sehr viel Interesse an meiner Person und den Themen, gepaart mit Neugier und einer positiven Grundstimmung. Zu meinen persönlichen Highlights gehörte der Parlamentarische Abend des DBS beim Deutschen Sparkassen- und Giro-Verband in Berlin sowie die Ehrung der Para Sportler*innen des Jahres in der Düsseldorfer Rheinterrasse. Beides waren sehr wertschätzende Veranstaltungen mit fantastischen Gästen und Sportler*innen, die mit ihren persönlichen Geschichten begeistert haben. Hier war deutlich zu spüren, was diesen Verband und den Sport von Menschen mit Behinderungen insgesamt auszeichnet und welch wichtige Bedeutung damit einhergeht.
Ereignisreich ist auch der Ausblick: Was sind die Schwerpunkte in diesem Jahr?
2023 stehen sowohl zahlreiche Highlights als auch Herausforderungen an, mit denen wir uns auseinandersetzen werden. Es wird darum gehen, den Verband professioneller, effizienter und damit zukunftsfähig aufzustellen. Das ist ein spannender Prozess, in dem gemeinsam mit den Landes- und Fachverbänden richtungweisende Entscheidungen zu treffen sind. Darüber hinaus gibt es große sportliche Wettbewerbe wie die Para Leichtathletik-WM in Paris, die Para Radsport-WM in Glasgow sowie die European Para Championships in Rotterdam. Darauf freuen wir uns sehr und hoffen auf viel Schwung für die Paralympics.
Die Spiele finden 2024 in Paris und damit im Nachbarland statt. Werfen die Paralympics schon ihre Schatten voraus?
Die Paralympischen Spiele sind bereits sehr präsent. Einerseits geht es sportlich darum, die Grundlagen zu schaffen und möglichst viele Qualifikationsplätze zu sichern, andererseits laufen bereits die organisatorischen Planungen. Da geht es bspw. um die Vorbereitungen für die Mannschaft, die Bedingungen vor Ort oder das Deutsche Haus Paralympics. Zudem überlegen wir auch intensiv, wie wir die Öffentlichkeit noch stärker für die Spiele und den Para Sport begeistern können.
Was erwarten Sie von den Paralympics, die erstmals seit zwölf Jahren wieder in Europa ausgetragen werden?
Olympische und Paralympische Spiele endlich wieder im Herzen Europas, endlich wieder in der gleichen Zeitzone – das ist eine großartige Chance für die Paralympische Bewegung und den Stellenwert des Sports für Menschen mit Behinderungen insgesamt. Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten alles dafür tun, damit die Spiele in Paris ein weiterer Meilenstein für den Para Sport werden, wie es 2012 in London der Fall war. Ich durfte damals zum ersten Mal die Paralympics vor Ort erleben und erinnere mich an großartige Begegnungen und unvergessliche Erfahrungen. Ich wünsche mir, dass viele Menschen aus Deutschland nach Paris kommen und diese Faszination erleben können. Darüber hinaus hoffe ich, dass die Medien durch umfangreiche Berichterstattung über die sportlichen Ereignisse auch in Deutschland eine Begeisterung entfachen. Wir sind zuversichtlich, dass die öffentlich-rechtlichen Sender diese Chance nutzen und auch zur Prime Time die Übertragung der Highlights im Fernsehen sicherstellen.
Was muss passieren, damit der Sport für Menschen mit Behinderung auch abseits der Paralympics mehr im Fokus steht?
Wir müssen den Menschen die Gelegenheit geben, den Para Sport für sich zu entdecken. Es muss uns gelingen, sowohl die Begeisterung für die besonderen Leistungen der Sportler*innen mit Behinderungen zu transportieren als auch zu informieren, was alles möglich ist. In unseren über 6000 Vereinen wird eine großartige Vielfalt angeboten mit Sportarten weit über die paralympischen Disziplinen hinaus. Wir wollen die Freude an der Bewegung und der Gemeinschaft vermitteln. Und wir wollen die vielen positiven Aspekte des Sports nutzen, um die Menschen davon zu überzeugen, selbst aktiv zu werden oder sich bspw. als Übungsleiter*innen zu engagieren.
Welche Schritte sind notwendig, damit noch mehr Menschen mit Behinderung Sport treiben können?
Vor allem müssen die Sportstätten so gestaltet sein, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ohne Barrieren und Hindernisse Sport treiben können. Zudem geht es nur mit einer ausreichenden Hilfsmittelversorgung mit Blick auf Sportprothesen oder auch Sportrollstühle. Ebenso wichtig ist, dass die Menschen wissen, wo es welche Sportangebote gibt. Dabei hilft die Plattform parasport.de oder das Handbuch Behindertensport. Und im September veranstaltet der DBS bundesweit erstmals die „SportWoche für Alle“, um die bestehenden Angebote und Möglichkeiten bekannter zu machen. Dies sind nur einige Voraussetzungen und Beispiele, denen noch viele weitere folgen müssen.
Das erscheint dringend erforderlich, denn nur sieben Prozent der Sportvereine in Deutschland machen Angebote für Menschen mit Behinderungen. Mit welchen Maßnahmen kann diese Anzahl erhöht werden?
Alle gesellschaftlichen Kräfte müssen diese wichtige Aufgabe nachhaltig angehen – die Politik, die Wirtschaft und der Sport insgesamt. Wir müssen einerseits alle Vereine und deren Übungsleiter*innen weiter davon überzeugen, welch großen Mehrwert der Einsatz für Menschen mit Behinderung hat. Andererseits dürfen die Verbände und Vereine bei der Umsetzung nicht überfordert werden. Hier bedarf es der Unterstützung von Politik und Wirtschaft. Diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben dürfen nicht auf dem Rücken der Ehrenamtler*innen austragen werden. Im Gegenteil: Es braucht Anreize und eine größere Akzeptanz für das so wichtige ehrenamtliche Engagement, wenn wir dem Mitgliederrückgang der vergangenen Jahre entgegenwirken wollen. Doch über allem steht die klare Forderung, dass wir Menschen mit Behinderungen den Weg in den Sport unbedingt erleichtern müssen.
Welchen Beitrag kann und muss der Deutsche Behindertensportverband leisten?
Der DBS hat als Dach seiner 17 Landes- und zwei Fachverbände den übergeordneten Auftrag, bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Verbände und Vereine ihre Aufgaben und Maßnahmen im Interesse der Menschen mit Behinderungen umsetzen können. Außerhalb unserer Strukturen wird der Behindertensport leider immer noch zu häufig nicht mitgedacht und hat in Deutschland nicht den Stellenwert, der ihm zusteht und den wir benötigen, damit Inklusion im und durch Sport im Alltag noch selbstverständlicher gelebt wird. Darauf müssen wir hinweisen und die Besonderheiten sowie die berechtigten Interessen des Behindertensports immer wieder einfordern.
2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet: Wie bewerten Sie die bisherige Umsetzung hinsichtlich der Inklusion im Sport?
In diesen rund 14 Jahren haben wir u. a. mehrere Flüchtlingsbewegungen, die Corona-Pandemie, die Wirtschaftskrise und nicht zuletzt den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erlebt – das alles hat die Gesellschaft und die Politik in Deutschland vor große Herausforderungen gestellt. Bei allem Verständnis dafür dürfen andere wichtige Themen dennoch nicht vergessen werden. Daher haben wir auch das Recht und die Verpflichtung, Sachverhalte anzumahnen, wenn der Status quo unbefriedigend ist. Es wurden bereits einige Ziele gemeinsam erreicht. Allerdings ist das nicht ausreichend, um Inklusion im Sport konsequent und möglichst überall gelingen zu lassen.
Der Rehabilitationssport ist eine wichtige Säule im DBS – welche Potenziale zur Weiterentwicklung sehen Sie?
Der Mehrwert des Rehabilitationssports im Bereich der orthopädischen Erkrankungen ist vielfach bekannt und gleichermaßen anerkannt. Es gibt jedoch weitaus mehr Erkrankungen, für die spezifischer Rehabilitationssport eine Verbesserung der Lebenssituation bewirken und die Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitsleben fördern kann. So sind entsprechende Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung, für schwerstbehinderte Menschen oder auch Menschen mit neurologischen und psychischen Erkrankungen noch längst nicht flächendeckend vorhanden. Daran wollen wir künftig verstärkt arbeiten sowie gleichzeitig mit qualitativen und guten Angeboten größter Leistungserbringer in Deutschland bleiben. Der Rehabilitationssport ist ein unverzichtbarer Aufgabenbereich des DBS.
Welche Ziele verfolgen Sie als Generalsekretär des DBS?
Das wichtigste Ziel für mich ist es, den Verband finanziell auf sichere Beine zu stellen, um damit die Grundlage zu schaffen, dass die notwendigen Aufgaben im Breiten-, Präventions-, Rehabilitations- und Spitzensport umgesetzt werden können. Während der Leistungssport dank der Unterstützung insbesondere des Bundesministeriums des Innern und für Heimat aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages gut aufgestellt ist, haben wir in anderen Bereichen enormen Unterstützungsbedarf. Aus diesem Grund wollen wir die Vermarktung des Deutschen Behindertensportverbandes stärken. Viele Unternehmen und Organisationen haben bereits erkannt, wie gewinnbringend gesellschaftliches Engagement im Bereich Vielfalt und Inklusion ist und dass sie damit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen. Dafür bieten wir vielfältige Möglichkeiten, mit denen man gemeinsam zu spürbaren Verbesserungen auch für Sportler*innen mit Behinderungen beitragen kann.
Blicken wir zehn Jahre in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für den Behindertensport im Jahr 2033?
Ich wünsche mir, dass der Prozess der Inklusion im Sport in zehn Jahren weitgehend abgeschlossen ist und viele weitere Ziele erreicht sind. Ich hoffe, dass wir im Spitzensport nach wie vor erfolgreich sind und zum Kreis der Top-Nationen gehören. Doch mein größter Wunsch ist es, dass der Behindertensport spätestens im Jahr 2033 die gesellschaftliche Akzeptanz hat, die ihm zusteht. Die Leistungen von Menschen mit Behinderung – in der Gesellschaft oder im Sport, in der Spitze oder in der Breite – verdienen jede Unterstützung und jeden Respekt. Dafür werden wir als DBS und ich persönlich auch künftig mit voller Kraft und voller Überzeugung kämpfen.