Aktuelles vom Deutschen Behindertensportverband
Beucher: "Wir wollen nicht am Rand bleiben"
Friedhelm Julius Beucher sieht in der Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele gute Chancen für eine inklusive Gesellschaft. Im Gespräch mit Andreas Hardt vom Hamburger Abendblatt äußert sich Beucher zur Bedeutung der Spiele in Deutschland für den Sport, aber auch für eine inklusive und barrierefreie Gesellschaft - und hält ein Plädoyer für die Paralympics: "Wir wollen nicht am Rand bleiben, wir wollen mittendrin dabei sein! Die Paralympics sind nur zeitlich zweitrangig, aber nicht inhaltlich. Sie sind inzwischen die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt. Die Investitionen für die Spiele sind Investitionen in die Zukunft."
Hamburger Abendblatt: Herr Beucher, Sie sitzen nicht im Rollstuhl, haben keine andere Behinderung. Wie sind Sie dazu gekommen, Präsident des Deutschen Behindertensportverbands zu werden?
Friedhelm Julius Beucher: Eine Behinderung ist natürlich keine Voraussetzung, um für behinderte Menschen tätig zu sein. Ich bin 1992 als junger Bundestags-Abgeordneter nach Barcelona zu den Paralympics geschickt worden, das lag einfach daran, dass sich kein anderer dafür interessierte. Da waren volle Stadien, tolle Leistungen und eine überragende Stimmung. Meine Frau aber sagte, sie habe nichts davon gesehen in Deutschland. Später kam irgendwann eine Zusammenfassung von den Paralympics im Fernsehen – in einer Gesundheitssendung. Das habe ich als schreiende Ungerechtigkeit empfunden. Ich habe mich dann immer für den paralympischen Sport engagiert und bin seit meiner Pensionierung 2009 der ehrenamtliche Präsident.
Sie sind in den Aufsichtsrat der Bewerbungsgesellschaft für die Olympischen und Paralympischen Spiele in Hamburg berufen worden.
Beucher: Alles andere wäre auch ein Schlag gegen das Bemühen, den paralympischen Sport mehr in den Fokus der Gesellschaft zu setzen.
Wie weit ist der DBS in den Planungen für die Sportstätten etc. in Hamburg involviert?
Beucher: Wir sind teilweise dabei, immer mehr. Am Anfang sträflich zu wenig. In der Bewerbungsgesellschaft ist eine Teilzeitstelle geschaffen worden für eine ausgezeichnete Kennerin der paralympischen Szene, die Erfahrungen vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) und Paralympics mitbringt. Damit ist gewährleistet, dass bei den Planungen immer für Menschen mit Behinderungen mitgedacht wird.
Das ist noch nicht immer der Fall?
Beucher: Nun, der Weg in die inklusive Gesellschaft heißt bei Teilhabe ja auch, dass ich anderen etwas wegnehme. Da gibt es eben Menschen, die ihren Bereich verteidigen. Ich halte es für ein Unding, dass zum Beispiel die Sledgehockey-Nationalmannschaft Trainingszeiten in einem Eishockey-Zentrum erst nach Mitternacht bekommen hat. Wir haben noch zu wenige Sportler in der Sportförderung der Bundeswehr, wir haben nur ganz wenige Sportler, die Angestellte in öffentlichen Einrichtungen sind. Das ist ein Zustand, der kurzfristig verändert werden muss.
Denken sie, dass ein größeres Bewusstsein für die Paralympischen Spiele bei der Bewerbung Hamburgs helfen kann?
Beucher: Ja, unbedingt. Und wir wollen nicht am Rand bleiben, wir wollen mittendrin dabei sein. Es ist mir auch wichtig dafür zu werben, dass es eben auch um die Paralympics geht. Die sind inzwischen die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt, die auch Menschen anspricht, die Olympische Spiele schnell gleichsetzen mit der Korruption bei der Fifa sowie der Umweltzerstörung in einigen Gastgeberländern. Und die nicht wissen, dass wir genau das ausschließen. Nach meinem Verständnis gehören Paralympische und Olympische Spiele nicht in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Es gehören Paralympische und Olympische Spiele nicht in Länder, in denen man rücksichtslos mit der Natur umgeht und Nachhaltigkeit ein Fremdwort ist. Das, was jetzt an Gebirgswald in Pyeongchang für die Winterspiele 2018 zerstört wird, das tut auch unserer Klimabilanz weh.
Aber ist nicht genau diese Rücksichtslosigkeit, dieser Gigantismus das, was Olympiakritiker ansprechen?
Beucher: Da setze ich auf die IOC-Agenda 2020 von Thomas Bach, bei der ich hoffe, dass Nachhaltigkeit kein Lippenbekenntnis ist, sondern ein Ausschlusskriterium für diejenigen, die es nicht haben.
Was erhoffen Sie sich denn von Hamburgs Bewerbung für behinderte Menschen?
Beucher: Nun, schon als sich Hamburg und Berlin um die Gunst des DOSB beworben hatten, hatten beide Städte festgelegt, dass sie zwischen 2018 und 2020 einen barrierefreien, öffentlichen Personen-Nahverkehr anbieten können. Damit haben Sie ein Alleinstellungsmerkmal für Hamburg, das es weltweit nicht gibt. Hamburg wird nach den jetzt vorliegenden Plänen das nachhaltigste Beispiel sein, auch was kurze Wege angeht, was es je bei Bewerbungen um Olympische und Paralympische Spiele gegeben hat.
Aber das alles kostet Milliarden.
Beucher: Sicher. Doch dies sind Investitionen in die Zukunft. Wer für eine Sportgroßveranstaltung bauliche Veränderungen macht, muss gleichzeitig wissen, dass wir uns zu einer immer älteren Gesellschaft hinentwickeln, die irgendwann Gehhilfen, Erreichbarkeitshilfen in Form von Aufzügen, von Hilfen für Sehbehinderungen, Hilfen für körperliche Einschränkungen mehr denn je brauchen wird. Und da leisten Paralympics und damit verbundene Aufwendungen einen Beitrag für eine inklusive Gesellschaft.
Die Planungen der inklusiven, barrierefreien Olympic City auf dem Kleinen Grasbrook sehen Sie also als besondere Chance?
Beucher: Es wird einen Run auf Hamburg geben, um solche Wohngebiete nutzen zu können. Wir werden in wenigen Jahren viel mehr Menschen haben, für die Treppen ein Hindernis darstellen. Heute schon gibt es junge Eltern mit Kinderwagen, für die eine Treppe zur Hürde werden kann wie Bordsteine für Rollstuhlfahrer.
Wie groß ist der Einfluss des Internationalen Paralympischen Komitees bei der Wahl der Olympiastadt im Jahr 2017?
Beucher: Das IPC hat in Person seines Präsidenten nur eine Stimme im IOC. Aber die meisten Länder, die im IOC sitzen, haben ja die UN-Behindertenrechts-Konvention unterschrieben. Sie werden keinen Zuschlag zu Olympischen Spielen bekommen ohne einen außergewöhnlichen paralympischen Bewerbungsteil.
Das heißt, eine überzeugende Hamburger Bewerbung auch in diesem Bereich würde die Chancen erhöhen?
Beucher: Der Charme des Hamburger Konzepts liegt bei den kurzen Wegen und der Chance einer Veränderung, weil in Industriebrachen Neues geschaffen werden kann, was beispielhaft ist. Damit kann man sehr selbstbewusst umgehen. Der außergewöhnlich starke Bürgerwille in der Zivilgesellschaft Hamburgs kann ein weiteres Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Gigantonomie in einer Millionenstadt sein.