Aktuelles vom Deutschen Behindertensportverband
Besorgniserregende Entwicklung setzt sich fort
Deutscher Behindertensportverband fürchtet weiteren Rückgang der Mitgliederzahlen um bis zu zehn Prozent – Rehabilitationssport bietet große Potenziale mit Blick auf Long-/Post-Covid-Betroffene
Alarmierend waren die Zahlen schon vor der Corona-Pandemie: Im dritten Teilhabebericht der Bundesregierung kam heraus, dass 55 Prozent der Menschen mit Behinderung keinen Sport treiben – die Zahlenbasis dafür stammt aus dem Jahr 2017. 2020 folgte das erste Corona-Jahr mit einem drastischen Mitgliederrückgang besonders im Sport von Menschen mit Behinderung und mit chronischen Erkrankungen. Erste Prognosen für die Mitgliederzahlen im vergangenen Jahr zeigen, dass der Behindertensport erneut überproportional von den Corona-Folgen betroffen ist: Schätzungen gehen von einem weiteren Rückgang von bis zu zehn Prozent aus. Diese besorgniserregenden Entwicklungen stellte der Deutsche Behindertensportverband (DBS) jüngst im Sportausschuss des Deutschen Bundestages ebenso vor wie die bedeutenden Potenziale des Sports und insbesondere des Rehabilitationssports mit Blick auf Long-/Post-Covid-Betroffene.
Deutschland wieder in Bewegung versetzen – so lautet das formulierte Ziel in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Deutschen Fußball-Bundes. Dass dies gerade für Menschen mit Behinderung von größter Bedeutung ist, hoben die beiden DBS-Vizepräsidentinnen Vera Jaron und Katrin Kunert im Sportausschuss hervor. „Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas und wirft uns in unseren Bemühungen für Teilhabe und Inklusion im Sport um Jahre zurück. Ziel muss es sein, mehr Menschen mit Behinderung in Bewegung zu bringen und für den Sport zu begeistern. Das ist die große Herausforderung für den Deutschen Behindertensportverband und für Sportdeutschland. Darüber hinaus ist es aber auch eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um den Sport von Menschen mit Behinderung zu stärken, sind Förderungsprogramme in verschiedenen Bereichen notwendig“, betonte Kunert und fügte hinzu: „Wir müssen das Ehrenamt stärken und die Digitalisierung vorantreiben, insbesondere im Aus- und Fortbildungsbereich. Und wir brauchen mehr wohnortnahe Angebote, mehr barrierefreie Sportstätten sowie mehr Übungsleiter*innen und Vereine, die sich für Menschen mit Behinderung öffnen.“
Gebündelte Informationen und Hinweise rund um 32 Sportarten sowie Praxistipps für Vereine gibt es im Handbuch Behindertensport, die Plattform www.parasport.de bietet neben einem Para Sportarten-Finder für Menschen mit Behinderung darüber hinaus noch Termine und direkte Ansprechpersonen in den Landesverbänden und den Sportarten. Fest steht: Es bedarf großer Anstrengungen auf allen Ebenen, um die drastischen Auswirkungen der Corona-Pandemie vor allem auf den Behindertensport auffangen zu können.
„Die Aufrechterhaltung der Strukturen des Rehabilitationssports in Deutschland ist akut bedroht“, warnt Katrin Kunert. Während die Vereine die Kosten für Infrastruktur und Personal im Verlauf der Corona-Pandemie weiterhin schultern mussten, sei die Vergütung im Rehabilitationssport teilweise vollständig entfallen oder zumindest erheblich eingeschränkt gewesen. „Diesen Einnahmeausfall können die Vereine nicht kompensieren“, berichtete die DBS-Vizepräsidentin im Sportausschuss. Bundesweit stehen über 100.000 Angebote im Rehabilitationssport zur Verfügung – über 75 Prozent davon werden in den Strukturen des Deutschen Behindertensportverbandes durchgeführt, der damit erheblich betroffen ist.
Doch im breiten Angebot des Rehabilitationssports liegen auch Chancen. Nach Schätzungen können zwischen 10 und 20 Prozent der Covid-Erkrankten Langzeitfolgen wie Luftnot, chronische Erschöpfung, Schwindel oder Konzentrationsschwäche aufweisen. „Das sind Symptome, die im ärztlich verordneten Rehabilitationssport nicht neu sind. Daher ist der Rehabilitationssport mit seinen bereits bestehenden flächendeckenden Angeboten eine effektive Maßnahme, um die zahlreichen Long-/Post-Covid-Betroffenen qualitätsgesichert aufzufangen – wohnortnah, nachhaltig und indikationsspezifisch“, erklärte DBS-Vizepräsidentin Vera Jaron. „Eine besondere Rolle kommt hierbei den betreuenden Ärzt*innen zu, über die jede anerkannte Rehabilitationssportgruppe, egal in welchem Indikationsbereich, verfügt.“
Um die Potenziale des Rehabilitationssports dahingehend bestmöglich auszuschöpfen und den großen Bedarf an Informationen zu decken, hat der DBS bereits diverse Online-Schulungen für Verbände, Vereine und Übungsleiter*innen durchgeführt und Empfehlungen zur Eingruppierung in Sportgruppen formuliert. Angestrebt wird auch die Etablierung einer Fortbildung im Bereich Long-/Post-Covid für alle Übungsleiter*innen in den DBS-Strukturen. Zudem wird am 9. September 2022 in Berlin das Forum „Corona & Sport“ ausgerichtet, eine Tagungsveranstaltung mit fachspezifischen Vorträgen sowie Diskussions- und Austauschmöglichkeiten, um sich für die Zukunft zu wappnen und ein funktionsfähiges Netzwerk mit allen Stakeholdern zu bilden, das sich an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.
Über allem steht das Ziel: Deutschland wieder in Bewegung bringen – gerade Menschen mit Behinderung.