Aktuelles vom Rollstuhlbasketball im Deutschen Behindertensportverband
Miteinander für das beste Resultat – Anne Patzwald im Interview
Die Ergotherapeutin und Rollstuhlbasketballerin Anne Patzwald sprach mit uns über ihr Leben zwischen Job und Sport. Zur therapie on tour BOCHUM und der therapie HAMBURG ist sie als Referentin dabei.
Wollten Sie schon immer Ergotherapeutin werden?
Nach meinem Schulabschluss hatte ich darüber nachgedacht und fand diesen Berufsweg super interessant. Habe mich aber von den Schulgebühren abschrecken lassen und zu diesem Zeitpunkt noch nicht tiefer nachgeschaut. Ich dachte nur: „Oh Gott, so viel Geld pro Monat ausgeben, das kann ich nicht, das schaffe ich nicht.“ Dann habe ich mein Fachabitur nachgelegt. Später, als ich dann selbst Ergotherapie in Anspruch nahm, hat mein Ergotherapeut mir erklärt, dass es auch Schulen gibt, die keine größeren Kosten haben. Sodass ich mich dann weiter informiert und nach unterschiedlichen Schulen geschaut habe, die barrierefrei sind – also nicht nur das Schulgebäude, sondern auch die Dozenten. An eine sehr gute Schule bin ich dann in Bielefeld-Eckardtsheim geraten.
Warum ist es wichtig, dass auch die Dozenten auf den Rollstuhl eingestellt sind?
Dass man einfach auch im therapeutischen Bereich einen Blick haben muss, um zu sehen, dass manche Dinge natürlich gehen können – trotz des Rollstuhls. Was ich in Bielefeld an den Dozenten sehr geschätzt habe: Wenn sie nicht wussten, ob ich das kann oder nicht, dann haben sie einfach gefragt und geschaut wie wir beispielsweise etwas adaptieren können. Sie sind in die Kommunikation getreten und das ist das allerwichtigste. Nämlich zu kommunizieren und nicht einfach nur zu denken, dass etwas klappt oder nicht funktioniert. Zu reden und gemeinsam zu schauen wie es gehen könnte, das ist für mich auch der ergotherapeutische Weg.
Sie sehen das für sich als Hauptaufgabe, über die Dinge zu sprechen, weil Sie sagen, dass das zweifelsohne zu Ihrem Beruf dazu gehört?
In der Ergotherapie geht es an sich ja meistens um eine Betätigung, die jemand machen oder wiedererlangen möchte. Man kann ja nicht über dessen Kopf hinweg entscheiden wie das gehen könnte. Derjenige steckt in seinem eigenen Körper und muss involviert werden – als Patient oder auch als Kollege. Ich muss aber auch selbst schauen, wie ich bei der Arbeit bestimmte Dinge anstelle. Das muss ich nicht nur als Rollifahrer, das müssen zum Beispiel auch kleine Personen, wenn sie einen Menschen vor sich haben, der wesentlich größer ist und Geh- oder Stehtraining machen möchte. Jeder ist anders und jeder muss auch auf sich achten.
Wie gehen Ihre Patienten damit um, dass Sie im Rollstuhl sitzen?
Am Anfang immer sehr unterschiedlich. Ich wurde auch schon von einem Patienten gefragt: „Warum haben Sie sich jetzt in den Rolli gesetzt?“ Dann erwiderte ich: „Das ist mein Rolli und den fahre ich jetzt schon seit ein paar Jahren.“ Damit war sofort das Eis gebrochen und wir haben uns schnell über andere Themen unterhalten. Zu diesem Zeitpunkt kam ich gerade aus Australien. Mein Patient fragte sofort: „Wie? Man kann als Rollifahrer fliegen? Das geht? Und wie ist das mit dem Autofahren?“ Ich sagte ihm, dass ich ein Auto habe, das umgebaut ist und, dass das somit kein Problem sei. Vorher denken die Leute oft „Oh Gott, wie kann so ein Leben aussehen“. Bis jemand daher kommt und erklärt was möglich ist – ein bisschen wie ein lebendes Beispiel.
Dass Sie Ihre eigenen Erfahrungen in die Arbeit mit einbringen, wirkt wie ein positiver Effekt.
Genau.
Bei Ihrer ergotherapeutischen Arbeit liegt der Fokus auf der Betreuung von Querschnittsgelähmten jeglicher Art?
Ja genau, ich arbeite im Querschnittsgelähmten Zentrum in Hamburg. Dies ist das größte hier in Deutschland.
Was sind Ihre Hauptaufgaben bei der Therapie?
Zu Beginn der Behandlung geht es vor allem um die ADL`s – Alltagsbetätigungen. Dinge, bei denen man sich normalerweise keine Gedanken macht. Jeder wacht morgens auf, steht auf, geht ins Bad, putzt sich die Zähne, zieht sich an. Für jemanden, der gerade frisch verletzt ist, ist das nicht möglich. Klar, bevor wir die Behandlung übernehmen, kümmert sich die Pflege darum – zieht den Patienten an oder liftet ihn in den Rolli. Die ersten großen Themen für die Ergos sind bei den Paraplegikern das Anziehen und der Transfer in den Rolli, dabei zu unterstützen, in der Klinik selbstständig zu sein.
Bei Tetraplegikern geht es vor allem um die kleine Selbsthilfe. Das heißt: Wie kann ich allein essen, Zähne putzen oder das Handy bedienen? Alles, was man eigentlich ganz selbstverständlich mit den Händen macht. Wenn aber Hände, Arme und die Finger nicht mehr wie früher funktionieren, wie kann man eine Gabel halten und essen? Wir zeigen Hilfsmittel oder machen Esstraining mit dem Patienten.
Was sind für Sie die schönsten Momente, in denen Sie merken, dass es der Job ist, den Sie mit Leidenschaft ausfüllen und den Sie gerne tun?
Wenn man zusammen mit dem Patienten ein klares Ziel formuliert hat und er dieses erreicht. Wenn es zum Beispiel um das Anziehtraining geht und der Patient sagt: „Boahr, kann nicht sein. Ich brauche eine dreiviertel Stunde und bin schweißgebadet. So viel Zeit kann ich doch nicht zum Anziehen brauchen!“ Dann setzen wir das Ziel, dass er sich ohne Hilfe in 20 Minuten anzieht. Innerhalb einer Woche hatte er es geschafft und war total stolz. Bei den Transferen ist es das gleiche. Am Anfang werden die Patienten geliftet, irgendwann nutzen sie das Rutschbrett. Jeder kleine Schritt ist eine Motivation zum Nächsten, bis sie das Rutschbrett weglassen und zum Stütztransfer wechseln können.
Zu sehen, wie die Patienten wieder selbstständig werden und wieder am Leben teilnehmen, wieder am Leben teilnehmen wollen, ist das Schönste.
Sehen Sie sich in gewisser Weise als Lebensmotivator?
Schwieriges Wort [lächelt]. Also ich würde sagen, dass manche Patienten das so sehen. Dass sie sich sagen: „Wenn sie das schafft, dann schaffe ich das auch.“ Aber ich glaube das können viele Menschen bewirken. Da es meistens doch nur kleine Dinge oder Gesten sind, die Menschen sehen und dann sagen: „Boahr ja, geil!“.
Es gibt zum Beispiel die Kiki bei uns in der Klinik, die mit Patienten zu unseren Spielen fährt. Ganz oft sind es dann natürlich auch meine Patienten, die mitbekommen, dass ich Rollstuhlbasketball spiele. In der Halle sind dann etliche Rollifahrer, die sich sportlich betätigen, aneinander crashen, umfliegen und wieder aufstehen. Das ist dann auch etwas, das viele motiviert, die zuschauen – vielleicht kann es nicht jeder spielen, aber anschauen ist auch geil und macht Spaß.
Welchen Stellenwert hat der Sport für Sie? Ist er ein Ausgleich zum beruflichen Alltag?
Der Sport hat eine sehr große Rolle in meinem Leben. Das aber auch schon immer. Seit meinem vierten Lebensjahr bin ich im Vereinssport und in unterschiedlichen Sportarten tätig. Damals war es der Ausgleich zur Schule. Heute ist es irgendwie wechselseitig. Der Sport ist nicht nur Ausgleich für die Arbeit, sondern die Arbeit auch Ausgleich für den Sport. Ich brauche beides und das eine ist sozusagen Urlaub für das Andere. Denn Urlaub ist für mich nicht nur ausruhen. Ich sehe dabei etwas anderes, erlebe etwas anderes und habe einen Tapetenwechsel. Das habe ich mehr oder weniger jeden Tag. Beim Sport vergesse ich die Arbeit und bei der Arbeit vergesse ich den Sport.
Das heißt auch, dass Sie die Nationalmannschaft recht gut mit der Tätigkeit in der Klinik vereinbaren können?
Ja, das kann ich sehr gut. Aber auch nur, weil die Klinik mich in dem Bereich sehr unterstützt. Für alles, was die Nationalmannschaft betrifft, werde ich freigestellt. Sie unterstützen mich sehr, nicht nur die Chefs, sondern auch die Kollegen. Viele interessieren sich und wollen natürlich auch wissen, wie es ausgegangen ist oder wo ich gerade unterwegs bin.
Was ich aus allem herausgehört habe: Für Sie ist das Miteinander egal ob im Job oder im Sport unglaublich essentiell, oder?
Definitiv.
Was bedeutet das für Sie insgesamt – also sowohl der Sport im Team als auch das Miteinander im Job?
Wenn das Miteinander gut harmoniert, macht es einem das Leben viel, viel einfacher. Wenn man gut kommuniziert, egal ob mit Patienten oder den Kollegen, dann kommt das beste Resultat dabei heraus. Das heißt, das Ziel ist schneller und qualitativ besser zu erreichen.
Quelle: Karoline Nöllgen (Pressesprecherin für medizinische Messen & Kongresse); therapie on tour BOCHUM; therapie HAMBURG