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Vivian Hösch beendet ihre Karriere
Die blinde Freiburgerin hatte zuletzt viel Verletzungs- und Krankheitspech. Jetzt zieht die 27-Jährige einen Schlussstrich – ganz ohne negative Gedanken
Vivian Hösch hatte sich viel vorgenommen für die Paralympischen Spiele von PyeongChang. „Ich habe mich gut gefühlt, ich wollte zeigen, was ich drauf habe“, sagt die 27-jährige Para Langläuferin und Biathletin vom Ring der Körperbehinderten Freiburg. Und dann konnte sie wegen einer Angina nur den ersten Wettkampf bestreiten. Schon wieder gestoppt von einer Erkrankung, wie 2017, als sie die Heim-WM in Finsterau verpasste. „Bei Vivian wirkte es immer so, als würde sich ihr Körper mit Händen und Füßen gegen den Leistungssport wehren“, sagt der Bundestrainer Ralf Rombach.
Das scheint sich nun erneut bewahrheitet zu haben. Anfang Mai wollte Hösch eigentlich neu angreifen, erholt und frisch motiviert nach einem vierwöchigen Australien-Aufenthalt, die Weltmeisterschaft 2019 im kanadischen Prince George vor Augen. Doch ihr Knie bereitete Probleme, die Ärzte sahen keinen Weg vorbei an einer Operation. Es hätte mehrere Monate Pause bedeutet, einen Start in die Vorbereitung mit enormen Rückstand. Das wollte sie nicht. Und zog kurzerhand einen Schlussstrich unter ihre Karriere.
Diese Karriere begann für Hösch, die von Geburt an sehbehindert und seit ihrem neunten Lebensjahr blind ist, zunächst im Schwimmen, bei der Freiburger Turnerschaft von 1844. Schon ihr dortiger Trainer, aufgrund seiner Strenge nur ehrfurchtsvoll Herr Lovasz, genannt, wollte sie einmal bei den Paralympics sehen, verstarb aber früh. „Er war ein besonderer Trainer. Ich habe ihm und dem Verein viel zu verdanken“, sagt Hösch, die auch früh auf Skiern stand – allerdings auf Alpinski. „Langlauf fand ich erst total uncool.“
Das Schießen weckt die Faszination
Das änderte sich abrupt, als sie 2006 die Para Langlauf und Biathlon-Nachwuchstrainerin Melanie Kirchner kennenlernte. Vor allem vom Blindenschießen war Hösch sofort angetan. Hans-Ulrich Wiedmann, der Leiter des Olympiastützpunktes in Freiburg, und Bernd Fleig, der Vater ihres Nationalmannschaftskameraden Martin Fleig, wurden zu Antreibern – und plötzlich ging alles sehr schnell. Im Januar 2008 feierte die Freiburgerin in Isny ihr Weltcup-Debüt. „Alles, was ich wollte, war nicht Letzte zu werden“, erinnert sich die damals 16-Jährige. „Das habe ich geschafft.“
2014 qualifizierte sich Hösch für die Paralympischen Spiele von Sotschi und wurde mit ihrem Guide Norman Schlee Fünfte im Biathlon über sechs Kilometer und Sechste im Langlauf über fünf Kilometer im freien Stil. Ein Jahr später folgte inzwischen an der Seite von Guide Florian Schillinger ihr größter Erfolg: der Gewinn der Bronzemedaille im Biathlon über sechs Kilometer bei der Weltmeisterschaft in Cable (USA).
Das Rennen und vor allem das, was danach kam, dürfte das Duo nie vergessen. 20 Minuten mussten sie nach dem Ende bangen, weil Elena Remizova aus Russland, Vierte mit 0,6 Sekunden Rückstand aufs Treppchen, einen Protest eingelegt hatte. Sie verlangte eine Zeitgutschrift, weil sie beim Schießen von einer anderen Konkurrentin behindert worden sei. Das Internationale Paralympische Komitee schmetterte den Protest ab, Hösch und Schillinger hatten ihre Medaillen. „Es ist unbeschreiblich, was in einem solchen Moment mit dir passiert“, sagt sie.
In der Saison 2015/2016 bewiesen die beiden mit dem dritten Platz im Biathlon-Gesamtweltcup, dass dieser Erfolg weder Zufall noch Eintagsfliege war. „Wir hatten eine sehr intensive Zusammenarbeit. Es gab Zeiten, da habe ich Vivian häufiger gesehen als meine eigene Familie“, sagt Schillinger. Zuletzt aber hatte Hösch immer wieder mit Rückschlägen zu kämpfen, Schillinger spricht von „einer Achterbahnfahrt“. Die Knieprobleme waren nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Kein Blick zurück im Zorn
Für den Bundestrainer Ralf Rombach ist es „tragisch und bedauernswert, dass Vivi jetzt aufhört“, habe es vor PyeongChang doch so ausgesehen, als könne Hösch wieder ganz vorne angreifen. Doch sie selbst hat ihren Frieden mit der Situation gemacht. „Es gibt Dinge, die kann man einfach nicht beeinflussen“, sagt sie und blickt lieber erwartungsfroh nach vorn als enttäuscht zurück.
Im April 2016 hat die Verwaltungsfachangestellte der Stadt Freiburg im Breisgau ein Studium der Prävention und Gesundheitspsychologie begonnen, in das sie sich jetzt voll reinhängen möchte. Außerdem hat sie ihre Autobiografie geschrieben, für deren Veröffentlichung sie gerade einen Verlag sucht. „Es geht darin vor allem auch darum, wie ich an meiner mentalen Stärke gearbeitet habe, um meine Ziele zu erreichen“, verrät sie.
Ganz aufzuhören mit dem Sport, kommt für sie ebenfalls nicht infrage. Dem Schwimmen etwa fühlt sie sich noch immer verbunden. „Aber ich werde es genießen, alles ohne strikten Trainingsplan zu tun.“
Quelle: Ben Schieler