Schäfer schnappt sich Popows Weitsprung-Weltrekord
Weitspringer Léon Schäfer hat bei den Internationalen Deutschen Para Leichtathletik-Meisterschaften in Singen den Weltrekord von Mentor und Vorbild Heinrich Popow verbessert. Der 22-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen sprang 6,80 Meter und verbesserte die bisherige Bestmarke aus dem Jahr 2016 um drei Zentimeter.
Schon vor Wettkampfbeginn hatte Léon Schäfer geahnt, dass heute sein Tag sein würde. Der 22-Jährige war nach dem Karriereende von Heinrich Popow im vergangenen August nicht zuletzt vom Paralympics-Sieger und Weltrekordhalter persönlich zum Nachfolger auserkoren worden. Die 6,77 Meter, die Popow in der Vorbereitung auf die Paralympischen Spiele 2016 in Hachenburg gesprungen war, standen da noch immer in der Bestenliste ganz oben.
Doch der oberschenkelamputierte Schäfer ließ zu Beginn der Saison mit 6,53 Metern und einer neuen Bestleistung aufhorchen – trotz Kreuzbandriss und langer Ausfallzeit in 2018. „Von den Trainingsergebnissen her war es vorherzusehen, dass es irgendwann weitergeht als seine bisherige Bestleistung“, sagt Karl-Heinz Düe, Schäfers Trainer beim TSV Bayer 04 Leverkusen, und fügt an: „Dass es jetzt sogar 6,80 Meter sind… Wir hatten schon gute Bedingungen, eine gute Anlage, leichten Rückenwind. Wenn alles zusammenkommt, kommt eben eine gute Leistung raus.“
Schon im ersten Versuch landete Schäfer bei 6,74 Meter, im dritten legte er 6,76 Meter nach – um im fünften dann mit 6,80 Metern die Zuschauer zu begeistern, die er auf der Jagd nach den entscheidenden Zentimetern in seinen Bann gezogen hatte. „Es ist schon eine kleine Ehre, ihm den Rekord weggenommen zu haben“, sagt Schäfer und richtete sich direkt an seinen Mentor und Kumpel, der ihm auch schon während dessen aktiven Karriere immer mit Rat und Tat zur Seite stand: „Heino, du weißt, nur Liebe für dich, aber irgendwann musste es passieren und jetzt war halt die Zeit für mich. Ich denke, er verkraftet das.“
Trainer Karl-Heinz Düe, der auch schon Popow von Beginn an trainiert hatte, sah das ähnlich wie Schäfer: „Das ist Hochleistungssport, es ist nichts stetig, es geht immer weiter. Ich glaube schon, dass der Heinrich damit umgehen kann und sich dessen auch bewusst ist. Daher bin ich mir sicher: Wenn Léon den Weltrekord hat, das freut ihn am meisten.“
Popow selbst, der auf den Tag genau vor sechs Jahren den Weltrekord über 100 Meter geholt hatte, fand nur lobende Worte für seinen Nachfolger: „Er ist wie ich vom Kopf her – ein Chaot, der liebt, was er macht. Nicht Standard, sondern eine echte Marke. Ich bin glücklich, ich bin happy und stolz, dass ich beide Weltrekorde an meine eigenen Leute verloren habe.“ Über 100 Meter war im vergangenen Jahr der Brasilianer Vinicius Rodrigues schneller gesprintet und als erster oberschenkelamputierter Athlet unter zwölf Sekunden geblieben. Ihm hatte Popow im Zuge des Projekts „Ottobock Running Clinics“ bei den ersten Schritten mit einer Prothese geholfen und ihm das Sprinten beigebracht – ähnlich, wie er Schäfer in Leverkusen sofort anleitete und ihm stets half, das Optimum rauszuholen.
Schäfer, der in einer starken Startklasse nun der Gejagte sein wird, definiert seine Ziele für die WM Ende November in Dubai und die Paralympics 2020 in Tokio defensiv. Perspektivisch möchte er unter zwölf Sekunden sprinten und als erster Oberschenkelamputierter über sieben Meter springen: „Ich will die Leistung auf jeden Fall verbessern, im Weitsprung noch was drauflegen und über 100 Meter auch. Zeiten und Weiten sind schwer vorherzusagen, aber auf jeden Fall ist es mein Ziel, das noch zu verbessern, vielleicht sogar deutlich.“ Dass er das kann, daran bestehen kaum Zweifel – denn auch Popow weiß: „Das war erst der Anfang, er hat viel mehr Talent als ich.“