Aktuelles vom Rollstuhlrugby
Rollstuhlrugby-EM: Kampf ums Paralympics-Ticket in Riesen-Arena
Die deutsche Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft erwartet in Cardiff (Wales) eine Europameisterschaft der Superlative. Vom 3. bis 7. Mai geht es für die Auswahl von Cheftrainer Christoph Werner um eine Medaille und den Traum von der ersten Paralympics-Qualifikation seit 2008. Ausgetragen werden die Spiele in einer kleineren Arena mitten im gigantischen Principality Stadion.
Optimal ist die Vorbereitung für das deutsche Rollstuhlrugby-Nationalteam sicherlich nicht gelaufen. „Wir hatten einige Verletzungssorgen und es haben Leistungsträger gefehlt“, berichtet Christoph Werner. Ungeachtet dessen sind Vorfreude und Motivation bei der deutschen Mannschaft riesig. Schließlich geht es bei der EM um den ersten von zwei Matchbällen für die Paralympics-Teilnahme. Um eines der beiden Tickets für Paris 2024 zu ergattern, müsste Deutschland ins Finale einziehen. Wenn Mitfavorit Frankreich, als Gastgeber der Spiele bereits qualifiziert, es ins Endspiel schafft, reicht auch der dritte Platz. Sollte das nicht gelingen, spielen bei einem Qualifikationsturnier im ersten Quartal 2024 acht Mannschaft um die drei verbleibenden Startplätze.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es diesmal schaffen werden – spätestens beim Qualifikationsturnier, aber am liebsten schon jetzt bei der EM“, sagt Cheftrainer Werner und fügt an: „Das hätte sich das Team aufgrund der Leistungsbereitschaft und der Entwicklung einfach verdient. Und wir hätten Planungssicherheit.“ Bei der Europameisterschaft gibt es bereits einen Vorgeschmack auf die Paralympischen Spiele. „Das wird ein Mega-Event und bestimmt die beeindruckendste EM, an der ich bisher als Spieler oder Trainer teilgenommen habe“, betont Werner, der bei den Paralympics 2008 in Peking noch auf dem Feld aktiv war und nun bereits seit zwei Jahrzehnten im internationalen Rollstuhlrugby unterwegs ist.
Taktische Anweisungen per Hasen-Schlappohren
Mit 4000 bis 5000 Zuschauern rechnet Deutschlands Cheftrainer in der extra aufgebauten Rollstuhlrugby-Arena, die von den imposanten Rängen des knapp 75.000 Zuschauer fassenden Principality Stadions umgeben sein wird. „In Großbritannien herrscht erfahrungsgemäß nicht nur eine große Begeisterung für Rugby, sondern auch für den Para Sport“, erklärt Werner.
Um für die ungewohnten Rahmenbedingungen gerüstet zu sein, hat sich die deutsche Nationalmannschaft beim Lehrgang in Großwallstadt mit Zuschauergeräuschen beschallen lassen, während am Feinschliff gearbeitet wurde. Für die Kommunikation zwischen Trainerbank und Spielfeld hat Christoph Werner in Wales Tafeln im Gepäck mit verschiedenen Codes für taktische Anweisungen – dargestellt durch einen Hasenkopf mit Schlappohren. „Bei dieser Kulisse werden wir kaum Zugriff auf das Spielfeld haben, doch sehen kann man auch bei Lärm“, sagt Werner mit einem Augenzwinkern.
Michael Volter: „Beim Rollstuhlrugby rückt die Behinderung in den Hintergrund“
Im deutschen Aufgebot befindet sich auch Michael Volter. Der 31-Jährige begann seine sportliche Karriere beim Rollstuhlbasketball, wechselte dann jedoch zum Rollstuhlrugby und feierte bei der EM 2019 seine internationale Premiere. „Für mich persönlich war dieser Wechsel genau richtig. Mit meiner Behinderung, die auch zu Einschränkungen an den Händen führt, kann ich beim Rollstuhlrugby viel mehr erreichen als beim Rollstuhlbasketball. Für mich ist es ein Geschenk, ein Teil der Nationalmannschaft zu sein und Deutschland in der Welt zu vertreten“, betont Volter und fügt an: „Die internationale Rollstuhlrugby-Gemeinschaft ist wie eine große Familie. Es ist immer wieder eine besondere Atmosphäre: die Behinderung rückt in den Hintergrund und jeder ist gleich, egal aus welcher Nation man kommt. Das habe ich zuvor so noch nicht erlebt. Der Sport kann in dieser Hinsicht auch ein großes Vorbild für die Gesellschaft sein.“
Abseits des Spielfelds engagiert sich Michael Volter seit 2019 als Beauftragter des Landkreises Gießen für die Belange von Menschen mit Behinderung. In seinem Job berät er Bürgerinnen und Bürger, kümmert sich etwa um die Barrierefreiheit bei öffentlichen Bauvorhaben und wirkt bei der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention im Landkreis Gießen mit. „Ich weiß gar nicht, wer diese Arbeit in den Landkreisen macht, in denen es meine Stelle gar nicht gibt. Der Vorteil ist, dass ich auch meine eigenen Erfahrungen einfließen lassen kann, zumal ich beide Perspektiven kenne: früher als Fußgänger und heutzutage im Rollstuhl“, sagt Volter, bei dem erstmals im Alter von acht Jahren eine genetisch-bedingte, neurologische Erkrankung aufgetreten ist, die erst die Füße und später auch die Hände betroffen hat.
Cheftrainer Christoph Werner: „Unser Team hat richtig Bock!“
In den kommenden Tagen liegt der Fokus des 31-Jährigen jedoch ausschließlich auf der Rollstuhlrugby-EM. „Bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr haben wir viele gute Spiele gezeigt, waren mit dem zehnten Platz aber nicht zufrieden. Nach einer gewissen Enttäuschung hat sich daraus eine Jetzt-erst-recht-Haltung entwickelt. Unser erstes Ziel ist der Einzug ins Halbfinale, dann wollen wir mit dem Glück der Tüchtigen eine Medaille gewinnen – wenn das gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Paralympics wäre, würde ein großer Traum in Erfüllung gehen“, sagt Volter.
Los geht’s für das deutsche Team am Mittwoch, 3. Mai, gegen Tschechien. Danach steht das Duell mit den Niederlanden an, ehe es zum Abschluss der Gruppephase zum Aufeinandertreffen mit Frankreich kommt. Die Halbfinalspiele finden am Samstag, 6. Mai, statt. Einen Tag später geht’s schließlich um Medaillen und Paralympics-Tickets. Cheftrainer Christoph Werner: „Die Mannschaft hat einen großen Umbruch hinter sich, entwickelt sich aber richtig gut. Im Gegensatz zu den Mitkonkurrenten fehlt uns vielleicht noch die Breite im Kader, aber das werden wir mit viel Wille und Motivation versuchen wettzumachen. Unser Team hat richtig Bock!“
Informationen und Ergebnisse zur Europameisterschaft in Cardiff gibt es auf der Veranstaltungs-Webseite.
Text: Kevin Müller / DBS
Das deutsche EM-Aufgebot im Überblick:
Florian Bongard (29 / Bergisch Gladbach / RSG Koblenz), Sebastian Cleem (38 / Erfurt / RSB Thuringia Bulls), Justus Heinrich (23 / Arnstadt / RSB Thuringia Bulls), Marco Herbst (34 / Rendsburg / VfL Grasdorf), Britta Kripke (45 / Buchholz in der Nordheide / Alstersport e.V.), Yves Maubach (25 / Olpe / RSG Koblenz), Mascha Mosel (19 / Bremen / TSV Achim), Christian Riedel (52 / Stuttgart / RSC Frankfurt), Jens Sauerbier (36 / Magdeburg / SV Eiche Biederitz), Michael Volter (31 / Bad Nauheim / RSC Frankfurt), Steffen Wecke (38 / Steckby / SV Eiche Biederitz), Josco Wilke (21 / Leipzig / Leipziger Behinderten- und Reha-Sportverein)