Aktuelles vom Rollstuhlrugby
Jens Sauerbier: Voller Einsatz für eine spektakuläre Sportart
Seit 15 Jahren arbeitet Jens Sauerbier hart an dem Traum der Paralympics-Teilnahme – nun geht er endlich in Erfüllung. Die deutsche Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft hat sich seit 2008 das erste Mal wieder für die Paralympischen Spiele qualifiziert. Sauerbiers leidenschaftliche Begeisterung für den Sport ist nicht nur für ihn selbst eine Bereicherung. Der 37-Jährige inspiriert auch andere Menschen mit Behinderung – und das auf vielfältige Art und Weise.
Schon in seiner Jugend war Jens Sauerbier ein leidenschaftlicher Sportler. Als junger Fußballer des 1. FC Magdeburg machte er auf sich aufmerksam. Ein Unfall im Jahr 2003 führte jedoch dazu, dass er heute im Rollstuhl sitzt. Der Traum vom Fußballprofi war damit geplatzt. Aufgrund der Vorgabe, während seines Sportstudiums eine Mannschaftssportart auszuüben, entdeckte der damals 22-Jährige das Rollstuhlrugby für sich. Eine Sportart, die Sauerbier heute voller Begeisterung packt: „Rollstuhlrugby ist für mich einfach etwas Einzigartiges – es hat allein schon ein Alleinstellungsmerkmal, dass der Kontakt im Gegensatz zu anderen Sportarten ausdrücklich erwünscht ist“, erklärt er. Insbesondere die Dynamik und die taktische Tiefe des Sports seien fesselnd, sagt der geborene Magdeburger, der bereits seit 2011 Teil der Nationalmannschaft ist.
Para Sport auch abseits des Spielfeldes
Nach Abschluss seines Studiums zog es Sauerbier nach Leipzig, wo er neben seiner sportlichen Karriere auch als Talentscout und Projektkoordinator beim Behinderten- und Rehabilitationssportverband Sachsen-Anhalt (BSSA) tätig ist. Seine Aufgabe beim BSSA ist es, vor allem Kinder und Jugendliche mit Behinderung, aber auch Schulen und Vereine für den Para Sport zu begeistern und diese miteinander zu vernetzen. Dass er selbst im Rollstuhl sitzt, ermögliche es ihm, deutlich mehr Authentizität zu vermitteln, sagt Sauerbier. „Als Experte in eigener Sache kann ich oft helfen und andere Perspektiven aufzeigen – im sozialen, aber auch im sportlichen Kontext“, ergänzt der Projektkoordinator. Auch ehrenamtlich setzt sich der Rollstuhlrugby-Spieler für Menschen mit Behinderungen ein. Bei der Fördergemeinschaft für Querschnittgelähmte (FGQ) unterstützt er Betroffene im Rahmen eines Peer-Programms in ihrer neuen Lebenssituation. Da er selbst eine Querschnittlähmung hat, ist es ihm ein besonderes Anliegen, als Ansprechpartner auf Augenhöhe zu agieren und Mut zu machen.
Seine Rolle als Athletensprecher im Rollstuhlrugby-Weltverband (WWR) unterstreicht seine Leidenschaft für den Sport, ebenso engagiert er sich für faire Klassifizierungen. Ein Thema, das ihn in der Vergangenheit auch persönlich betraf. „2011 hatte uns eine vorübergehende Änderung des Klassifizierungssystems die Aufstellung bei der EM durcheinandergebracht. Das hat uns letztlich die Qualifikation für die Spiele 2012 gekostet. Irgendwo ist da ein Traum von mir geplatzt“, sagt der Leipziger und ergänzt: „Je mehr Athleten sich mit dem Thema Klassifizierung auseinandersetzen und ihre Stimme erheben, desto mehr profitiert das gesamte System.“ Ein weiterer Grund für den Sportwissenschaftler, der selbst mit einer Klassifiziererin verheiratet ist, sich auch in seiner Doktorarbeit mit diesem Thema zu beschäftigen. Durch den aktuellen Aufschwung seiner Rollstuhlrugby-Karriere muss die Vollendung jedoch erstmal warten.
Mit Teamspirit nach Paris
Erstmal stehen die Paralympics auf dem Programm. Damit geht der Traum des erfahrenen Rollstuhlrugby-Spielers endlich in Erfüllung. Das Motto: „We are not here to inspire – we are here to win.“ Seit 2008 hatte sich das deutsche Team nicht mehr für die Paralympischen Spiele qualifizieren können. Erst nach einem langwierigen Umbruch, der 2017 begann, kämpfte sich die Mannschaft zurück auf internationales Niveau. Sauerbier, der zu den erfahrensten Spielern des Teams zählt, hat maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen. Seine Vorfreude auf die Spiele in Paris 2024 ist riesig: „Ich habe 15 Jahre darauf hingearbeitet. Wir werden mit Herz und Seele in Paris antreten.“ Die deutsche Rollstuhlrugby-Mannschaft steht in einer schweren Gruppe mit Japan, Kanada und den USA. Sauerbier sieht das Team dabei eher als Außenseiter. „Wir haben nichts zu verlieren, die anderen müssen uns schlagen“, sagt Sauerbier zur Ausgangslage und formuliert als Ziel, die großen Nationen ärgern zu wollen. Als zweiterfahrenster Spieler im Team hinter Christian Riedel ist der 37-Jährige jedoch jetzt schon stolz auf die Entwicklung der Mannschaft: „Das große Ziel ist mit der Qualifikation bereits geschafft. Alles, was jetzt folgt, ist die Kür.“
In seiner persönlichen Rolle im Team möchte der Leipziger sowohl für gute Laune sorgen als auch den Fokus seiner Mitspieler*innen einfordern. Als ehemaliger Junioren-Nationaltrainer hat er bereits einige seiner heutigen Teamkollegen selbst trainiert und kennt seine ehemaligen Schützlinge gut. Marco Herbst habe er über das Peer-Programm sogar das erste Mal überhaupt in eine Sporthalle bekommen, berichtet Sauerbier. Die Entwicklung der einzelnen Spieler und des gesamten Teams beschreibt der Sportwissenschaftler als sehr positiv. „Im Gegensatz zu anderen Nationen, deren Spiel von ein bis zwei Führungsspielern abhängig ist, profitieren wir besonders vom Kollektiv“, sagt Sauerbier, der auch das „Wir-Gefühl“ in der Mannschaft hervorhebt.
Am 29. August ist es dann endlich so weit. Die deutsche Rollstuhlrugby-Nationalmannschaft startet um 19:30 Uhr gegen Japan in die Gruppenphase. Unter Cheftrainer Christoph Werner arbeitet das Team daran, bei den Paralympics in Paris 2024 das Beste aus sich herauszuholen. Und vielleicht Geschichte zu schreiben.
Text: Maxine Herweg / DBS