Aktuelles vom Para Ski alpin im Deutschen Behindertensportverband
Rothfuss vor ihren fünften Paralympics: „Träume von einer Medaille“
„Das Training war richtig top“, schwärmt Andrea Rothfuss über das abschließende Trainingslager vor den Paralympics in Peking, die am 4. März starten. In Watles in Südtirol seien die Bedingungen „richtig bombe“ gewesen, das Hotel lag direkt neben dem Lift, es gab viel Sonnenschein „und ein bisschen Schnee von oben“, wie die erfahrenste Athletin im deutschen Team verrät: „Wir konnten uns alle ein gutes Gefühl abholen. Jetzt ist es aber auch schön, daheim in Ruhe packen zu können und ein bisschen Abstand vom Team zu haben, bevor wir wieder zweieinhalb Wochen zusammen sind. Zuhause kann man den Kopf am besten frei bekommen und noch mal durchatmen.“
Ihre fünften Paralympics nach Turin, Vancouver, Sotschi und PyeongChang werden für die gebürtige Freudenstädterin aus sportlicher Sicht ganz andere. Überhaupt hätte sie 2006 bei ihrer ersten Teilnahme nie daran gedacht, dass es irgendwann fünf sein könnten. „Hätte mir das damals jemand verraten, hätte ich gesagt: Ich will am liebsten so lange wie möglich Ski fahren, am besten bis ans Lebensende“, sagt die Nachwuchs-Para Sportlerin des Jahres 2005, deren Karriere in Turin mit nur 16 Jahren und Silber im Riesenslalom startete: „Aus heutiger Sicht ist es Wahnsinn, dass es schon fünf Spiele sind – und die hatten nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen.“
In Vancouver 2010 gab es jeweils Silber in den technischen und jeweils Bronze in den Speed-Disziplinen. In Sotschi 2014 folgte die Krönung: Neben Silber in der Super-Kombination und im Riesenslalom wurde Rothfuss Paralympics-Siegerin im Slalom – ein ganz besonderer Moment. „Das ist ganz klar die Medaille, die heraussticht. Es war ein wahnsinnig tolles Gefühl, das ich nicht missen möchte“, sagt die Schwarzwälderin, für die aber auch ihre allererste Medaille vom Kinderrennen bei den Vereinsmeisterschaften eine Bedeutung hat. „Das mag unbedeutend anmuten, aber die Medaille liegt auch noch daheim, weil das ein wichtiger Meilenstein war und eine Geschichte dahintersteckt. Ich habe nur den dritten Platz belegt, das hat mich angespornt, besser zu werden – und das ist noch heute so. Rennen, in denen ich selbst nicht zufrieden war oder in denen ich nicht abrufen konnte, was ich draufhabe, haben immer den Ehrgeiz in mir geweckt, mich noch mehr reinzuhängen.“
„Wäre die Medaille, die am meisten Wert für mich selbst hat“
Seit 2017 gehörte Rothfuss dem Zoll Ski Team an und konnte sich dank der Förderung voll auf ihre Karriere als Sportlerin fokussieren. Zu den Spielen in PyeongChang reiste sie als Slalom- und Riesenslalom-Weltmeisterin und peilte ihr zweites Paralympics-Gold an, kam aber mit vier Silber- und einer Bronzemedaille nach Hause. Bei den Weltmeisterschaften 2019 gab es ein ähnliches Ergebnis: Drei Mal Zweite und einmal Dritte war Rothfuss am Ende – es sollten ihre letzten Medaillen bei einem Großevent bleiben. Denn in Norwegen im Januar ging die 32-Jährige in ihrer Karriere erstmals ohne Podestplatzierung nach Hause. Ein neues Gefühl.
„Prinzipiell wirkt das, als würde ich stagnieren, doch das ist überhaupt nicht die Wahrheit“, sagt Rothfuss mit Blick auf ihre Dauerrivalin Marie Bochet aus Frankreich, Ebba Årsjö aus Schweden, Varvara Voronchikhina vom Russischen Paralympischen Komitee, vier starke Kanadierinnen – allen voran die PyeongChang-Siegerin Mollie Jepsen (Super-Kombination) – mindestens eine Chinesin und Teamkollegin Anna-Maria Rieder: „Die Konkurrenz-Situation ist einfach richtig groß, deshalb sind Top-5-Resultate realistisch für mich, das habe ich mir vorgenommen. Vielleicht geht es auch einen Tag mal richtig gut auf, dann ist eine Medaille drin. Davon träume ich, das wäre schön, wenn es klappt. Wenn mir das gelingt, wäre das die Medaille, die am meisten Wert für mich selbst hat.“
Optimistisch stimmt Rothfuss, dass sie auch in Lillehammer mit Platz vier in Abfahrt, Super-G und Super-Kombination sowie Rang fünf in ihrer Lieblingsdisziplin Riesenslalom immer vorne dabei war – und dass sie sich auf Peking deutlich gezielter vorbereitet hat, als je zuvor: „Durch den Zoll kann ich professionell Ski fahren. Mehr Trainingsstunden hatte ich nie. Es geht mir nicht nur ums dabei sein. Ich will eine gute Leistung zeigen, weil mein Fokus seit vier Jahren auf Peking liegt. Das muss aber auch so sein, weil der ganze Para Sport sich weiterentwickelt. Das ist das, was wir wollen, weil der Sport dann spannender für die Zuschauer ist“, betont die 32-Jährige, die auch dem Paralympicskader des Deutschen Behindertensportverbandes angehört.
„Kleine Sachen, die eine gewisse Wohlfühlatmosphäre schaffen“
Doch bis die große Show in Yanqing startet, tankt Rothfuss zuhause Energie, ehe am Freitag der Flieger nach China startet. Immer sei die Angst präsent, „sich noch kurz vor knapp Corona einzufangen“, doch dann freut sich die Para Sportlerin des Jahres 2009 auch darauf, wenn endlich die sportlichen Schlagzeilen dominieren: „Durch die Rennen bei Olympia hat es mich schon gepackt, dass es bei uns auch bald soweit ist. Wir waren noch nie dort. Da haben wir schon genauer hingeschaut und zugehört, was die Skifahrer in den Interviews erzählt haben, um einen ersten Eindruck zu bekommen, was uns dort erwartet. Für mich hat das alles gut gewirkt und meine Vorfreude gesteigert, dass man da selbst bald runterfahren darf.“
Wie es dann genau sein wird, erfahren aber auch die Athletinnen und Athleten erst selbst vor Ort. Zusammen mit den Trainern und Technikern geht es dann an die Feinabstimmung, dass alles passt. Angst vor der Kälte, die den Olympia-Teilnehmenden zu schaffen machte, hat Rothfuss nicht: „In Südkorea war es auch so, dass es bei Olympia klirrend kalt war und wir konnten zwei Wochen später teilweise im T-Shirt rumlaufen, weil der Frühling so schnell kam.“
Und falls es doch kalt ist, sind Rothfuss und ihre Zimmerkollegin Anna-Lena Forster bestens vorbereitet. „Wir sind ja schon älter“, sagt Rothfuss und lacht: „Und haben in unserem Standardsortiment neben einem Wasserkocher und einer Kaffeemaschine für den Kaffee-Klatsch mit den Mädels auch immer ein Heizkissen dabei. Das sind so kleine Sachen, die eine gewisse Wohlfühlatmosphäre schaffen, um gut zu regenerieren und voll parat zu sein für die Wettkämpfe.“
Seit acht Jahren teilt Rothfuss das Zimmer mit Anna-Lena Forster
Auch in Peking wird Rothfuss das Zimmer mit Forster teilen, wie fast immer in den vergangenen acht Jahren. „Wir sind jetzt schon so viele Jahre zusammen auf dem Zimmer, da kennt man halt die Abläufe und Macken des anderen – wir sind ein eingespieltes Team und seit Jahren richtig gut befreundet“, sagt Forster, die an Rothfuss ihre Hilfsbereitschaft schätzt und dass sie immer an alle denkt: „Manchmal hab ich das Gefühl, wir kennen den jeweils anderen fast besser als uns selbst.“
Rothfuss lacht, als Forster im Trainingslager in Watles nach ihr gefragt wird – die beiden hören schließlich fast jedes Interview der anderen mit: „Sie sagt jetzt bestimmt, ich bin eine korrekte Klugscheißerin. Und ich muss sagen: Ich gebe mein unnützes und ungefragtes Wissen gerne weiter und teile es mit anderen, sonst müssen sie dumm sterben.“ Was Rothfuss selbst noch nicht weiß, ist eine Antwort auf die Frage, ob Peking ihre letzten Spiele werden. „Der Gedanke geistert einem manchmal durch den Kopf, aber darüber werde ich erst im Sommer nachdenken – man weiß nie, was die Zukunft bringt.“
Für Andrea Rothfuss werden es zunächst 17 Tage im Paralympischen Dorf in Yanqing im schnellsten Doppelzimmer Para Deutschlands – in dem der Abend meist eher unspektakulär ausklingt: „Wir wünschen uns eine gute Nacht, besprechen, wann wir aufstehen und dann wird das Licht ausgemacht. Gestern haben wir den Bergdoktor angeschaut, mal gucken, ob wir die Serie in China auch empfangen.“
Quelle: Nico Feißt