Aktuelles aus dem Bereich Leistungssport
Kicken kann jeder: Der facettenreiche Fußball im Behindertensport
Die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland zieht aktuell wieder Millionen Fans in ihren Bann. Doch nicht nur das Anfeuern neben dem Platz erfreut sich großer Beliebtheit – mit rund sieben Millionen aktiven Spieler*innen ist der Fußball die hierzulande meistgespielte Sportart. Neben der klassischen Spielform im Elf- gegen-Elf gibt es viele weitere Ausprägungen des Spiels mit dem Ball, die es auch Menschen mit verschiedensten Behinderungen ermöglichen, Fußball zu spielen.
Die wohl bekannteste, weil auch derzeit einzige fußballerische Spielform im paralympischen Bereich, ist der Blindenfußball. In der Sportart, die für Sehbehinderte und Blinde entwickelt wurde, treten je fünf Spieler*innen pro Mannschaft – vier Feldspieler*innen und ein sehender Torhüter bzw. Torhüterin – gegeneinander an. Die Spielfeldgröße beträgt 40 × 20 Meter. An den Längsseiten befinden sich Banden, die den Sportler*innen als Orientierung dienen und ein dynamisches Spiel ermöglichen. Der entscheidende Unterschied zur sehenden Variante ist, dass der Ball Rasseln im Leder eingenäht hat und somit für die Spieler*innen gut hörbar ist. Zudem erhält jede Mannschaft Unterstützung durch einen Guide, der sich hinter dem gegnerischen Tor befindet und den eigenen Spieler*innen akustische Anweisungen zuruft. Die Spielzeit beträgt effektiv 2 × 15 Minuten. Blindenfußball ist eine Sportart, die ausschließlich von Sportler*innen mit einer Sehbehinderung ausgeübt wird. Um im Wettkampf Chancengleichheit herzustellen, tragen alle Spieler*innen mit Ausnahme des Torwarts Dunkelbrillen.
International wartet die Deutsche Blindenfußball-Nationalmannschaft derzeit noch auf ihren ersten großen Erfolg. Ihr bestes Ergebnis war bisher ein dritter Platz bei der EM 2013. Die WM im vergangenen Jahr schloss das Team von Cheftrainer Martin Mania auf Platz elf ab und verpasste damit die erstmalige Teilnahme an den Paralympics. Die Sportart ist seit 2004 im paralympischen Programm vertretenen.
Ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung des Blindenfußballs in Deutschland war die Einführung der Deutschen Blindenfußball-Bundesliga (DBFL) im Jahr 2008. Seitdem wird jedes Jahr ein deutscher Meister ausgespielt. Der Rekordmeister der DBFL ist der MTV Stuttgart mit sieben Meistertiteln, dicht gefolgt vom amtierenden Titelträger, der SSG Blista Marburg, mit sechs Erfolgen. Insgesamt spielen acht Mannschaften unter sich den deutschen Meister aus. In der aktuell laufenden Spielzeit führt das Team von Borussia Dortmund die Tabelle der DBFL an. Neben dem BVB stellen auch weitere aus der Fußball-Bundesliga bekannte Vereine Mannschaften im Blindenfußball, unter anderem der FC Schalke 04, der FC St. Pauli oder Fortuna Düsseldorf.
Der CP-Fußball steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen
Eine weitere Form des Fußballs für Menschen mit Behinderung ist CP-Fußball. Diese richtet sich an Menschen mit einer Hirnschädigung und daraus resultierenden Bewegungsstörungen – auch Zerebralparese genannt. Der Begriff umfasst unterschiedliche Ausprägungen von Bewegungsstörungen, die infolge einer Schädigung des zentralen Nervensystems auftreten. Es wird zwischen der frühkindlichen und der im Laufe des Lebens erworbenen trauma- oder krankheitsbedingten Hirnschädigung (z. B. Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma) unterschieden. Aufgrund dieser vielen verschiedenen Ausprägungen werden die Spieler*innen in die Startklassen FT1 (stärker körperlich beeinträchtigt), FT2 und FT3 (minimal körperlich beeinträchtigt) unterteilt. Gespielt wird im Sieben-gegen-Sieben, weshalb der CP-Fußball international auch als "Football 7-a-Side" bekannt ist. Die Spieldauer beträgt zweimal 30 Minuten. Außerdem gibt es die Regel, dass während einer Partie immer mindestens ein Spieler aus der Klasse FT1 auf dem Feld stehen muss. Ist dies nicht der Fall, muss das jeweilige Team mit einem Spieler weniger agieren.
Der CP-Fußball kann auf eine große paralympische Tradition zurückblicken. Seit den Sommerspielen 1984 in New York/Stoke Mandeville wurde CP-Fußball bei Paralympics ausgetragen. Bei den Spielen im Jahr 2016 in Rio wurde er allerdings vorerst das letzte Mal auf paralympischem Niveau gespielt. National steckt der Sport allerdings noch in den Kinderschuhen. Erst seit dem Jahr 2014 gibt es in Deutschland eine Nationalmannschaft für Fußball-CP unter dem Dach des Deutschen Behindertensportverbands (DBS). Ihre größten Erfolge seither sind ein sechster Platz bei der Europameisterschaft 2018 in den Niederlanden und der Sieg beim 4-Länder-Turnier in Barcelona 2021. In diesem Jahr steht für die Mannschaft von Cheftrainer Conny Fritsch noch die Weltmeisterschaft im spanischen Salou an (6. bis 23. November 2024). Einen geregelten Ligabetrieb gibt es in Deutschland derweil allerdings noch nicht. Der Pool an Nationalspielern liegt aber derzeit schon bei rund 120 Akteuren – Tendenz steigend.
Deutschlands Amputierten-Fußballer spielen bei der WM 2026
Etwas fortgeschrittener ist dort der Amputierten-Fußball. Hier gibt es mit der Deutschen Amputierten-Fußball-Bundesliga bereits seit 2021 einen regelmäßigen Spielbetrieb, an dem momentan vier Teams teilnehmen – den amtierenden deutschen Meister stellt Fortuna Düsseldorf. Der Startschuss für die neue Saison fällt in wenigen Tagen, am 29. und 30. Juni rund um die Public Viewing Arena am Kölner Tanzbrunnen.
Amputierten-Fußball wird ebenfalls im Sieben-gegen-Sieben ausgetragen. Feldspieler müssen eine Beinamputation oder Verkürzung haben. Gespielt wird einbeinig auf Krücken. Der Ball darf nicht mit dem Beinstumpf oder verkürzten Bein gespielt werden. Für Torhüter gilt entsprechend: Beide Beine sind vorhanden, jedoch liegt eine Armamputation oder eine Armverkürzung vor. Der Torwart darf seinen Torraum nicht verlassen und der Ball darf nicht mit dem Armstumpf oder verkürzten Arm gespielt werden. Außerdem dürfen keine Prothesen verwendet werden – die Spielzeit liegt bei 2 × 25 Minuten.
Eine Nationalmannschaft gibt es auch im Amputierten-Fußball schon seit 2014. Das Team hat bereits an mehreren Welt- und Europameisterschaften teilgenommen. Ihr historisch bestes Ergebnis feierte die Nationalmannschaft mit dem siebten Platz bei der jüngsten EM im vergangenen Monat in Frankreich – welches gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026 in Costa Rica ist. Generell ist der Amputierten-Fußball noch eine sehr junge Sportart und gehört auch noch nicht zu den paralympischen Disziplinen, jedoch steht die World Amputee Football Federation (WAFF) bereits im Austausch mit dem International Paralympic Committee (IPC), um in den kommenden Jahren als Sportart ins paralympische Programm aufgenommen zu werden.
Fußball-ID: Einmaliges Projekt in Frechen
Ein in Deutschland einmaliges Fußballprojekt hat die Gold-Kraemer-Stiftung mit ihrem Fußball-ID-Team des Zentrums für Arbeit durch Bildung und Sport (ZABS). Das ZABS ist ein Bildungsangebot, welches es jungen Menschen mit kognitivem Förderbedarf oder Lernschwierigkeiten ermöglicht, einen alternativen Bildungs- und Berufsweg durch den Sport einzuschlagen. Berufssport als Alternative zur klassischen Werkstatt für Menschen mit Behinderung - so lautet der Ansatz des Projekts.
Im Fußball-Zentrum in Frechen finden die aktiven Spieler*innen dafür äußerst professionelle Strukturen vor. Fußball in Praxis und Theorie an fünf Tagen in der Woche – das ist der berufliche Alltag für die ZABS-Kicker. Zu den fußballspezifischen Trainingsangeboten gehören trainingsbegleitende Maßnahmen wie Kraft-, Ausdauer- und Entspannungstraining. Aber auch Teamfähigkeit und Teamgeist sollen den Sportler*innen dort vermittelt werden, um ihre Sozialkompetenz zu stärken.
Für das Training steht eine professionelle Infrastruktur zur Verfügung. Unter anderem wird häufig auf den Trainingsplätzen des 1. FC Köln am Geißbockheim oder in den Krafträumen der Deutschen Sporthochschule trainiert. Der Bildungsansatz des Fußball-Zentrums umfasst auch eine Ausbildung zur Sportassistenz sowie eine angepasste fachpädagogische Begleitung im Bereich der Sportwissenschaft.
Den ID-Fußball gibt es allerdings nicht nur exklusiv in Frechen. Ganz im Gegenteil. Jährlich wird auch hier eine Deutsche Meisterschaft mit Teams aus den verschiedenen Landesverbänden ausgetragen. Anfang Mai spielten neun Auswahl Mannschaften in Bayern um die Meister-Krone. Schlussendlich setzte sich bereits zum vierten Mal in Folge das Team aus Hessen durch. Sie besiegten die Auswahl aus Sachsen-Anhalt im Finale nach Elfmeterschießen mit 4:2.
Beim Werkstätten-Fußball gibt es Titel für Männer und Frauen
Darüber hinaus gibt es für Menschen mit Behinderung noch den Werkstätten-Fußball. In Deutschland gibt es über 700 Werkstätten. Neben der Teilhabe am Arbeitsleben bieten die Werkstätten auch arbeitsbegleitende Maßnahmen an, die die Persönlichkeitsentwicklung der über 310.000 Menschen mit einer Behinderung zum Ziel haben. An fast jedem Werkstattstandort zählt auch Fußball zu diesem Angebot. Viele der Werkstattmannschaften trainieren und spielen das ganze Jahr über und messen sich in verschiedensten Turnieren. Das jährliche Highlight ist aber auch hier die Austragung einer Deutschen Meisterschaft. Seit dem Jahr 2000 wird sie nun schon ausgetragen. Was als „Bundeswettbewerb Fußball der Werkstätten für behinderte Menschen“ begann, trägt seit 2008 den Titel „Deutsche Fußball-Meisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen“.
Das Besondere ist, dass beim Werkstätten-Fußball auch ein separater Meistertitel der Frauen ausgespielt wird. Diesen hat aktuell das Team aus Schleswig-Holstein inne. Bei den Männern kommt der Titelträger mit Hannover ebenfalls aus den nördlicheren Regionen des Landes. Die neuen Deutschen Meister für 2024 werden vom 19. bis zum 22. August an der Sportschule in Duisburg Wedau ermittelt.
Text: Moritz Jonas / DBS
Weitere Informationen zu den einzelnen Sportarten und Projekten findet ihr hier:
Blindenfußball
Fußball-CP
Amputierten-Fußball
Fußball-ID bei der GKS
Werkstätten-Fußball