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Das große Ziel: Bestleistungen zum Jahreshöhepunkt
Schwimm-WM: Deutsches Team hoch motiviert, aber nicht ohne Sorgenfalten
Die Weltmeisterschaften stehen vor der Tür – und damit gut ein Jahr vor den Paralympics eine echte Standortbestimmung für Deutschlands Schwimmerinnen und Schwimmer. Vom 13. bis 19. Juli 2015 kämpft das zwölfköpfige Team von Bundestrainerin Ute Schinkitz um gute Zeiten und Medaillen. Das große Ziel: Bestleistungen zum Jahreshöhepunkt. „Es geht darum, am Wettkampftag der WM auf den Punkt fit zu sein und die persönlichen Zeiten zu verbessern, um damit auch die individuelle Entwicklung zu unterstreichen“, betont Schinkitz und fügt an: „Wir wollen mit Bestleistungen überzeugen. Wenn andere dann noch schneller sind, müssen wir es akzeptieren.“
Rückblick: 2013, bei der WM in Montreal, war die deutsche paralympische Nationalmannschaft mit nur elf Sportlern vertreten. Die Bilanz war stark: Zehn von ihnen erkämpften sich mindestens eine Medaille. Zwei Jahre später ist das Team erneut klein. Doch die Konkurrenz dürfte ein Jahr vor den Paralympics umso größer sein. Und die deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer reisen zwar hoch motiviert, aber nicht ohne Probleme nach Glasgow. „Keine Frage, es wird nicht einfach für uns“, gibt Schinkitz zu. Das hat freilich mehrere Gründe.
Beispielsweise sind mit Kirsten Bruhn, Tanja Gröpper und Vera Thamm (alle Karriereende) drei Sportlerinnen nicht mehr dabei, die 2013 dreimal Gold und zweimal Bronze holten. Aufgrund von Abschlussprüfungen im Rahmen ihrer Ausbildung fehlt auch Elena Krawzow, die vor zwei Jahren ebenfalls mit Gold und Bronze glänzte. Nachwuchshoffnung Emely Telle, 2013 bei ihrer WM-Premiere direkt mit Silbermedaille im Gepäck zurückgereist, ist mit Knieproblemen angeschlagen. Und Niels Grunenberg hat nach fünfwöchiger Verletzungspause im Frühjahr noch Trainingsrückstand. Verena Schott, Paralympics-Zweite in London 2012, ist erst vor wenigen Monaten zum zweiten Mal Mutter geworden, dafür aber schon wieder erstaunlich gut in Form.
Daniela Schulte will eine Medaille, der Nachwuchs eine gelungene Premiere
Medaillenhoffnungen gibt es dennoch im deutschen Team: Rückkehrer Sebastian Iwanow, Torben Schmidtke oder auch Maike Naomi Schnittger und allen voran Daniela Schulte. Die Berlinerin trumpfte bei den Landesmeisterschaften Berlin-Brandenburg Mitte Juni mit einem neuen Weltrekord über 200 Meter Freistil auf und knackte damit ihre alte Bestzeit aus dem Jahr 2012 – trotz hartnäckiger Schulterprobleme in den vergangenen gut anderthalb Jahren. „Ich habe viel ausprobiert, um es in den Griff zu bekommen. Aber es hat sich sehr lange hingezogen“, sagt Schulte und schiebt hinterher: „Jetzt sieht es allerdings so aus, dass ich wieder auf dem richtigen Weg bin. Ich hoffe, dass es weiter bergauf für mich geht.“
Das war zuletzt der Fall. Einen Tag nach der Rückkehr aus dem spanischen Höhentrainingslager schwamm sie direkt zum Weltrekord: „Eigentlich war ich ziemlich kaputt, doch das Trainingslager hatte offenbar einen guten Effekt“, sagt die blinde Schwimmerin und ergänzt: „Ich habe gemerkt, dass ich noch nicht zu alt bin“, grinst die Berlinerin, die sich rechtzeitig vor der WM wieder in toller Verfassung präsentiert. Schwimmt sie in Glasgow also sogar zu Gold? „Ich möchte bei der WM noch schneller sein und auf meinen Hauptstrecken 400 Meter Freistil und 200 Meter Lagen auch eine Medaille holen. Mal schauen, welche Farbe dann dabei herauskommt“, erklärt Daniela Schulte.
Während die 32-Jährige zu den Erfahrenen im Team zählt, feiern Denise Grahl, Henriette Schöttner und Hannes Schürmann ihre WM-Premiere. Die Vorfreude auf das große Erlebnis ist beim Trio entsprechend groß, Motivation und Anspannung ebenso. „Wobei ich noch nicht ganz so aufgeregt bin wie bei der Europameisterschaft im Vorjahr“, berichtet Hannes Schürmann. Der 17-jährige Remscheider (NRW) hat intensiv trainiert, um bei der WM topfit zu sein. „Meine Zeiten werden besser, aber ich bin noch nicht da, wo ich sein möchte“, sagt der ehrgeizige Schwimmer. Immerhin: Seine langwierige Knieverletzung bereitet ihm keine Probleme mehr. „Mir fehlt aber noch etwas das gute Gefühl im Wasser. Vieles geht derzeit über den Kampf.“ Fünf Starts stehen für Hannes Schürmann in Glasgow auf dem Programm, auf seiner Paradestrecke über 400 Meter Freistil möchte er unbedingt ins Finale kommen. „Ich kann aber nicht einschätzen, wie schnell die anderen sind und wie deren Form ist. Es wird schwierig, aber das Finale ist mein Ziel.“
Schinkitz: "Wir brauchen das Know-how des DSV"
Ihr Ziel verpasst haben hingegen einige andere Nachwuchstalente, die die erforderlichen Normen für die WM-Teilnahme nicht erfüllen konnten. „Die Leistungsentwicklung ist zwar da, aber es reicht derzeit noch nicht aus, um im Weltmaßstab mithalten zu können“, erklärt Ute Schinkitz – zumal das Weltniveau in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist und immer schnellere Zeiten notwendig sind, um es überhaupt zu den großen Turnieren zu schaffen. Das Problem sei, so die Bundestrainerin, „dass unsere Sportlerinnen und Sportler meist zu spät mit kontinuierlichem Training beginnen“. Somit fehle es häufig an den Voraussetzungen für spätere Spitzenleistungen. „Wir brauchen das inklusive Training von Beginn an“, appelliert Schinkitz, „vom Schwimmen lernen über die einzelnen Leistungsgruppen der Vereine und den Eliteschulen des Sports hin zum paralympischen Spitzensport“.
Parallelstrukturen bei Schwimmern ohne Behinderung auf der einen Seite und mit Handicap auf der anderen Seite seien aus Platz- und Personalmangel schwierig umsetzbar und zum Teil auch nicht notwendig. Zwar benötige es auch spezielle Paralympische Stützpunkte, mehr Zusammenarbeit sei allerdings trotzdem sinnvoll und wichtig. „Wir brauchen auch das Know-how des Deutschen Schwimmverbandes“, betont die Bundestrainerin der paralympischen Nationalmannschaft und fordert: „Es gibt sicherlich behinderungsspezifische Ausnahmen und Besonderheiten, doch die Bereitschaft aller Beteiligten sollte vorhanden sein. Ich bin überzeugt, dass bestehende Ängste und Verunsicherungen gemeinsam überwunden werden können.“ Es wäre ein wichtiges Signal und ein bedeutender Schritt, damit die deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer mit Behinderung nicht den Anschluss im Weltmaßstab verlieren – nicht nur hinsichtlich der anstehenden Weltmeisterschaft in Glasgow.
Das WM-Aufgebot:
Daniela Schulte, Niels Grunenberg, Emely Telle, Verena Schott (alle PSC Berlin), Denise Grahl (Hanse SV Rostock), Torben Schmidtke, Maike Naomi Schnittger (beide SC Potsdam), Sebastian Iwanow, Tobias Pollap, Hannes Schürmann (alle SG Bayer Leverkusen), Annke Conradi (SC Regensburg) und Henriette Schöttner (USV Halle).