Aktuelles vom Fußball ID
Weiterentwicklung auf und neben dem Fußballplatz
Ein Vorzeigeprojekt: Das Fußball-Leistungszentrum der Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen
Erst wird gemeinsam gefrühstückt, dann heißt es Tasche packen und auf geht’s zum Kölner Geißbockheim. Dort, wo sonst die Bundesliga-Profis des 1. FC Köln trainieren, laufen und dribbeln regelmäßig auch die Kicker des Fußball-Leistungszentrums Frechen (FLZ) über den Platz. „Das macht großen Spaß. Für diejenigen, die noch nicht so lange dabei sind, ist es etwas Besonderes. Für mich ist es inzwischen normal“, sagt Michel Reuter, aktuell einer von vier Auswahlspielern des FLZ in der deutschen Nationalmannschaft für Fußballer mit intellektueller Beeinträchtigung.
Der 24-Jährige gehört fast schon zu den alten Hasen im FLZ. Seit Ende 2013 ist er dabei – und damit wie seine 15 Mitstreiter gewissermaßen sogar Fußball-Profi. Doch so weit würde Michel Reuter nicht gehen. „Mein Beruf ist momentan schon Fußball“, sagt er, „aber wir lernen auch viele andere Dinge, die wichtig sind“. Die Gold-Kraemer-Stiftung hat dieses deutschlandweit einmalige Projekt ins Leben gerufen. „Ziel war es, professionelle Trainingsbedingungen auch für Menschen mit geistiger Behinderung zu schaffen“, erklärt Malte Strahlendorf, der zusammen mit dem ehemaligen Nationalcoach Willi Breuer das Pilotprojekt sportlich leitet. Was anfangs noch schleppend verlief, wurde 2013 auf neue Beine gestellt.
„Wichtig ist vor allem auch die persönliche Entwicklung abseits des Fußballplatzes“
Das Fußball-Leistungszentrum Frechen ist als Außenarbeitsplatz der Gemeinnützigen Werkstätten Köln GmbH (GWK) ein offizielles Werkstattangebot für behinderte Menschen (WfbM) – mit dem Berufsbild Fußball. Weitere Kooperationspartner sind der Landschaftsverband Rheinland und die Bundesagentur für Arbeit. „Es geht dabei nicht nur um die sportliche Leistung, sondern vor allem auch um die persönliche Entwicklung außerhalb des Fußballplatzes“, betont Strahlendorf. Teamgeist, Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit, Selbstbewusstsein sowie die Vermittlung von berufsbezogenen und sozialen Schlüsselqualifikationen, die eine selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben und an der Gesellschaft ermöglichen – das sind neben der Verbesserung der Fähigkeiten am runden Leder die Vorhaben des Vorzeigeprojektes.
Michel Reuter hatte kürzlich ein Vorstellungsgespräch für ein Praktikum in einem Juweliergeschäft der Kraemer-Juwliergruppe. „Das ist ganz gut gelaufen“, berichtet der 24-Jährige. Wie alle anderen Teilnehmer im FLZ weiß er, dass seine Zeit als Fußballer irgendwann enden wird. „Da gilt es, Netzwerke zu stricken und es vielleicht sogar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen“, sagt sein Betreuer Norbert Buchholz, der als Pädagoge den Spieler außerhalb des Fußballplatzes bei allen Fragen des täglichen Lebens unterstützt. Zweimal im Jahr steht daher ein Praktikum in einem externen Betrieb auf dem Programm. Weitere wertvolle Erfahrungen sammelt Reuter in der Wohngemeinschaft gemeinsam mit drei Teamkollegen. Schließlich muss auch der Haushalt von den Jungs erledigt werden. Dafür gibt es unter anderem Putzpläne. Im Frühjahr 2014 ist der Kölner nach Frechen gezogen. „Die Wege sind kürzer und ich kann länger schlafen“, sagt der Linksfuß schmunzelnd.
Volles Programm bis zum Sommer und ein Highlight im September
Die Erholung braucht Michel Reuter allerdings auch. Neben den täglichen Einheiten beim FLZ spielt er in der Mannschaft der Gemeinnützigen Werkstätten Köln, in der Landesauswahl NRW, in der Nationalmannschaft – und seit Sommer 2015 auch beim Horremer SV als Stammspieler. „Nach einem Probetraining hat es geklappt“, sagt Reuter, der damit den Schritt in den Regelbetrieb des Amateur-Fußballs geschafft hat. Dennoch ist es für ihn ein straffes Programm. „Bis zum Sommer habe ich kein freies Wochenende und bin immer unterwegs.“ Und dann steht ja noch im September die Europameisterschaft in Paris auf dem Programm. „Natürlich will ich dabei sein, aber das entscheidet ja der Trainer“, so Reuter. Nationalcoach ist übrigens der frühere Bundesliga-Profi Jörg Dittwar.
„Die Nationalmannschaft ist für die Jungs ein toller Bonus, aber es ist nicht das primäre Ziel unseres Projekts, möglichst viele Spieler dort unterzubringen“, erklärt Malte Strahlendorf und fügt an: „Wir wollen dazu beitragen, sie zu selbstständigen jungen Männern zu entwickeln.“ Das Frechener Fußball-Leistungszentrum – nach gut zweieinhalb Jahren ist es schon eine Erfolgsgeschichte. Aus anfangs nur zwei Teilnehmern sind inzwischen 16 geworden. „Und wir wollen es auf 24 ausweiten“, sagt Strahlendorf. Dafür steht im Laufe des Jahres auch der Umzug in ein neues Gebäude an mit 14 Wohnungen, Büros und einem Aufenthaltsraum. Und die jungen Kicker zwischen derzeit 18 und 30 Jahren kommen längst nicht mehr nur aus dem Großraum Köln, sondern auch aus Frankfurt, Hannover oder Hamburg.
Immer wieder kommen „Neuzugänge“ hinzu. „Wir gucken, dass sich die Jungs schnell bei uns wohlfühlen und wir gemeinsame Sachen machen. Man merkt dann schnell, dass sie mehr reden und Quatsch mit uns machen“, sagt Michel Reuter. So wird Teamfähigkeit praktisch gelebt. Es ist nicht die einzige positive Tatsache an diesem erfolgreichen Vorzeigeprojekt. Bald könnte es auch eine Inklusionsmannschaft geben, angeschlossen an einen bestehenden Fußballverein in der Nähe des FLZ. „Das wäre dann Inklusion im Regelspielbetrieb“, erklärt Malte Strahlendorf – und freut sich auf die weitere spannende Entwicklung des Fußball-Leistungszentrums in Frechen.
Weitere Informationen auf der Internetseite des Fußball-Leistungszentrums Frechen.