Aktuelles vom Blindenfußball
Martin Mania: „Am Ende gilt auch bei uns: das Runde muss ins Eckige“
Martin Mania ist seit Januar 2021 Trainer der Blindenfußball-Nationalmannschaft. Vom 24. Juni bis zum 1. Juli 2023 bereitet sich der 30-Jährige mit seinem Team beim World-Grand-Prix France 2023 in Straßburg auf die im August anstehende WM in Birmingham (Großbritannien) vor.
DBS: Fußballspielen, ohne etwas zu sehen – wie kann man sich das vorstellen, welche Besonderheiten gibt es zu beachten?
Martin Mania: Es gibt wohl keinen komplexeren und schnelleren Sport, den ein blinder Mensch ausüben kann. Das Spielfeld wird seitlich durch Banden begrenzt, sowohl zur Orientierung für die blinden Spieler als auch um den Spielfluss hochzuhalten. Der Ball hat Rasseln, dadurch ist er hörbar. Beim Dribbling führen die Spieler den Ball mit einer Art Pendelbewegung zwischen den Füßen hin und her, so hat man permanent Rückmeldung vom Ball. Außerdem muss jeder Spieler, der den Ball sucht oder den Ballführer attackiert, das Wort „Voy“ rufen. Das ist spanisch und bedeutet: ich komme. Darüber hinaus ist der Sport inklusiv, denn der Torwart ist sehend, spielt vollumfänglich mit all seinen Fähigkeiten mit und guidet im Verteidigungsdrittel. Hinzu kommt noch ein Guide hinter dem gegnerischen Tor, der Orientierung und Instruktionen im Angriffsdrittel gibt und der Trainer hinter der Bande, der das gleiche im Mitteldrittel macht. Torhüter, Trainer und Guide werden auch als die „Triangle of Noise“ bezeichnet. Aber am Ende ist es auch bei uns wie im Fußball: das Runde muss ins Eckige.
DBS: Neben deinem Beruf als Gymnasiallehrer bist du als Cheftrainer der Blindenfußball-Nationalmannschaft tätig. Wie bist du dazu gekommen?
Martin Mania: Während meines Studiums in Marburg hat mich ein Kommilitone Ende 2016 gefragt, ob ich schon mal etwas von Blindenfußball gehört hätte und ich solle doch mal vorbeikommen. Als ich die Jungs dann habe kicken sehen, war ich sofort fasziniert. Danach habe ich fest im Bundesligateam der SF BG blista Marburg als Guide und Trainer begonnen, 2018 nahm mich der damalige Bundestrainer Peter Gößmann zusätzlich in sein Trainerteam als Guide der Nationalmannschaft auf. Nachdem er Ende 2020 in den Ruhestand gegangen ist, habe ich mich beim DBS auf den Posten des Bundestrainers beworben und wurde vom Verband am Ende ausgewählt.
DBS: Was hat sich seit deinem Amtsantritt verändert?
Martin Mania: Der aktuelle Weg unserer Mannschaft hat schon unter Peter Gößmann begonnen, er hat für diesen Sport und die Nationalmannschaft unglaublich viel geleistet. Ich tausche mich noch heute regelmäßig mit ihm aus, er hat mich damals dazu geholt und ich habe die ersten Jahre viel von ihm lernen können. Ich denke, wir haben inzwischen eine professionelle Struktur und Mentalität sowohl in der als auch um die Mannschaft herum geschaffen. Das betrifft das Trainerteam und die Art und Weise der Zusammenarbeit sowie die Trainingsarbeit und -gestaltung. Die Mannschaft ist eine großartige, geschlossene Einheit, zudem hungrig und entwicklungsfähig. Die Jungs ziehen voll mit. Was sie neben ihrem Beruf Woche für Woche leisten, ist bemerkenswert. *Das alles geht aber nur, wenn die Strukturen drum herum passen und hier haben wir Dank der Kooperation von DBS und der DFB Stiftung Sepp-Herberger einen großen Schritt machen können und in einigen Bereichen das Tempo der Entwicklung beschleunigen können.
DBS: Neben der Förderung durch den Deutschen Behindertensportverband und Nationales Paralympisches Komitee e.V. und der DFB-Stiftung Sepp Herberger wird die Nationalmannschaft in diesem Jahr durch die Heinz-Kettler-Stiftung unterstützt. Wie bewertest du dieses Engagement?
Martin Mania: Das ist wirklich großartig. Ich möchte mich im Namen meiner Mannschaft bei allen Beteiligten bedanken, die mitgewirkt haben, dass das möglich wurde. Dank der Heinz-Kettler-Stiftung werden wir in diesem für uns so wichtigen Jahr in Vorbereitung auf die im August stattfindende Weltmeisterschaft am World-Grand-Prix in Straßburg Ende Juni teilnehmen. Dort messen sich acht der besten Mannschaften der Welt – einen besseren Wettkampf kann man nicht bekommen. Dieses Event ist somit ein wichtiges Puzzlestück unserer Vorbereitung. Wir alle würden uns sehr freuen, wenn hieraus eine langfristige Partnerschaft entstehen kann.
DBS: Der World-Grand-Prix in Straßburg ist der Härtetest für die anstehende Weltmeisterschaft in Birmingham (Großbritannien). Was habt ihr euch vorgenommen für die WM?
Martin Mania: Wir werden dann erst zum zweiten Mal überhaupt in der Geschichte des deutschen Blindenfußballs unser Land bei einer WM vertreten. Wir gehen unseren Weg konsequent weiter und wollen unseren Fußball gegen jedes Team auf den Platz bringen. Am Ende sind die Paralympics in Paris 2024 ein Lebenstraum der ganzen Mannschaft und drei Tickets werden noch über die WM ausgespielt – eines davon würden wir uns zu gerne schnappen.
DBS: Zum Abschluss: Warum sollte sich jeder unbedingt mal Blindenfußball anschauen?
Martin Mania: Das ist eine so unfassbar schnelle, dynamische und komplexe Sportart mit extrem vielen Torraumszenen. Die Kombination aus Blinden und Sehenden, die als eine Einheit auf dem Platz stehen, ist einzigartig. Jedes sehbehinderte Kind sollte die Möglichkeit bekommen und nutzen, diesen Sport auszuprobieren. Und auch viel mehr Sehende sollten den Weg zum Blindenfußball finden.
Das erste Gruppenspiel der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft gegen England wird am 24. Juni um 19 Uhr angepfiffen, die weitern Gruppengegner sind Japan und die Türkei. Mehr Infos zum Turnier und den gesamten Spielplan findet ihr hier.
Hier könnt ihr die Spiele live verfolgen.
Der deutsche Kader für den Grand Prix in Straßburg:
Tor: Sebastian Themel (38 / SF BG blista Marburg), Nick Leidecker (24 / Borussia Dortmund)
Feld: Hasan Altunbas (32 / Borussia Dortmund), Mulgheta Russom (44 / MTV Stuttgart), Hasan Koparan (35 / Borussia Dortmund), Emilio Eichler (16 / Hertha BSC Berlin), Alex Fangmann (38 / MTV Stuttgart), Jonas Fuhrmann (22 / Borussia Dortmund), Taime Kuttig (30 / SF BG blista Marburg), Alican Pektas (30 / BG SF blista Marburg), Jonathan Tönsing (23 / FC St. Pauli)
Cheftrainer: Martin Mania
Torwarttrainer: Enrico Göbel
Guide: Jonas Dawid
*Die DFB-Stiftung Sepp Herberger und der Deutsche Behindertensportverband (DBS) sind seit 2021 stolze Kooperationspartner der deutsche Blindenfußball-Nationalmannschaft. Die Stiftung wurde 1977 ins Leben gerufen und hat zum Ziel, soziale und karitative Projekte zu fördern und zu unterstützen.