Aktuelles vom Blindenfußball

Blindenfußball-Bundesliga: Stuttgarter dominieren zum Auftakt

Weder Tricks noch Spezialeffekte aus Hollywood sind im Spiel. Wenn die blinden Bundesligaspieler des MTV Stuttgart anfangen, übers Feld zu sprinten, zweifelt der sehende Beobachter an der eigenen Wahrnehmung. Glaubt nicht, was er da sieht. Auf einem 20 mal 40 Meter großen Platz, über den sich acht Feldspieler bewegen, setzen Trainer Ulrich Pfisterers couragierte Männer immer wieder zum vollen Sprint an. Scheinbar ohne Rücksicht auf Verluste. Bei Sololäufen liegt der Ball eng am Fuß, die Körpertäuschungen würden so manchen sehenden Gegner ins Leere grätschen lassen. Am Samstag startete die Blindenfußball-Bundesliga (DBFL) in Barsinghausen in ihre dritte Saison – und es war eine spektakuläre, eine inspirierende Veranstaltung.

"Noch gibt es enorme Leistungsunterschiede in der Liga", sagt der 58-jährige Pfisterer, Sportlicher Leiter beim Meister aus Stuttgart und gleichzeitig Trainer der deutschen Nationalmannschaft. „Momentan stehen wir national an der Spitze der Entwicklung, wir denken schon, dass wir den Titel erfolgreich verteidigen können.“ Im ersten Punktspiel gegen den LFC Berlin reichte dem MTV eine starke zweite Halbzeit zum ungefährdeten 4:1-Sieg. Pfisterer arbeitet als Diplom-Sportlehrer an der Nikolaus-Pflege in Stuttgart. 1972 wäre der Juniorenspieler von Hertha Zehlendorf um ein Haar für das deutsche Olympia-Aufgebot nominiert worden, doch ein gewisser Uli Hoeneß war einen Tick besser. Drei Jahrzehnte lang lebte er danach in Australien, schon „down under“ beschäftigte er sich mit dem Blindenfußball. Den ungeheuren Mut, den seine Spieler demonstrieren, nennt er die "Fähigkeit, sich im freien Raum zu bewegen."

Verteidiger wie Kamikaze-Piloten

Die Spieler der gegnerischen Teams an diesem Samstag bevorzugen den schnellen Watschelgang, manchmal den verschärften Dauerlauf, den Ellenbogen nach vorne abgewinkelt. Die Stuttgarter Verteidiger stürzen sich dagegen auf den Ballführenden wie Kamikaze-Piloten. Blinde Kamikaze-Piloten. Das Angreifen des Ballführenden kündigt der Blindenfußballer mit dem Ruf "Voy" (Spanisch: „Ich komme“) an. Den Balllauf hören die Spieler, weil eine Rassel im Spielgerät steckt. Der sehende Torwart und Guides am Spielfeldrand helfen durch Zurufe bei der Orientierung.

„Angst darf man bei unserem Sport nicht haben“, sagt Sven Schwarze. Der 31-jährige Stuttgarter ist Nationalspieler. Seit dem achten Lebensjahr litt er an einer Sehschwäche, vor fünf Jahren kam es zu einer Ablösung der Netzhaut. Heute sieht Sven Schwarze nichts mehr. Amaurose lautet der medizinische Fachausdruck für völlige Erblindung. In der Liga zählt Schwarze damit zu den B1-Blinden. „Es gibt Spieler, die nach einer heftigen Kollision erst nicht mehr rennen und dann ganz aufhören. Man muss das halt wegstecken können“, sagt er. Die Spieler tragen schützende Schaumstoffringe um den Kopf. Bei den Spielern der gegnerischen Mannschaften sind die Ringe dick gepolstert. Die Stuttgarter tragen kleine Gummischützer. Nie würde sich ein Stuttgarter ängstlich an der Bande entlang tasten, um das Feld zu betreten. Im Scherensprung drüber, so geht das. Kein Mitleid von anderen, für sich selbst keine Grenzen, so scheint das Stuttgarter Motto zu lauten.

„Die Jungs sind hart im Nehmen“, sagt Robert Voigtsberger, Fußball-Koordinator des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Wobei Blindenfußball keine Männersache ist. Die Mannschaften dürfen gemischt spielen, bei einigen Teams stehen Frauen im Team. 470.000 Mitglieder hat der DBS und ist damit einer der größten Verbände für den Behindertensport weltweit. „Die Stuttgarter“, sagt Voigtsberger, „sind der FC Bayern München des Blindenfußballs.“ Im Juni reist Ulrich Pfisterer mit seiner Mannschaft nach Griechenland, wo dieses Jahr die Champions League ausgespielt wird. Vorher will er den Titel in der DBFL gewinnen.

Uwe Seeler als Schirmherr

Ausgerichtet wird die DBFL von Beginn an in Kooperation zwischen der DFB-Stiftung Sepp Herberger, dem Deutschen Behindertensportverband e.V. sowie dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.. Schirmherr der Liga ist DFB-Ehrenspielführer Uwe Seeler, der sich bereits seit Gründung der Herberger-Stiftung im Jahr 1977 als Kuratoriumsmitglied und Botschafter für die älteste deutsche Fußballstiftung und deren Projekte engagiert.

Getreu ihrem Stiftungsleitziel, die integrative Kraft des Fußballs für die Gesellschaft zu nutzen, möchte die Sepp Herberger-Stiftung durch ihr Engagement blinden und sehbehinderten Menschen auch den Zugang in die mehr als 26.000 DFB-Mitgliedsvereine ermöglichen. Karl Rothmund, der zuständige DFB-Vizepräsident für Sozial- und Gesellschaftspolitik und in dieser Funktion auch Vorsitzender des Vorstands der Sepp Herberger-Stiftung, sagt: „Für viele blinde und sehbehinderte Menschen ist Fußball die größte Leidenschaft. Sie verfolgen die Begegnungen der Bundesliga live in den Stadien und spielen selbst aktiv in immer mehr Mitgliedsvereinen des DFB. Eine neue und interessante Facette der gesellschaftlichen Integration durch Fußball, die wir sehr gerne unterstützen.“


Meisterlich: Champion Stuttgart (weiße Trikots) im Duell mit München
Nach den Zahlen der WHO (World Health Organisation) leben in Deutschland rund 160.000 blinde Menschen. Jedes Jahr erblinden in Deutschland 10.000 Menschen, fast die Hälfte von ihnen ist 80 Jahre oder älter. Fußball ist für viele dieser älteren Menschen kein zweckmäßiges Angebot mehr. "Aber auch wenn die Zahl der Aktiven noch gering ist, erfüllt der Blindenfußball eine wichtige Funktion, denn er zeigt eindrucksvoll, wozu Menschen mit einer Behinderung fähig sind", erklärt Voigtsberger. "Das Image der Blindheit wird so verändert, das Verhältnis zwischen Blinden und Sehenden normalisiert sich dadurch. Im vergangenen Jahr hatten wir mit der Blinden-Bundesliga eine tolle mediale Präsenz." Auch in Barsinghausen drehten Kamerateams von Spiegel TV, dem NDR, Sat.1 und RTL.

Pfisterer ergänzt: "Es ist doch toll, wenn am Arbeitsplatz jemand am Montag sagt, dass er in der Kreisliga drei Tore gemacht hat, und sein blinder Kollege antworten kann: 'Ich in der Bundesliga auch'." Das intensive Training hat einen weiteren Effekt, berichtet Pfisterer: "Meine Spieler werden auch im restlichen Leben immer mobiler und selbstständiger. Das Hören ist wichtig, aber der Körper hat dazu weitere Rezeptoren. Manche gehen ohne Stock durch die Gegend." Ohne Stock, ohne Tricks und ohne Spezialeffekte.

Die Ergebnisse des Saisonauftakts

Samstag, 13. März:
SG Saarbrücken/Braunschweig - VfB Gelsenkirchen 0:4
MTV Stuttgart - LFC Berlin 4:1
Viktoria Dortmund - FC St. Pauli 4:0
SSG blista Marburg - BFW Würzburg 10:0
LFC Berlin - Chemnitzer FC 6:0

Sonntag, 14. März:
BFW Würzburg - Viktoria Dortmund 0:3
Chemnitzer FC - SG Saarbrücken/Braunschweig 0:3
SSG blista Marburg - MTV Stuttgart 0:4
FC St. Pauli - VfB Gelsenkirchen 0:2

Quelle: www.dfb.de/ Text: Thomas Hackbarth

Weitere Informationsquellen:
http://www1.ndr.de/flash/mediathek/mediathek.html?broadcastid=1023
http://www.rtlregional.de/player.php?id=9980&r=3&seite=0
http://tv.dfb.de/index.php?view=1818
http://tv.dfb.de/index.php?view=1821