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Die Lust am Wettkampf

Mit ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ will die Deutsche Behindertensportjugend im Deutschen Behindertensportverband e.V. den eigenen Nachwuchs fördern. Dabei ist der Bundeswettbewerb der Schulen – am vergangenen Wochenende im Bundesleistungszentrum in Kienbaum ausgetragen – weit mehr als eine Kaderschmiede. Für viele Kinder Jugendliche mit Behinderung ist es eine der wenigen Gelegenheiten überhaupt, sich mit anderen sportlich zu messen.

Berlin. Sechs Basketball-Spiele innerhalb von 24 Stunden haben ihre Spuren hinterlassen. Die Haut an Sebastian Stangners linker Hand wirft Blasen, zwei Finger hat er bereits getapt. „Das kommt vom Bremsen“, sagt der 15-Jährige und führt vor, was er damit meint. Mit zwei kräftigen Schüben bringt er seinen Sport-Rollstuhl in Fahrt, lenkt ihn mit einem leichten Griff an den Reifen nach links und stoppt ihn schließlich, indem er nochmal kraftvoll zupackt. „Das tut mir gar nicht mehr weh, das gehört halt dazu“, sagt er und lacht, „ich könnte jetzt auch noch weiterspielen“.

Sebastian Stangner aus Weiterstadt gehört zum Rollstuhl-Basketball-Team der Erich Kästner-Schule in Langen. Seine Hüfte und seine Füße sind von Geburt an geschädigt, er bewegt sich mühsamer und langsamer als andere. 120 Kinder und Jugendliche mit körperlicher Behinderung aus Offenbach und Umgebung gehen in Langen zur Schule, elf davon nahmen am vergangenen Wochenende an ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ im Bundesleistungszentrum Kienbaum teil. Die Veranstaltung wurde nach zwei Pilotveranstaltungen zum ersten Mal offiziell unter dem Dach der Deutschen Schulsportstiftung  ausgetragen, mit rund Kindern und Jugendlichen mit Behinderung aus zwölf Bundesländern in den Disziplinen Rollstuhl-Basketball, Schwimmen, Leichtathletik und Tischtennis. „Jugend trainiert für Paralympics bildet einen wichtigen Baustein unserer Nachwuchsförderung“, sagt Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes.

Für Schüler wie Sebastian geht es hier noch um viel mehr. Seine Mannschaft hat bereits an den Pilot-Veranstaltungen 2010 und 2011 teilgenommen, für ihn ist es der erste Start bei ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ im Rollstuhl-Basketball. Durch die Schule habe er vor zwei Jahren mit dem Sport angefangen, sagt er. In einem Verein hat Sebastian allerdings nie gespielt. Denn anders als im Nachwuchsbereich für Kinder ohne Behinderung, finden jene mit Behinderung oft nur an ihren Schulen die entsprechende Infrastruktur um Sport zu treiben. Gerade wenn sie wie Sebastian eine Förderschule besuchen.

Andrew Krutsch ist Konrektor an der Erich Kästner-Schule, er sagt: „Für Kinder mit Behinderung ist die Schule oft der einzige Ort, an dem sie Sport machen, auch weil hier der Wohnortnachteil ausgeglichen wird.“ Wie im Fall von Sebastian könnten viele Eltern die Fahrt zu den oft weit entfernten Vereinen nicht stemmen. Zwischen Sebastians Wohnort Weiterstadt und Frankfurt, wo es beim Rollstuhlsportclub mehrere Basketball-Mannschaften gibt, liegen 30 Kilometer. Vom Klassenzimmer zur Schul-Turnhalle sind es nur einige Meter. Hier, sagt Sebastian, spiele er jeden Tag in der Pause. Zudem ist an der Erich Kästner-Schule die erste Talentfördergruppe an einer Förderschule im Bundeslandes Hessen eingerichtet, einmal wöchentlich kommt Trainer Michael Ortmann aus Frankfurt nach Langen.

Sebastians Beispiel steht stellvertretend für viele andere. Seinem Teamkameraden Salvatore Schleichhardt aus Offenbach bescheinigt Bernhard Knopp, Trainer der Schulmannschaft, durchaus die Qualitäten zum Junioren-Nationalspieler. Auch Salvatore würde gerne in Frankfurt spielen. „Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bräuchte ich aber um die zwei Stunden, um zum Training zu kommen. Ich habe schon einmal versucht, bei der  Krankenkasse einen Fahrdienst zu beantragen, bin aber damals gescheitert“, sagte er. Ende dieses Schuljahrs muss Salvatore für seine weitere Ausbildung die Schule verlassen. Wie es danach mit dem Rollstuhl-Basketball weiter gehen soll, weiß er noch nicht.

Dieses Problem erkennt auch Verena Bentele, ehemalige Wintersportlerin und zwölffache Paralympics-Siegerin. Am Rande der Auftakt-Veranstaltung von ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ am vergangenen Freitag sagte sie: „Der Behindertensport ist im Vergleich zu vielen olympischen Sportarten nicht so gut organisiert, die Einbindung in Trainingsgruppen ist für junge Sportler schwierig. Es ist sehr viel Engagement von Seiten der Eltern wichtig, um einem Kind überhaupt regelmäßigen Sport im Verein zu ermöglichen.“ Gerade für Einzelsportler fehle es zudem in der unmittelbaren Umgebung oft an Konkurrenz, um sich mit anderen zu messen. „Ich war damals in meiner Stadt die Einzige, da hätte ich ja gegen niemanden antreten können“, sagte sie. Die Veranstaltung ‚Jugend trainiert für Paralympics‘ kann und soll hier in Zukunft eine Lücke schließen. „Viele fangen schließlich mit dem Sport an, weil sie irgendwann mal in den Wettkampf wollen“, sagte Bentele.

Sebastian und seine Mannschaft belegen in Kienbaum am Ende Platz zwei und fahren mit der Silbermedaille zurück nach Langen. Wenn er wieder zuhause sei, wolle er nochmal den Korbleger üben, sagt er. „Meine Würfe sind nie reingegangen, das muss noch besser werden.“ Anders als sein Teamkamerad Salvatore Schleichardt wird er dafür noch genügend Zeit haben, denn Sebastian ist erst im 8. Schuljahr. An der Kästner-Schule werden ihm vermutlich noch zwei Jahre bleiben, in denen er jeden Tag in der Turnhalle trainieren kann.