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Fußball ID: Willi Breuer im Interview

Willi Breuer
Willi Breuer © DBS

Schon von 1992 bis 2007 besetzte Willi Breuer das Amt des Cheftrainers der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft ID. Seit Anfang Juni stellt er sich erneut dieser Aufgabe und berichtet in einem Interview über die Ziele der Nationalmannschaft und das Konzept und die daraus entstehenden Chancen des Fußball-Leistungszentrums für Athleten mit intellektueller Beeinträchtigung in Köln. 

Redaktion (Red.): Herr Breuer, mit Ihrer Rückkehr auf den Trainerposten der Nationalmannschaft ID betreten Sie vertrautes Terrain. In Ihrem Gepäck haben Sie aber viel Neues dabei...

Willi Breuer (WB): In den zurückliegenden zehn Jahren ist sehr viel passiert. Wir haben 2006 aus der WM im eigenen Land sehr viel Euphorie in den Alltag mitgenommen. Der Fußballsport von Talenten mit einer intellektuellen Beeinträchtigung ist in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Was uns damals aber gefehlt hat, waren Strukturen im Verbands- und Vereinswesen, die wir dringend brauchen, um den Fußballsport in Deutschland für Menschen mit Behinderung zu öffnen. In der Zwischenzeit hat sich ein starkes Netzwerk entwickelt, das heute ein ganz neues Förderkonzept bietet.

Red.: Sie weisen auf das Fußball-Leistungszentrum (FLZ) Frechen hin, wo Sie zusammen mit Ihrem  Trainerkollegen Malte Strahlendorf die Verantwortung tragen.

WB: Ja, 2013 hat die Gold-Kraemer-Stiftung mit dem Fußball-Leistungszentrum Frechen erstmals in Deutschland ein Förderkonzept entwickelt, das Fußballtalenten mit einer geistigen Behinderung ein professionelles Training im Rahmen einer Anstellung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung ermöglicht. Durch die Kooperationspartner Bundesagentur für Arbeit und Landschaftsverband Rheinland ist es jetzt für junge Talente also möglich, durch den Schwerpunkt „Fußball“ als Bildungsqualifikation neue Wege in eine selbstständige berufliche Zukunft zu gehen. Zum Konzept gehört vor allem auch eine intensive pädagogische und berufspraktische Begleitung. Die Teilnehmer des FLZ erhalten parallel zur sportliche Ausbildung über die Zusammenarbeit mit den Gemeinnützigen Werkstätten Köln vielfältige Berufspraktika als Orientierung für die berufliche Zukunft nach der aktiven Zeit als Fußballer.

Red.: Der Fußball als Mittel zum Zweck, ein selbstständiges Leben zu führen?

WB: Genau so ist es. Das Projekt holt die Teilnehmer genau dort ab, wo sie ihre Leidenschaft haben, nämlich beim Fußball, und wo sie die meiste Unterstützung brauchen, nämlich bei der Entwicklung ihrer gesamten Persönlichkeit. Dazu zählen nun einmal alle die Dinge, die zum Erwachsenwerden dazugehören: zum Beispiel Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Teamfähigkeit.

Red.: Wie zahlt das Konzept des FLZ auf den Anspruch ein, den Fußball in Deutschland für Menschen mit Behinderung zu öffnen?

WB: Unser erklärtes sportliches Ziel ist, dass unsere Spieler am Regelbetrieb des Amateurfußballs teilnehmen. Dafür erhalten sie durch die täglichen Trainingseinheiten eine sehr umfangreiche sportpraktische und sporttheoretische Ausbildung. Sie stehen fünf Tag die Woche auf dem Platz und lernen zudem auch taktische Fähigkeiten, erhalten Wissen über ihre Ernährung und lernen, sich innerhalb der Mannschaft durchzusetzen. So können wir sie dazu befähigen, sich innerhalb eines Fußballvereins im wöchentlichen Ligabetrieb zu behaupten. Die meisten FLZ-Spieler haben diesen Schritt bereits erfolgreich vollzogen!

Red.: Was verspricht Sie sich vom FLZ für die Arbeit in der Nationalmannschaft?

WB: Das FLZ zahlt direkt auf die Entwicklung unserer Nationalmannschaft ein. Seit drei Jahren ist es bereits offizieller Leistungsstützpunkt des DBS. Regelmäßige Lehrgänge und Fortbildungen ermöglichen uns, die besten Talente aus ganz Deutschland zusammenzubringen und hier gezielt ihr gesamtes Persönlichkeitsprofil zu entwickeln.

Red.: Wo steht die Nationalmannschaft heute sportlich?

WB: Bei der Europameisterschaft in Frankreich 2016 haben wir den sechsten Platz belegt. Es geht jetzt in erster Linie darum, unsere Spieler für die kommenden internationalen Herausforderungen vorzubereiten. 2018 stehen die Weltmeisterschaften in Russland an. Wir haben uns leider nicht direkt dafür qualifizieren können, hoffen aber trotzdem noch auf eine Möglichkeit dabei zu sein, damit wir uns im internationalen Vergleich mit den anderen Teams messen können. Hier gilt es nun mit dem vorhandenen Spielerstamm neue Spieler zu finden, die uns qualitativ nach vorne bringen.

Red.: Wie steht Deutschland denn im internationalen Vergleich?

WB: Von den Engländern und den Niederländern lernen wir, dass die Förderung von Sportlern mit Behinderung wesentlich früher beginnen muss. Wir kennen das aus den Strukturen und den Förderprogrammen des DFB im Jugendbereich: Hier fängt der Vereinssport bereits bei den Bambinis an (den Vier- bis Fünfjährigen, Anm. der Red.). Fußballer, die in die Nationalmannschaft berufen werden oder zum FLZ kommen, sind meist schon 18 Jahre und haben Fußball punktuell im Schulsport oder als Werkstattsport kennengelernt. Wir werden von unseren europäischen Nachbarn also noch sehr viel lernen können. Die Strukturen sind heute besser als damals. Dieses Potenzial müssen wir noch besser ausschöpfen.

Red.: Wie läuft denn die Kooperation mit den Bundesligisten?

WB: Das FLZ hat von Beginn an großen Wert darauf gelegt, mit Profivereinen zu kooperieren. Mit dem 1. FC Köln besteht seit vier Jahren eine feste Partnerschaft. Drei bis vier Mal pro Woche trainieren die Sportler auf dem Trainingsgelände des FC. FC-Kapitän Matthias Lehmann und FC-Profi Dominique Maroh sind Paten des FLZ, besuchen die Spieler regelmäßig und kommen immer wieder zu gemeinsamen Trainingseinheiten zu uns. Natürlich motiviert das die Spieler, so dass auch ihr Selbstvertrauen enorm wächst. Und darum geht es uns bei aller Arbeit: Ob sportlich und im Privaten, wir wollen, dass die jungen Männer durch den Sport ihr eigenes Leben aufbauen können. Deshalb wohnen die meisten FLZ-Teilnehmer auch in ihren eigenen Appartements, die ihnen die Gold-Kraemer-Stiftung vor Ort in Frechen zur Verfügung stellt. Viele Spieler nutzen diese Möglichkeit, denn sie kommen aus ganz Deutschland und beginnen im FLZ ein völlig neues Leben.

Red.: Ihr Co-Trainer bei der Nationalmannschaft wird Malte Strahlendorf, Ihr Trainerkollege beim FLZ. Was steht 2017 für Sie beide an?

WB: Wir werden im Herbst zu einem ersten Sichtungslehrgang in die Sportschule Hennef einladen. Mannschaft und Trainerteam werden sich dort kennenlernen und die ersten konkreten sportlichen Ziele angehen.

Red.: Dafür wünschen wir Ihnen und der Mannschaft viel Erfolg!

Quelle: Gold-Krämer-Stiftung